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       # taz.de -- Raúl Castro wird als Staatschef abgelöst: Kuba ganz ohne Castro
       
       > Das Ende einer Epoche: Der letzte Castro tritt ab und wird durch Miguel
       > Díaz-Canel ersetzt. Was heißt das für die krisenerprobten Kubaner?
       
   IMG Bild: Einer geht, einer rückt auf: Miguel Díaz-Canel (ohne Hut) und Raúl Castro (mit Hut)
       
       Santiago de Cuba taz | Die Calle Heredia in Santiago de Cuba ist so etwas
       wie das Schaufenster der Kultur des Oriente, des kubanischen Ostens. Hier
       steht die Casa de la Trova, wo Eliades Ochoa einst mit Compay Segundo die
       erste Version von „Chan Chan“ auf die Bühne brachte – das Lied ging mit dem
       Erfolg des Buena Vista Social Club um die Welt. Heute ist der Song in
       Kaufhäusern und Bars rund um den Globus, aber auch in der Calle Heredia
       jeden Tag zu hören.
       
       Juan Antonio Obregón lebt zwei Blocks von der Casa de la Trova entfernt und
       hat zwei Zimmer seiner Wohnung umgebaut und vermietet diese an Touristen.
       „Für uns gab es keine andere Option, denn obwohl meine Frau und ich eine
       gute Ausbildung haben, reicht es einfach ohne das Vermieten nicht“, so der
       44-jährige Familienvater. Als Mathematiklehrer und Co-Rektor verdient er
       gut 700 Peso nacional (CUP). Seine Frau, eine ausgebildete Logopädin, kam
       auf rund 600 CUP, bevor sie den Job an den Nagel hängte und sich seitdem um
       die Touristen kümmert.
       
       Zwei Jahre ist das nun her. „Meine Frau hat zwar einen Bruder im Ausland,
       der uns hin und wieder hilft. Aber wir kamen schlicht kaum durch den
       Alltag“, sagt der kräftige Mann mit dem Haarkranz unter der Baseballmütze.
       Die Ausgaben für Lebensmittel, Kleidung und den täglichen Bedarf einer
       Familie mit zwei Kindern im Teenageralter hätten schlicht die Einnahmen
       überstiegen. Jetzt aber werde die Familienkasse nicht nur mit monatlich 700
       CUP gefüllt, hinzu komme eine kleine Summe CUC.
       
       CUC, so lautet die Abkürzung für den kubanischen Devisenpeso, Kubas harte
       Währung, und an der orientiert sich in Kuba seit 15 Jahren das gesamte
       wirtschaftliche Leben. Die doppelte Währung hat dafür gesorgt, dass sich
       die Gesellschaft in den Teil mit CUC-Zugang und den ohne unterteilt.
       Familien mit Verwandten im Ausland, die regelmäßig Geld schicken, sind klar
       im Vorteil, denn der kubanische Staat bezahlt seine Angestellten nur in
       CUP. Der wird in den Wechselstuben im Verhältnis 24:1 gegen CUC
       eingetauscht. Lehrer gehören jedoch zu den Berufsgruppen, die in aller
       Regel keinen Zugang zu Hartwährung, dem CUC, haben.
       
       ## Mit der Devisenwährung CUC geht es besser
       
       Für die Familie Obregón läuft das Leben deshalb besser, seitdem sie an
       Touristen vermietet. „Aber für mich ist das Vermieten der letzte Ausweg,
       grundsätzlich sollte jeder Kubaner von seinem Lohn leben können“,
       kritisiert Obregón die Verhältnisse. Viel Hoffnung, dass sich daran etwas
       ändern wird, hat er allerdings nicht – obwohl auf Kuba derzeit Gerüchte
       kursieren, dass schon bald eine Währungsreform kommen könne. „Die
       Währungsreform ist das eine, die Wirtschaft das andere – und die
       funktioniert nicht. Daran wird sich mit dem Wechsel an der Regierungsspitze
       kaum etwas ändern“, erklärt er kopfschüttelnd.
       
       An diesem Mittwoch steht ein für Kuba einschneidendes Ereignis an. Der fast
       87-jährige Raúl Castro wird von seinem Amt des Präsidenten zurücktreten.
       Dann wird es zum ersten Mal seit 59 Jahren keinen Castro mehr an der Spitze
       des kubanischen Staates geben. Das Amt des Präsidenten übernimmt Miguel
       Díaz-Canel, der langjährige erste Vizepräsident.
       
       Die Amtsübergabe markiert nicht nur das Ende einer Epoche. Es ist zugleich
       ein Generationswechsel, denn der Nachfolger ist 57 Jahre alt und gehört
       nicht mehr zu der Generation, die einst in den Bergen der Sierra Maestra
       kämpfte und die Batista-Diktatur am 1. Januar 1959 zur Aufgabe zwang. Keine
       historischen Verdienste als Comandante der Revolution also, die dem Neuen
       Autorität verleihen könnten.
       
       Doch für was Díaz-Canel steht, darüber sind sich die Kubaner nicht einig.
       Die einen hoffen auf frischen Wind, bescheinigen dem zukünftigen Chef
       Intelligenz und einen auf Dialog basierenden Regierungsstil, wie es der
       Filmemacher und Blogger Carlos Melían erhofft. Andere wie der
       Schriftsteller Juan Antonio Tejera zeigen sich eher pessimistisch. Es fehle
       ein klares Profil und ein Konzept dafür, wie die Insel aus der
       Wirtschaftskrise finden soll, so die Kritik.
       
       ## Brachland statt Landwirtschaft: Woran liegt's?
       
       Über den Wechsel wird durchaus diskutiert in Kuba, zwar nicht immer sehr
       laut, doch immerhin. So wie auf der Busfahrt von Camagüey nach Ciego de
       Ávila, wo sich zwei Männer angesichts der vorbeiziehenden brachliegenden,
       von dornigen Büschen bedeckten Landstriche, über die darnieder liegende
       Agrarwirtschaft unterhalten.
       
