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       # taz.de -- Prozess gegen rumänischen Ex-Präsident: Ion Iliescu auf der Anklagebank
       
       > Der Ex-Präsident soll wegen im Revolutionsjahr 1989 begangener Verbrechen
       > gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Er spricht von einer Farce.
       
   IMG Bild: Denkmal für die Opfer der Revolution von 1989 im westrumänischen Timisoara
       
       Berlin taz | Die Bukarester Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den
       früheren Staatspräsidenten Ion Iliescu erhoben. Sie beschuldigt ihn,
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Die Anklage bezieht
       sich auf die blutigen Ereignisse während der Revolution im Dezember 1989,
       wo allein in Bukarest 942 Menschen getötet wurden.
       
       Nachdem es zuerst in der im Westen Rumäniens gelegenen Stadt
       Temeswar/Timişoara zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten
       und den Sicherheitskräften gekommen war, breitete sich der Aufstand aus. In
       der Hauptstadt Bukarest gab es zahlreiche Tote und Verletzte, auch nachdem
       am 22./23. Dezember 1989 der frühere Diktator Ceauşescu entmachtet worden
       war.
       
       Die Führung des Staates übernahm die aus den Wirren der Revolution
       hervorgegangene politische Sammelbewegung, Front der Nationalen Rettung
       (FSN), an deren Spitze sich Ion Iliescu befand.
       
       Der Front schlossen sich zahlreiche Regimegegner an, aber auch Leute aus
       dem Apparat der kommunistischen Partei, die offiziell verboten wurde. Ein
       Militärtribunal verurteilte das Diktatorenehepaar Nicolae und Elena
       Ceauşescu am 25. Dezember 1989 zum Tode. Das Urteil wurde am gleichen Tag
       vollstreckt.
       
       ## Allgemeine Hysterie
       
       Die Armee, die auf Befehl Ceauşescus in Temeswar ein Blutbad angerichtet
       hatte, erklärte nach dem Sturz des Diktators, sie stünde an der Seite der
       Aufständischen und sei bereit die Errungenschaften der Revolution zu
       verteidigen. In der allgemeinen Hysterie lieferten sich Armeeverbände und
       nie identifizierte Scharfschützen zahlreiche Gefechte. An den Scharmützeln
       beteiligten sich auch bewaffnete Aufständische.
       
       Iliescu und 14 weiteren seiner damaligen Mitarbeiter wird nun vorgeworfen,
       diese Auseinandersetzungen bewusst geschürt zu haben, um sich auf diese
       Weise die Macht zu sichern.
       
       In diesem Zusammenhang wird die Rolle des Fernsehens kritisiert. Einem der
       damaligen Fernsehsprecher, Teodor Brateș, der durch bewusst gestreute
       Falschmeldungen die Atmosphäre angeheizt haben soll, werden nun ebenfalls
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt.
       
       Bereits im vergangenen Jahr hatte der Publizist und Historiker Adrian
       Niculescu im rumänischen Fernsehen die Anschuldigungen als unhaltbar
       zurückgewiesen. In der diffusen Lage von 1989, sagte er, haben Iliescu und
       sein Team Rumänien aus der Diktatur herausgeführt und praktisch den
       Grundstein für eine demokratische Gesellschaft gelegt.
       
       ## Ausschluss aus der Nomenklatura
       
       In einer auf seinem Blog veröffentlichten Erklärung wies der heute
       88-jährige Iliescu die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft zurück und
       bezeichnete das geplante Gerichtsverfahren als Farce.
       
       Er und andere hätten 1989 die Verantwortung übernommen, heißt es in der
       Erklärung, Rumänien aus der Diktatur herauszuführen und jetzt versuche man
       sie wegen dieses Unterfangens anzuklagen.
       
       Als hoher Parteifunktionär wurde Iliescu 1971 von Ceauşescu des
       intellektuellen Abweichlertums beschuldigt und später auch aus dem Kreis
       der Parteinomenklatura ausgeschlossen. Im Westen galt er als rumänischer
       Gorbatschow, der die verknöcherten Strukturen seines ausgelaugten Landes im
       Sinne von Glasnost und Perestroika aufweichen könnte.
       
       Er übernahm 1989 die Staatsführung und wurde 1992 mit großer Mehrheit im
       Amt des Präsidenten bestätigt. 2000 wurde er erneut für vier Jahre zum
       Staatschef gewählt.
       
       19 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR William Totok
       
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