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       # taz.de -- Grüner Landesparteitag in Berlin: „Das wäre ohne uns nicht passiert“
       
       > Nina Stahr und Werner Graf sehen die Grünen in der rot-rot-grünen
       > Koalition als treibende Kraft in Sachen Ökologie. „Zero Waste“ heißt der
       > Leitantrag.
       
   IMG Bild: Die grünen Landesvorsitzenden Werner Graf und Nina Stahr
       
       taz: Frau Stahr, Herr Graf, Rot-Rot-Grün regiert Berlin jetzt seit 16
       Monaten. Was wäre anders, wenn die Grünen nicht dabei wären? 
       
       Nina Stahr: Eine ganze Menge. Mit dem Berliner Stadtwerk, da hat sich
       wirklich was getan …
       
       … das wäre ohne die Grünen nicht gekommen? 
       
       Stahr: Wir haben jedenfalls dafür gesorgt, dass das vorherige
       Bonsai-Stadtwerk entfesselt wird.
       
       Das wurde in der vergangenen Wahlperiode unter Rot-Schwarz doch bloß durch
       die CDU kleingehalten – die SPD hätte es doch auch schon gern größer
       gehabt. 
       
       Stahr: Das Stadtwerk ist tatsächlich ein durch und durch grünes Projekt.
       Auch der Ausstieg aus der Kohle ist beschlossen. Und ich glaube nicht, dass
       das passiert wäre, ohne dass wir Grünen uns dahintergeklemmt hätten.
       
       Werner Graf: Es ist immer ein bisschen schwierig zu sagen, was genau anders
       gekommen wäre. SPD und Linkspartei wären vielleicht ein bisschen an die
       Verkehrswende herangegangen. Aber ein richtiges Mobilitätsgesetz, das gibt
       es vor allem wegen Grün. Es gibt zwar große Schnittmengen, aber in diesem
       Bereich sind wir Grünen zentral.
       
       Na ja, wenn man Ihren Leitantrag zum Parteitag am Samstag liest,
       überschrieben mit „Zero Waste“, so hätte den auch der SPD-Umweltpolitiker
       Daniel Buchholz schreiben können. 
       
       Stahr: Wir stecken als Grüne in diesem Thema einfach tiefer drin, weil wir
       uns schon so lange damit beschäftigen – das ist grüne DNA. Natürlich gibt
       es bei der SPD auch Umweltpolitiker, aber die kämpfen da gegen Windmühlen.
       Das hat man beim Mobilitätsgesetz gesehen: Ohne die Grünen hätte es das so
       nie gegeben. Dass beispielsweise der Staat den Menschen ermöglicht, ein
       Lastenfahrrad zu kaufen, darauf wäre die SPD doch gar nicht gekommen.
       
       Graf: Es macht einen Unterschied, ob ein Fachpolitiker etwas fordert oder
       die ganze Partei mit Herzblut dafür kämpft. Ich mache zum Beispiel ein
       großes Fragezeichen dahinter, ob ohne uns die ganzen Trinkbrunnen entstehen
       würden, die wir jetzt bauen lassen. Für uns ist es ein zentrales Anliegen
       dieser Legislaturperiode, das Müllaufkommen drastisch zu senken, den
       vorhandenen Müll besser und ökologischer wiederzuverwerten und
       flächendeckend eine entgeltfreie Biotonne einzuführen.
       
       Eine echte Kluft scheint es beim Thema Fahrverbote zu geben: Ihre
       Verkehrssenatorin ist dafür, wenn andere Wege nicht zu weniger Stickoxid
       führen, der Regierende Bürgermeister von der SPD hingegen will sie nicht. 
       
       Graf: Auch der Regierende Bürgermeister wird sich an Recht und Gesetz
       halten müssen. Ich gehe davon aus, dass auch er ein Interesse daran hat,
       die Gesundheit der Menschen an der Leipziger Straße zu schützen. Wir sind
       fest überzeugt, dass wir ihn da überzeugen können, auch wenn wir ein
       bisschen diskutieren müssen.
       
       Stahr: Für uns ist das auch eine Gerechtigkeitsfrage. Zum einen für die
       Dieselfahrer, die hintergangen wurden: Da setzen wir uns auf Bundesebene
       für eine Nachrüstung ein. Auf der anderen Seite wollen wir vor allem Kinder
       und Ältere schützen, die für Stickoxid besonders anfällig sind. Ich finde
       es nicht gerecht, dass Kinder, deren Eltern sich keine Wohnung in einer
       ruhigen Nebenstraße leisten können, kostenlos noch Asthma obendrauf
       bekommen.
       
       Vom tatsächlichen zum politischen Klima: Ein großes Thema zum Start der
       Koalition war gegenseitiger Respekt zwischen den drei Partnern. Hat sich
       das durchhalten lassen? 
       