       „Warum bezahlt man die Leute nicht einfach nach Produktivität? Das würde
       vieles ändern. Wir haben hier unglaublich viele Chefs, aber kaum jemanden
       der richtig arbeitet“, sagt der eine. „Alle wissen, weshalb es nicht läuft,
       aber die da oben lösen die grundsätzlichen Probleme nicht – das geht seit
       mehr als zwanzig Jahren so. Wir haben weder eine funktionierende
       Landwirtschaft, noch die längst angekündigte Währungsreform“, ergänzt der
       andere.
       
       Es sind gleich zwei zentrale Herausforderungen, denen sich die neue
       Regierung von Miguel Díaz-Canel stellen muss. Eigentlich wollte Raúl Castro
       seinem Nachfolger eine reformierte Wirtschaft übergeben. Doch es blieb bei
       großartigen Ankündigungen, wie der des Parteitags der Kommunistischen
       Partei aus dem Jahr 2011, eine Währungsreform spätestens bis 2015
       umzusetzen. Die Reform des Agrarsektors, wo rund 150.000 Neubauern 920.000
       Hektar Staatsland zur Nutzung für zehn Jahren übertragen wurden, hat nicht
       die erhofften Erfolge gebracht. Nach wie vor müssen jedes Jahr
       Grundnahrungsmittel für annähernd zwei Milliarden US-Dollar importiert
       werden, so ist es im statistischen Jahrbuch der Insel nachzulesen.
       Nahrungsmittel sind entsprechend teuer. Der kubanische Begriff „buscar
       comida“, Essen suchen, steht für diese Dauerkrise.
       
       Diese begann schon in den 1980er-Jahren und prägt die Insel seither.
       Bauern, die an den Überlandstraßen Käse, Kartoffeln, Obst oder Gemüse
       verkaufen, finden sich immer wieder. Doch nur wenige Kubaner haben die
       Möglichkeit, für Hamsterkäufe aufs Land zu fahren. Busfahrer und Besitzer
       von Restaurants, den paladares, sind die Ausnahmen. Sie profitieren von
       ihrer Mobilität auf der von Transportproblemen gebeutelten Insel.
       Allerdings stehen sie bei Einkäufen mit einem Bein in der Illegalität, denn
       die Bauern müssen eigentlich feste Abgabequoten an den Staat einhalten, und
       wenn sie diese unterlaufen, gelten die an der Straße angebotenen Produkte
       als nicht legal erworben. Eine ganze Reihe von Restaurantbesitzern haben
       sich für den Bezug ihrer Lebensmittel schon gegenüber den Behörden
       rechtfertigen müssen. Ein legaler Einkauf von Lebensmittels für ein
       Restaurant ist alles andere als einfach. Seit August 2017 ist die Vergabe
       von Konzessionen für private Betriebe, patentes genannt, nämlich
       eingefroren. Das sorgt für Unruhe unter den rund 550.000 Selbständigen der
       Insel und für Gerüchte, dass der private Sektor zurückgefahren werden
       könnte.
       
       Auch das ist eine Hypothek, die auf den neuen Staatschef wartet. Doch ob
       demnächst wegweisende Entscheidungen fallen werden, bezweifeln viele
       Kubaner – so wie Fraudi, ein in Australien lebender Tanzlehrer aus
       Guantánamo, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. „Für mich ist Miguel
       Díaz-Canel eine Marionette am Faden von Raúl Castro“, sagt er. Diese
       Einschätzung hat auch damit etwas zu tun, dass Raúl Castro den Vorsitz der
       Kommunistischen Partei behält.
       
       Andere geben sich optimistischer. Daniel Pérez aus Camagüey ist ein
       ehemaliger Fahrer eines staatlichen Unternehmens und seit zwei Jahren
       verrentet. Er ist sich sicher: „Die Revolution in Kuba ist gemacht, die
       Strukturen tragen und der Neue wird seinen Job machen. Davon bin ich
       überzeugt“, sagt der drahtige Mann mit Bürstenschnitt. Ihm ist das Kuba von
       heute so recht wie es ist. Die, die damit nicht zufrieden sind, könnten ja
       gehen, ätzt er. Vor allem Menschen aus der älteren Generation argumentieren
       wie Perez. Ihnen stehen viele Jüngere entgegen, die vom Leben mehr erwarten
       als ein ewiges Durchwurschteln.
       
       Der designierte Staatschef Miguel Díaz-Canel, den das Parlament am Mittwoch
       wählen soll, gilt als umgänglicher Mann des Dialogs. In der Provinz Villa
       Clara und der Stadt Holguín hat er sich seine politischen Sporen verdient,
       und in beiden Regionen gilt er als populär – nicht zuletzt wegen seines
       umgänglichen Regierungsstils und der Förderung innovativer Kulturprojekten
       wie einem auch für Homo- und Transsexuelle offenen Kulturzentrum. In der
       politischen Verwaltung der Hauptstadt Havanna ist Díaz-Canel in den letzten
       Jahren allerdings weniger aufgefallen, selbst auf den Parteitagen hielt er
       sich zurück. Einzig ein Video, in dem der sich zur Situation von Medien und
       Journalisten äußerte, sorgte für Aufregung. Darin kündigte Díaz-Canel vor
       gut einem Jahr an, die Akkreditierung für ein in Miami beheimatetes Magazin
       nicht mehr zu verlängern. Über unabhängige Journalisten äußerte er sich
       abfällig.
       
       Kein Zeichen für den großen Aufbruch.
       
       18 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernardo Pérez Tejero
       
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