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       # taz.de -- Neue Fälle sexueller Gewalt an Frauen: Der Verrat an Indiens Töchtern
       
       > Vergewaltigungsfälle könnten die Regierung der hindunationalistischen BJP
       > stürzen. Denn sie entpuppt sich als Partei wie jede andere.
       
   IMG Bild: Protest im südindischen Bangalore gegen die jüngsten Vergewaltigungs- und Mordfälle
       
       Delhi taz | Wollte ein Schriftsteller einen Roman schreiben über alles, was
       falsch läuft in Indien, könnte er sich diesen Plot überlegen: Ein
       achtjähriges Mädchen aus dem Krisenstaat Jammu und Kaschmir wird entführt,
       von mehreren Männern tagelang in einem Tempel [1][vergewaltigt und
       schließlich ermordet].
       
       Nachdem die Leiche gefunden wurde, werden acht Männer verhaftet, darunter
       vier Polizisten. Zwei von ihnen wird vorgeworfen, gegen Geld Beweismaterial
       vernichtet zu haben. Alle Verdächtigen sind Hindus.
       
       Das tote Mädchen gehört einem muslimischen Nomadenstamm an, der
       traditionell in den Sommermonaten in dieser von Hindus dominierten Region
       in Jammu und Kaschmir Weideplätze von der sesshaften Bevölkerung mietet.
       
       Die Nomaden sind überzeugt, sie sollen aus der Region vertrieben werden,
       weil sie Muslime sind. Doch radikale Hindus meinen, die Verdächtigen seien
       zu Unrecht verhaftet worden. Sie organisieren Proteste, an denen auch zwei
       Minister des Bundesstaates teilnehmen, die der regierenden
       hindunationalistischen Volkspartei (BJP) angehören.
       
       ## Brutale Realität
       
       Doch all das ist kein Roman, sondern Realität. Und es geht weiter. Zur
       selben Zeit wird eine andere Vergewaltigung öffentlich: Eine 17-Jährige
       wirft einem Mitglied des Landesparlaments und der BJP im Bundesstaat Uttar
       Pradesh vor, sie vergewaltigt zu haben.
       
       Als die Polizei untätig bleibt, versuchen das Opfer und ihr Vater, sich vor
       der Residenz des Ministerpräsidenten Yogi Adityanath (ebenfalls BJP)
       anzuzünden. Der Vater stirbt kurz danach. Die Untersuchung legt nahe, dass
       er in Polizeigewahrsam geschlagen wurde.
       
       Nach Protesten in der Hauptstadt Delhi meldet sich endlich Premierminister
       Narendra Modi zu Wort und verspricht „Gerechtigkeit für die Töchter
       Indiens“. Die beiden BJP-Minister aus Jammu und Kaschmir treten zurück.
       
       Wenig später wird in Uttar Pradesh die Leiche einer Siebenjährigen
       gefunden, die auf einer Hochzeit verschwunden und auch vergewaltigt worden
       war.
       
       ## Alles, was die Entwicklung behindert
       
       Sexualisierte Gewalt, Frauenverachtung, archaische Gesellschaftsstrukturen,
       Korruption, Polizeiversagen, religiöse Konflikte, politische
       Instrumentalisierung und eine Oberschicht, die sich über dem Gesetz wähnt –
       die gegenwärtige Debatte enthält praktisch alles, was Indiens Entwicklung
       behindert.
       
       „Gewalt gegen Frauen, besonders in Nordindien, ist eine systemische,
       soziokulturelle Krise. Nordindien hat ein Problem mit toxischer
       Maskulinität“, sagt Mihir Sharma, Kolumnist und Autor des Buches „Restart.
       The Last Chance for the Indian Economy“.
       
       Deshalb reiche es nicht, einer bestimmten Regierung die Schuld zu geben.
       Doch anders als in dem „Nirbhaya-Fall“, einer Gruppenvergewaltigung, die
       2012 in Delhi für Empörung sorgte (siehe Interview), zeigten die beiden
       neuen Fälle „die totale Unterwanderung der Verwaltung in Nordindien durch
       Gangster-Politiker“, so Sharma.
       
       Uttar Pradeshs Regierung von Ministerpräsident Adityanath habe sich als
       „Allianz von Oberkasten-Gaunern“ erwiesen, „die sich in Unantastbarkeit
       sonnen und gegen die normale Menschen nichts ausrichten können“.
       
       Der Mord in Kaschmir trage zudem das Stigma einer „besonders von der BJP
       aufgebauten Spaltung der Gesellschaft“, die den Eindruck erwecke, Muslime
       seien „eine kulturelle Bedrohung, eine Gefahr für die Sicherheit und eine
       demografische Zeitbombe“.
       
       ## Auch die BJP steht nicht für gute Regierungsführung
       
       Beide Fälle seien daher „ein weiterer Nagel im Sarg“ der Erzählung, dass
       die BJP für „gute Regierungsführung“ stehe. „Es ist klar, dass diese Partei
       nicht anders ist als alle anderen“, so Sharma.
       
       Selbst Kommentatoren, die der BJP gesonnen sind wie Raghavan Jagannathan
       vom rechtsliberalen Magazins Swarajya warnen, dass Modi an der „sozialen,
       politischen und kulturellen Front“ sein Waterloo erleben dürfte, wenn er
       nicht „die Kontrolle über die Agenda“ zurückgewinne.
       
       Dabei gebe es eigentlich viele Themen, mit denen eine hindunationalistische
       Partei punkten könnte. In Jammu und Kaschmir habe die BJP-geführte
       Regierung es nicht geschafft, den Hindus in Jammu mehr Gehör zu
       verschaffen. Der Bundesstaat werde noch immer von der Forderung nach
       Unabhängigkeit muslimischer Gruppen und deren Konfrontation mit dem
       indischen Staat dominiert.
       
       In dem Ziel Indien von der früher dominanten Kongress-Partei zu befreien
       mache die BJP den Fehler, „Randelementen“ erlauben zu definieren, was
       hindunationalistische Politik sei. Derzeit seien „Modis Feinde“, die auf
       eine „aggressive Mehrheitsherrschaft“ der Hindus setzten, dabei, den
       Machtkampf im hindunationalistischen Lager zu gewinnen.
       
       „Mit diesen Elementen kann man eine Wahl gewinnen oder zwei“, warnt
       Jagannathan. „Aber am Ende werden sie die Partei in denselben Sumpf ziehen,
       aus dem sie selbst kamen.“
       
       19 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Britta Petersen
       
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