       Stahr: Natürlich sind wir uns nicht immer alle in allem einig. Aber wir
       leben ja auch davon, dass wir diskutieren und streiten. Wenn wir das nicht
       hätten, würde uns total viel verloren gehen.
       
       Kürzlich hätte sich die Koalition der Papierlage nach einig sein müssen,
       nämlich in der Frage des Familiennachzugs. Im Bundesrat vertrat die SPD
       dann aber eine andere Haltung. Da war die Linkspartei nicht glücklich, und
       Sie wahrscheinlich auch nicht. 
       
       Graf: Da waren wir gar nicht glücklich, das können Sie glauben. Wir konnten
       die Haltung der SPD nicht nachvollziehen. Das hat uns schon sehr getroffen,
       und es hat auch größeren Streit gegeben, aber da muss man dann halt durch.
       
       Ist es da laut geworden? 
       
       Graf: In dem Fall sind wir wirklich laut geworden, weil uns die Sache sehr
       am Herzen liegt.
       
       Die Linkspartei hat sich am letzten Wochenende bei ihrem Parteitag für
       Enteignung ausgesprochen, wenn jemand seine Wohnungen aus
       Spekulationsgründen leer stehen lässt. Machen die Grünen da mit? 
       
       Graf: Natürlich. Das ist ein Unding. Ich gehe manchmal durch einen Komplex,
       da steht die Hälfte der Wohnungen leer. Wohnen und Leben wird zum
       Spekulationsobjekt. Wenn das passiert, dann muss der Staat eingreifen. Oft
       reicht es ja schon, eine Drohung auszusprechen, damit etwas passiert und
       die Wohnungen wieder vermietet werden.
       
       Am Samstag gibt es bei Ihrem Parteitag noch einen zweiten Leitantrag,
       nämlich zu Kitas und Erzieherinnen und Erziehern. Da kann man viele schöne
       Dinge lesen, aber auch das Gefühl haben, dass das alles nicht wirklich neu
       ist. 
       
       Stahr: Es stimmt, die meisten Dinge darin hat irgendwo irgendwer schon mal
       gesagt. Aber wir wollten einfach mal sammeln, womit sich der Erzieherberuf
       attraktiver machen lässt. Bessere Bezahlung unterstützen wir zu 100
       Prozent, und die ist auch essenziell. Aber das allein wird nicht reichen.
       Wir wollen auch gezielt Gruppen für diesen Beruf begeistern, bei denen wir
       noch Potenzial sehen.
       
       Welche? 
       
       Stahr: Zum einen die Männer. Da muss eine gezielte Imagekampagne her.
       Derzeit ist es doch so, dass ein Mann, der Erzieher werden will, komisch
       angeguckt wird und man sich fragt: Was stimmt mit dem nicht?, statt zu
       sagen: Klasse, gute Entscheidung! Es ist ja nicht nur so, dass wir dadurch
       das Personalproblem lösen könnten – es ist auch essenziell für die Kinder,
       dass sie in der Kita vorgelebt bekommen, dass Erziehung nicht nur
       Frauensache ist.
       
       Und die andere Gruppe? 
       
       Stahr: Die Menschen, die zugewandert sind. Es ist doch absurd, dass wir in
       den Kitas zwar viele Kinder mit Migrationshintergrund haben, aber kaum
       Erzieherinnen und Erzieher.
       
       Noch ein Blick auf die neuen Grünen-Bundeschefs: Nach vielen Kontroversen
       um Flügel und Vereinbarkeit mit einem Ministeramt ist es gerade auffällig
       friedlich. Wie ist Ihr Fazit nach fast drei Monaten mit Robert Habeck und
       Annalena Baerbock? 
       
       Graf: Ich bin wirklich sehr begeistert. Die beiden haben sehr viel Elan,
       sie nehmen die ganze Partei mit, sie trauen sich mit wahnsinnig viel Mut,
       die richtigen Fragen zu stellen. Dank der beiden sind die Grünen wieder die
       Programmpartei, in der die zentralen Debatten in dieser Gesellschaft
       ausgetragen werden. Sie fordern die Diskussion ein, und man ist nicht
       gleich der böse Bube, wenn man mal widerspricht.
       
       Und alles vorher, mit dem monatelangen Streit um Flügelzugehörigkeit und
       eine nicht austarierte Besetzung der Doppelspitze – das ist jetzt alles
       vergessen und passé? 
       
       Graf: Die machen das sehr gut, das muss man einfach anerkennen – und ich
       bin ja einer, der das vorher durchaus kritisch sah. Das Gerede vom
       Flügelüberwinden halte ich aber für Quatsch: Große Parteien brauchen immer
       Vorfeldorganisationen. Und da halte ich es für sinnvoll, wenn man Flügel
       hat, die sich an Inhalten orientieren statt an einem Regionalproporz – sie
       dürfen bloß nicht zum Selbstzweck werden. Aber da sind wir in einem
       Reinigungsprozess, und dafür sind die beiden genau die Richtigen.
       
       20 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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