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       # taz.de -- Dissidenten in Vietnam verurteilt: 15 Jahre für den Wunsch nach Rechten
       
       > Wegen „Umsturzversuchen“ sind sechs vietnamesische Bürgerrechtler zu
       > langen Haftstrafen verurteilt worden. Ihr Delikt: ein Manifest für
       > Demokratie.
       
   IMG Bild: Menschenrechtsanwalt Nguyen Van Dai beim Prozess am Donnerstag
       
       Berlin taz | Das Volksgericht in Hanoi hat am Donnerstag sechs
       vietnamesische Bürgerrechtler wegen „Vorbereitung eines Umsturzversuches“
       zu Freiheitsstrafen zwischen sieben und 15 Jahren verurteilt. Der Prozess
       wurde von internationalen Diplomaten beobachtet. Für das Delikt wäre nach
       dem Gesetz auch die Todesstrafe möglich gewesen.
       
       Als Umsturzversuch interpretierten die Richter die Gründung eines
       Netzwerkes für Demokratie, das ein Manifest herausgegeben hatte. Darin wird
       etwa die Schaffung eines Mehrparteiensystems, eine Gewaltenteilung und die
       Sicherung von bürgerlichen Rechten gefordert. Darin sah das Gericht eine
       Gefahr „für die Existenz der Regierung“.
       
       Fünf der sechs Verurteilten, darunter der Hauptangeklagte und prominenteste
       Dissident Vietnams, Nguyen Van Dai, müssen nicht zum ersten Mal ins
       Gefängnis. Der 48jährige Dai hatte 1989 ein Jahr lang als Vertragsarbeiter
       in der DDR gearbeitet und nach seiner Rückkehr in Hanoi Jura studiert.
       Danach avancierte seine Anwaltskanzlei zur juristischen Vertretung von
       politisch verfolgten Vietnamesen. Er und seine Kollegin vertraten unter
       anderem Gewerkschaftler, die zu illegalen Streiks gegen miserable
       Arbeitsbedingungen aufgerufen hatten.
       
       Dai und seine Kanzleipartnerin haben sich aber auch selbst politisch
       betätigt. Während der kurzen Phase des Tauwetters in Vietnam bis 2006
       wurden sie Mitinitiatoren des „Appells der 118“, der den friedlichen
       Übergang zum Mehrparteiensystem forderte – vergleichbar mit dem Appell,
       wegen dessen er heute erneut verurteilt wurde.
       
       ## Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes
       
       Die Unterzeichner sehen sich in der Tradition der amerikanischen
       Unabhängigkeitserklärung, der Französischen Revolution und der
       Unabhängigkeitserklärung von Ho Chi Minh von 1945. Vor allem Letzteres ist
       für die KP-Führung, die den Alleinvertretungsanspruch an das Erbe ihres
       Revolutionshelden für sich reklamiert, nicht akzeptabel.
       
       Nachdem der Parteitag 2006 das Ende der Tauwetterpolitik einläutete, wurde
       Dai 2007 wegen Propaganda gegen den sozialistischen Staat zu einer
       fünfjährigen Haftstrafe und anschließenden vier Jahren Hausarrest
       verurteilt. Er verlor auch seine Rechtsanwaltszulassung. Die Strafen hat er
       abgesessen.
       
       Wegen der Vorbereitung zu einem Umsturzversuch saß Dai bereits seit Ende
       2015 in Untersuchungshaft – ohne Kontakt zu Mitgefangenen, ohne
       anwaltlichen Beistand und mit nur wenigen Besuchen von Familienangehörigen.
       
       Im März 2017 verlieh der Deutsche Richterbund dem prominenten Juristen
       seinen Menschenrechtspreis. Weder er noch seine Frau konnten die Ehrung
       bisher entgegennehmen. Seiner Frau war es zudem verboten, Dai bei
       Haftbesuchen über den Menschenrechtspreis zu informieren.
       
       ## „Einer der schlimmsten Menschenrechtsverletzer der Welt“
       
       Bärbel Kofler, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, sieht die
       Urteile mit Sorge. Die SPD-Politikerin sagt: „Die Verurteilten setzen sich
       für eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, für Transparenz der öffentlichen
       Verwaltung und für mehr zivilgesellschaftliche Teilhabe ein – kurz: für ein
       besseres Vietnam. Sie tun das unter Wahrnehmung jener Rechte, die
       ausdrücklich durch die vietnamesische Verfassung garantiert werden und zu
       deren Umsetzung Vietnam sich in internationalen Verträgen selbst
       verpflichtet hat: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinigungsfreiheit.“
       
       Ähnlich sieht das die Menschenrchtsorganisation Human Rights Watch. „Die
       vietnamesische Regierung sollte den Männern für ihr Bemühen danken, die
       vietnamesische Gesellschaft demokratisch zu gestalten, anstatt sie zu
       verhaften und vor Gericht zu stellen“, sagte Direktor Brad Adams.
       
       Vu Quoc Dung von der Menschenrechtsorganisation „VETO! Human Rights
       Defenders' Network“ sieht den Prozess politisch motiviert, „um
       Menschenrechtsverteidiger auszuschalten. Vietnam entpuppt sich als einer
       der schlimmsten Menschenrechtsverletzer der Welt.“
       
       Genau das dementiert Regierungssprecherin Le Thi Thu Hang. „In Vietnam gibt
       es keinen Gefangenen aus Gewissensgründen.“ Die Männer wurden wegen
       Gesetzesverletzungen bestraft. „Niemand wird verhaftet, weil er nur seine
       Meinung äußert.“
       
       6 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
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