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       # taz.de -- AKP-Außenpolitik: Osmanische Träume
       
       > Die Interessen der türkischen Regierung in Syrien sind Teil eines
       > größeren Plans, meint unser Autor.
       
   IMG Bild: Ex-Premier Ahmet Davutoğlu beim AKP-Kongress 2016
       
       Seit sieben Jahren herrscht Krieg in Syrien, Assad ist nach wie vor an der
       Macht – und die türkische Regierung verfolgt weiterhin ihre Idee eines
       Neo-Osmanismus in Syrien. Die Anbindung von islamischen Ländern des Nahen
       Ostens, Afrikas und des Balkans unter der Ägide der Türkei, so lässt sich
       diese Idee verkürzt wiedergeben. Als Vordenker dieser an vergangene Zeiten
       anknüpfenden Außenpolitik gilt der ehemalige Premier Ahmet Davutoğlu, der
       2016 sein Amt aufgab.
       
       Wenige Monate nach seinem Rücktritt brachten türkische Truppen und die
       Freie Syrische Armee anhand der militärischen Interventionen „Schutzschild
       Euphrat“, und im Januar 2018 mit der „Operation Olivenzweig“ den Nordwesten
       Syriens unter Kontrolle. Der Politiker Recep Tayyip Erdoğan war der Mann,
       der das Konzept des Neo-Osmanismus den Massen zugänglich machen und
       praktisch umsetzen sollte, Ahmet Davutoğlu der Theoretiker.
       
       Nach einer glänzenden akademischen Laufbahn wurde Davutoğlu nach der
       Regierungübernahme der AKP im Jahr 2002 Chefberater des Premierministers –
       zuerst beriet er Abdullah Gül, dann Recep Tayyip Erdoğan. Vom Berater stieg
       Davutoğlu 2009 zum Außenminister auf und wurde 2014, nach der Wahl Erdoğans
       zum Staatspräsidenten, von diesem als AKP-Vorsitzender und Premierminister
       installiert.
       
       ## Schlüsselwort lautet „Zivilisation“
       
       Aus verfassungsrechtlichen Gründen hatte Erdoğan offiziell den
       Parteivorsitz niedergelegt, behielt de facto aber die Kontrolle in der
       Hand. Nach zwei Jahren als Premier musste Davutoğlu infolge diverser
       parteiinterner Interessenskonflikte auf Erdoğans Wunsch hin den
       Parteivorsitz als auch das Amt des Ministerpräsidenten abgeben. Davutoğlus
       bisher nur auf Türkisch erschienener Bestseller „Stratejik Derinlik“
       (Strategische Tiefe) aus dem Jahr 2014 stellt die Politik des
       Neo-Osmanismus ausführlich dar.
       
       Das Schlüsselwort in dem Buch lautet „Zivilisation“. Laut dem Autor haben
       die Kemalisten die Türkei der islamischen Zivilisation entfremdet, um sie
       an die westliche Welt anzubinden. Das habe sich in der Außenpolitik
       gezeigt: in der Abkehr von den ehemals osmanischen Gebieten. Jetzt gelte
       es, die Türkei erneut in die islamische Zivilisation zurückzuführen und
       eine entsprechende Politik zu verfolgen. Mit einer aktiven Außenpolitik auf
       den Gebieten des osmanischen Erbes sollte die Türkei wieder groß werden.
       
       Erklärt wird das aus der Historie des Landes. Nach dem Ersten Weltkrieg
       wurde das Osmanische Reich von den Alliierten besetzt. Mustafa Kemal
       Atatürk, Begründer der türkischen Republik, führte in Anatolien den
       Unabhängigkeitskampf an und beschloss, die Verbindungen zum kulturellen und
       politischen Erbe des Reiches zu kappen. Im Inland schafften er und seine
       Kameraden das Kalifat und Sultanat ab und gründeten eine laizistische
       Republik, deren nationale Verwahrer unter staatlicher Kontrolle stehen
       sollten.
       
       ## Türkei wieder groß machen
       
       Außenpolitisch lösten sie die Bande zum Nahen Osten und wandten sich einer
       realistischen Außenpolitik zu, ohne sich auf Abenteuer in Bezug auf die
       verlorenen Reichsgebiete einzulassen. Später an die Macht gekommene
       nationalistisch-konservative Parteien hatten allesamt ein distanziertes
       Verhältnis zur Republik und zu Atatürk und pflegten eine nostalgische
       Verehrung an vergangene Zeiten.
       
