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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die letzte Brücke nach Berlin
       
       > Ab 2020, so der Bundesverkehrsminister, könnte Berlin nur noch auf dem
       > Land- und Seeweg erreichbar sein. Was folgt daraus?
       
       Berlin, die Stadt mit den explodierenden Immobilienpreisen und der
       gleichbleibend miserablen Lebensqualität, bleibt ungeschlagen an der Spitze
       der deutschen Immigrations-Charts. Aus der ganzen Welt strömen die Horden
       zu ihr, und noch nimmt die große Mutter Berlin sie an ihre Brust. Doch wie
       lange noch? Experten warnen: Bald gibt es in Berlin nicht nur keine Wohnung
       und keine Arbeit mehr, sondern auch keinen Weg dorthin.
       
       Schuld hat die Dauerkrise um den Flughafen BER. Bundesverkehrsminister
       Andreas Scheuer (CSU) hat im FAZ-Interview jetzt ausgesprochen, was viele
       längst befürchteten: „Wenn nichts passiert, läuft Berlin Gefahr, Ende 2019
       gar keinen Flughafen mehr zu haben.“
       
       Denn mehren sich die Skandale, wird wieder ein Sprinkler falsch
       angeschraubt oder der Inbusschlüssel von Ikea verloren, dann ist Berlin
       eines Tages vielleicht nur mehr auf dem Land- oder Seeweg erreichbar. Eine
       Vorstellung, bei der einem schon Angst werden kann, führen diese doch
       zwangsläufig durch Brandenburg, einen Landstrich, von dem jeder ehrbare
       Berliner abstreitet, dass er überhaupt existiert. Von Brandenburg ist nur
       bekannt, dass man sich dort nachts mit dem Auto totfährt und eher exotisch
       wählt, aber das ist ja überall außerhalb von Berlin so.
       
       „Wenn die Luftbrücke zu Berlin erst mal abbricht, wird man Brandenburg
       nicht mehr einfach ausweichen können“, so Scheuer weiter. Fließen plötzlich
       unermessliche Touristen- und Warenströme durch diese triste Ödenei, kann
       dann wirklich noch für die Sicherheit von Schienen und Straßen gebürgt
       werden? Wer will es diesen jahrzehntelang im Schatten Berlins vegetierenden
       Elendsgestalten verdenken, wenn sie Widerstand leisten, wenn eilends
       gefällte Baumstämme ICE-Trassen blockieren, wenn uralte DDR-Traktoren die
       Autobahnen verbarrikadieren? Die Potsdamer Staatskanzlei wird es wohl
       letztlich dulden: Wegelagerei ist eine der wenigen Wachstumsbranchen, die
       das Land aufweisen kann, neben Alkoholismus und Suizid.
       
       ## Verbarrikadiertes Brandenburg
       
       Bundesverkehrsminister Scheuer schätzt, dass schon 2023 der Palisadengürtel
       um Berlin geschlossen sein könnte und ein durchgehender Grenzzaun aus
       Autoreifen, Stacheldraht und Spreewaldgurkenfässern die Berliner endgültig
       vom Rest der Welt abschneidet. Kleinere Banden von Räubern und
       Halsabschneidern werden sich zusammenrotten und schließlich die
       Landesregierung in einem Putsch stürzen. Danach wird die öffentliche
       Ordnung relativ schnell zusammenbrechen. Vom Weltall aus wird zu beobachten
       sein, wie der Gürtel um Berlin nach und nach immer dunkler wird; ein
       strahlendes Juwel, umfasst von Schwärze.
       
       Andreas Scheuer hat eine weitere Warnung im Gepäck: das übermäßige Pochen
       der Berliner auf Datenschutz: „Schon jetzt sind viele Straßenzüge Berlins
       nicht auf Google gelistet, weil die Bewohner Angst haben, ihr unerträglich
       dröges Müslileben könnte für Geheimdienste interessant sein.“ Sollte sich
       der Anonymitätstrend fortsetzen, könnten völlig durchgedrehte Datenschützer
       irgendwann durchsetzen, Berlin gänzlich vom Radar zu nehmen, so dass nicht
       einmal mehr Satelliten Fotos von der Stadt machen dürften. Dann, so
       Scheuer, wird man Berlin nur mehr mithilfe von Landkarten und Ortskundigen
       erreichen können.
       
