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       # taz.de -- Langzeitarbeitslose für gemeinnützige Arbeit: „Wir brauchen diese Jobs“
       
       > Mit einem Modellprojekt will der Senat bundesweit Vorreiter sein, sagt
       > Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei). Tausende Stellen geplant
       > – mit Mindestlohn.
       
   IMG Bild: Bald ein Job für Langzeitarbeitslose in Berlin? Rikscha für Senioren. In Essen gibt es das schon
       
       taz: Frau Breitenbach, haben Langzeitarbeitslose in Berlin bald wieder
       einen Job? 
       
       Elke Breitenbach: Das hoffe ich sehr. Wir wollen einen guten und
       nachhaltigen öffentlichen Beschäftigungssektor. Langzeitarbeitslose bekämen
       wieder eine berufliche Perspektive, und auch die Stadtgesellschaft würde
       davon profitieren.
       
       Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) spricht in diesem
       Zusammenhang von einem „Solidarischen Grundeinkommen“. Was hat öffentliche
       Beschäftigung mit einem Grundeinkommen zu tun? 
       
       Nichts. Warum der Regierende Bürgermeister sich diesen Namen ausgesucht
       hat, müssen Sie ihn selbst fragen. Aber wie man das Ganze nennt, ist mir
       egal. Hauptsache, der Inhalt stimmt.
       
       Sie haben sich mit dem Regierenden Bürgermeister und dem Finanzsenator
       kürzlich getroffen, um genau darüber zu sprechen. Was hat der Senat jetzt
       vor? 
       
       Wir haben uns über Eckpunkte verständigt. Was wir davon umsetzen können,
       hängt vor allem vom Bund ab. Die Bundesregierung plant ja,
       Langzeiterwerbslose in öffentlich geförderte Arbeit zu bringen. Wenn das
       eine größer angelegte Sache werden soll, könnte es allerdings noch dauern.
       Wir wollen deshalb in Berlin möglichst schon eher mit einem Modellprojekt
       starten.
       
       Berlin soll Vorreiter sein für den Bund? 
       
       Wir hatten in Berlin bereits einen öffentlich geförderten
       Beschäftigungssektor, den ÖBS, und können an diese Erfahrungen anknüpfen.
       Ein Modellprojekt war auch Thema bei einem Gespräch, das Michael Müller im
       Arbeitsministerium geführt hat.
       
       Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht von 150.000
       gemeinnützigen Stellen, die deutschlandweit entstehen sollen. Wie viele
       wären es für Berlin? 
       
       Das kann man noch nicht genau sagen. Wir wünschen uns Stellen für etwa 10
       Prozent der Langzeiterwerbslosen in Berlin, das wären 4.000 bis 4.500
       Stellen. Aber auch diese Größenordnung hängt vom Bund ab.
       
       Was sind das für Jobs, die Langzeitarbeitslose übernehmen könnten? 
       
       Ich habe mit dem Regierenden Bürgermeister und dem Senator für Finanzen
       darüber gesprochen. Es dürfen keine regulären Arbeitsplätze vernichtet
       werden, die Stellen müssen zusätzlich sein. Es gibt zum Beispiel die
       Fahrgastbegleiter. Die mussten ihre Angebote in den vergangenen Jahren
       immer weiter reduzieren. Sie sind aber sehr wichtig. Sie sichern Menschen
       Mobilität und damit gesellschaftliche Teilhabe. Auch Lotsen für Geflüchtete
       könnten wir beschäftigen. Ihre Kompetenzen brauchen wir längerfristig.
       
       Die Verwaltung könnte doch für all diese Tätigkeiten auch
       Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter einstellen. 
       