       Sie versprachen ihren Wählern, die Türkei „wieder groß zu machen“, erneut
       ein Weltstaat, eine Imperialmacht, kurz „neue Osmanen“ zu werden. Vor allem
       Anfang der 1990er Jahre, in Zeiten des Zusammenbruchs der Sowjetunion,
       wurde dieses Versprechen häufig formuliert. Nach dem Putsch vom 12.
       September 1980, der die linke Opposition des Landes zerschellte, wurde 1983
       erneut ein Mehrparteiensystem installiert und der rechtskonservative
       Politiker Turgut Özal kam an die Macht.
       
       Özal und die Intellektuellen in seinem Umfeld blickten auf die Turkstaaten
       in Zentralasien, die soeben ihre Unabhängigkeit wiedererlangt hatten, und
       glaubten, gemeinsam mit diesen eine „türkische Union“ bilden zu können, die
       sie als Neo-Osmanismus propagierten. Realpolitik und Machtverhältnisse
       ließen die Umsetzung der Träume nicht zu, das Kapitel wurde geschlossen.
       Bis 2002 die AKP an die Macht kam.
       
       Die ersten Regierungsjahre der AKP vergingen in der Auseinandersetzung mit
       einer als Status-Quo-Bewahrer bezeichneten kemalistischen Gruppe im
       Staatsapparat. In dieser Zeit benutzte die AKP-Führung im Inland einen
       Demokratisierungsdiskurs und behauptete nach außen, die traditionellen
       Probleme der türkischen Außenpolitik (wie Zypern, Griechenland, die
       armenische Frage) mit einer demokratischen Perspektive lösen und mit „Soft
       Power“ den regionalen und globalen Einfluss der Türkei erhöhen zu wollen.
       
       ## Vom EU-Beitrittsprozess zum Neo-Osmanismus
       
       Zugleich beschleunigten sie, wiederum im Namen der Demokratisierung, den
       Beitrittsprozess zur EU. In den Folgejahren zeigte sich allerdings, dass
       die AKP den Demokratisierungsdiskurs AKP kehrte zur wahren Identität zurück
       als Instrument benutzt hatte, um ihre Konkurrenten auszusortieren und den
       Staatsapparat vollständig unter Kontrolle zu bekommen. Innenpolitisch
       kehrte die AKP in dieser Phase zu ihrer wahren Identität zurück und wandte
       sich in Rhetorik und Praxis erneut dem Islamismus zu. Außenpolitisch, vor
       allem im Zuge des Arabischen Frühlings, begannen sie eine „neo-osmanische“,
       imperiale Politik zu verfolgen, im Rahmen derer sie sich ihrem direkten
       Nachbarn Syrien zuwandten.
       
       Im Zuge des Arabischen Frühlings kamen in Ländern wie Tunesien, Ägypten,
       Libyen und Syrien die Muslimbrüder an die Macht oder gewannen zumindest
       deutlich an Einfluss. Erdoğan und Davutoğlu träumten davon, Führungsstaat
       des „Gürtels der Bruderschaft-Regime“ zu werden und die Osmanen wieder
       auferstehen zu lassen. Syrien war dafür ein willkommener Grund. Den aus
       aller Welt herbeiströmenden Dschihadisten öffnete die Türkei die Grenzen,
       es wurden Ausbildungscamps eingerichtet und die dort Ausgebildeten mit
       finanzieller Unterstützung der Golfmonarchien nach Syrien geschleust, um
       Assad zu stürzen.
       
       Dies jedoch allein aus taktischen Gründen. Denn die Beziehungen der Türkei
       zur USA und zu Europa sind schlecht bis fragil. So kam es in letzter Zeit
       zu einer konjunkturellen Annäherung mit Assads Verbündeten Russland und
       Irak. Erdoğan verweigert aber jede Art von Verhandlungen mit Assad, den er
       nach wie vor als „Mörder und Terroristen“ bezeichnet. Das zeigt, dass das
       genannte Bündnis nicht auf Dauer angelegt, sondern pragmatischer Natur ist.
       Sollte ein neuer Vorstoß zum Sturz von Assad unternommen werden, könnte
       sich die AKP erneut in der Sache engagieren. Denn bereits jetzt sind auf
       den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Syrien öffentliche Verwalter
       aus der Türkei eingesetzt.
       
       Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
       
       11 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fatih Yaşlı
       
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