       Das Wachstumszentrum Berlins sei jedoch stets in Bewegung, je nachdem,
       welches Viertel die Hipster gerade für sich entdeckt haben. Landkarten
       könnten rasch veralten, wenn gelangweilte Szenegänger beispielsweise
       Spandau für sich entdecken und dort wie verrückt ihre Wohlstandsbälger
       produzieren. „Wir rechnen damit, dass Berlin sich 2030 nicht mehr an
       derselben Stelle wie heute befinden wird“, so Scheuer. „Allerdings wird man
       auch nicht mehr sagen können, wo sonst – wegen Datenschutz! Ein Wahnsinn!“
       
       Spätestens im Jahr 2040 ist die einstige Metropole dann ein mythenumrankter
       Fabelort – Hort legendärer Schätze, doch nur mehr auf alten Karten zu
       finden, wie Atlantis, Xanadu oder das Bernsteinzimmer. „Irgendwo verloren
       in dem mittlerweile völlig von Spreewaldgurkenranken überwucherten
       Dschungel Brandenburgs“, prophezeit der Bundesverkehrsminister düster. „Die
       Einwohner Brandenburgs werden sich in wilde Stämme aufteilen, mit
       barbarischen Praktiken wie Kannibalismus, schwarzer Magie und rituellen
       Spaßbadbesuchen.“
       
       ## Schneise der Verwüstung
       
       Ohne Aufsicht durch das Forstamt in Potsdam könnten die jetzt nur
       sporadisch verbreiteten Wölfe zu riesenhaften Rudeln von mehreren
       zehntausend Exemplaren anwachsen, eine fleischfressende Stampede, die eine
       Schneise der Verwüstung hinter sich lässt. Diese Gefahren werden die Suche
       nach Ber-Gri-La, wie die verlorene Stadt dann heißen könnte, zu einem
       filmreifen Abenteuer machen. „Mit Andy Serkis als grässlich mutierter
       Ministerpräsident Dietmar Woidke“, so Scheuer warnend.
       
       Und was wird unterdessen mit dem verlorenen Berlin geschehen? Der
       Verkehrsminister glaubt nicht, dass die Isolation zunächst groß auffallen
       wird: „Die meisten Menschen leben derzeit in Berlin, weil sie es in der
       realen Welt nicht aushalten. Wir glauben, dass die Gefahr erst erkannt
       wird, wenn es zu spät ist – und die Quinoa-Vorräte zur Neige gehen.“ Doch
       selbst dann werden die leidenschaftlich auf sich selbst fixierten
       Hauptstädter eine Lösung finden. Landwirtschaft ist auch in der Stadt
       möglich. „Es gibt so viele ungenutzte Brachflächen, etwa das Gehirn von
       Michael Müller.“
       
       Durch Aerial-Yoga als Volkssport werden die körperlichen Bedürfnisse
       ohnehin auf ein Minimum reduziert; Strom wird aus dem kontrollierten
       Hinundherschieben von Kinderwägen gewonnen. „2050 wird die Bevölkerung
       Berlins aus erleuchteten Geistwesen bestehen, die sich bedürfnislos
       wechselseitig Projekte pitchen.“ Scheuer weiter: „Die Mönchsrepublik Athos
       ist ein Beispiel, wo das geklappt hat.“
       
       Spätestens dann, wenn transzendentale Berliner anfangen, per Telepathie
       Geheimbefehle in die Welt hinauszusenden – „wir wissen, die Tibeter tun es,
       und der Papst tut es auch“ –, werden die Vereinten Nationen handeln müssen.
       „Wenn es dann noch Vereinte Nationen gibt.“ Viel wahrscheinlicher sei, dass
       die Welt ins Chaos stürzt und dass Berlin eventuell die einzige Enklave
       sein wird, die vom Feuersturm verschont bleibt. „In the year 2525“, singt
       Scheuer, „werden vielleicht levitierende Yogis von Berlin ausschwärmen und
       die Erde neu begrünen.“ Dann endlich wird die Welt zum Flughafen Berlins –
       statt umgekehrt.
       
       Um dieses Schreckensszenario zu verhindern, will Minister Scheuer dringend
       weitere Bundesmittel für den Bau des BER bereitstellen. „Die werden dann
       natürlich in irgendeiner Spezlwirtschaft versickern. Aber wichtig ist, dass
       das meine Spezln sind und nicht die von den Kommunisten! Verdammte
       Kommunisten!“
       
       14 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leo Fischer
       
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