       Wenn das Bezirksamt Sozialarbeiter zu den Menschen schickt, dann werden sie
       weniger Vertrauen finden als beispielsweise eine Stadtteilmutter aus dem
       nächsten Stadtteilzentrum. Lotsinnen und Lotsen haben häufig selbst einen
       Flucht- oder Migrationshintergrund. Aber auch in anderen Bereichen gibt es
       genug zu tun. Viele ältere Menschen brauchen Unterstützung im Wohnumfeld.
       Mal muss ein verstopfter Abfluss gereinigt werden, mal muss ein Nagel in
       die Wand. Man muss sich allerdings darüber verständigen, wie weit das gehen
       kann.
       
       Wenn die Wohnung gestrichen werden muss, sollte das zu den Tätigkeiten
       eines solchen „Concierge“ dazugehören? Damit würde man Handwerkern die
       Arbeit wegnehmen.
       
       Das ist ja nicht das Ziel. Es muss sich um zusätzliche Arbeit handeln. Aber
       viele alte Leute haben nicht das Geld, um Handwerker zu bezahlen. Über
       solche Fragen muss man sich mit den Sozialpartnern verständigen.
       
       Dürfen alle Langzeitarbeitslosen die Jobs übernehmen oder nur bestimmte
       Gruppen? 
       
       Das hängt von der Anzahl der Stellen ab. Wenn es wenige sind, müsste man
       das genau überlegen. Man könnte etwa über öffentliche Beschäftigung ältere
       Erwerbslose in die Rente gleiten lassen. Wir haben auch einen hohen Anteil
       Alleinerziehender, die kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, ebenso
       Menschen mit psychischen Erkrankungen. Wichtig ist, dass die Menschen
       freiwillig mitmachen und keine Sanktionen drohen für die, die nicht wollen.
       
       Ist es Ziel, Menschen wieder in reguläre Jobs zu bringen? 
       
       Da gehen die Meinungen auseinander. Michael Müller will schon, dass sich
       die Teilnehmenden eines solchen Programms für den ersten Arbeitsmarkt
       qualifizieren. Mein erstes Ziel ist das nicht, denn ich möchte bei der
       öffentlich geförderten Beschäftigung normale Arbeitsplätze haben, die
       sozialversicherungspflichtig sind, nach Tarif oder mindestens nach dem
       Mindestlohn bezahlt werden. Ein Arbeitsplatzwechsel muss natürlich immer
       möglich sein.
       
       Kritiker sagen, die Bedingungen seien zu gut, öffentliche Beschäftigung
       würde Arbeitslose daran hindern, es auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt
       zu versuchen. 
       
       Es ist doch nur zu begrüßen, wenn ihnen ihre Arbeit Spaß macht, zumal die
       Arbeitsplätze nicht schlechter sein sollen als auf dem ersten Arbeitsmarkt.
       Ihre Arbeit ist wichtig für die Stadtgesellschaft, sie steht auch gegen die
       Spaltung in Arm und Reich. Stellen Sie sich vor, die Fahrgastbegleitung
       würde wegbrechen. Dann säßen viele Menschen in ihrer Wohnung fest.
       
       Und woher soll das Geld für die öffentliche Beschäftigung kommen? 
       
       Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht der
       Passiv-Aktiv-Transfer. Das heißt, dass die Mittel, die für die Finanzierung
       der Erwerbslosigkeit verwendet werden, in die Finanzierung von Arbeit
       fließen sollen. Dieses Geld muss noch durch Landesmittel aufgestockt
       werden, sodass tarifliche Bezahlung beziehungsweise der Mindestlohn
       gewährleistet werden kann.
       
       Wie teuer wäre das dann für Berlin? 
       
       Das lässt sich nicht sagen, denn das hängt auch von der Zahl der
       Arbeitsplätze ab. Eine verlässliche Finanzierung ist jedoch zentral
       wichtig, wenn wir zu einem nachhaltigen Arbeitsmarkt kommen wollen.
       
       Wenn es nach Ihnen ginge, wann könnte das Modellprojekt in Berlin starten? 
       
       Das würden wir schnell hinkriegen. Von mir aus könnten wir schon nach der
       Sommerpause mit den ersten Projekten loslegen.
       
       25 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Antje Lang-Lendorff
       
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