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       # taz.de -- Ausverkauf der Landwirtschaft: Die Verräter vom Bauernverband
       
       > Viele Agrarbetriebe in Ostdeutschland gehen an Großinvestoren. Die
       > Politik könnte gegensteuern, scheitert aber an der Bauernlobby.
       
   IMG Bild: Wem gehören die Felder? Wintergerste-Ernte in Thüringen
       
       Berlin taz | Es ist schon merkwürdig: Seit Jahren kaufen überregionale
       Großinvestoren immer mehr ostdeutsche Agrarbetriebe. Die Folge: Bauern aus
       der Region oder Neueinsteiger, die ihre Flächen vergrößern wollen, gehen
       leer aus. Sie können im Bieterwettstreit mit Unternehmen wie der Münchner
       Rückversicherung oder der Stiftung der Industriellenfamilie Zech nicht
       mithalten.
       
       Die Preise für den Boden steigen in Höhen, die für kleine Höfe
       unerschwinglich sind. Der Wohlstand wird immer ungleicher verteilt: Große
       Betriebe kommen im Schnitt mit weniger Arbeitskräften pro Hektar aus, und
       die Dörfer, deren Bewohner auf die Arbeitsplätze angewiesen sind, werden
       immer leerer.
       
       Doch der Bauernverband blockiert hartnäckig Gesetze, die den Ausverkauf der
       Landwirtschaft an überregionale und sehr große Investoren bremsen sollen.
       Offenbar auch, weil manche Lobbyisten mit den Konzernen unter einer Decke
       stecken. Diesen Verdacht legen mehrere Verkäufe von Agrarunternehmen nahe.
       Sie zeigen, dass aktuelle oder ehemalige Funktionäre des Bauernverbands vom
       Ausverkauf der Landwirtschaft profitieren.
       
       Zum Beispiel Urban Jülich. Er ist [1][Vorsitzender des Bauernverbands im
       Landkreis Börde] in Sachsen-Anhalt und [2][Eigentümer eines großen
       Betriebes] mit Ackerbau, Sauenhaltung und Biogasanlage. Aber das reicht dem
       50-Jährigen nicht: Nun will Jülich gemeinsam mit dem Unternehmer und
       [3][CDU-Landesschatzmeister Karl Gerhold] „die Masse der Anteile“ der Firma
       Agro Bördegrün kaufen, wie deren Geschäftsführer Ronald Westphal der taz
       sagte.
       
       Westphal ist selbst Mitglied im Vorstand des Kreisbauernverbands. „Geplant
       ist ein Erwerb von 94 Prozent der Anteile. Ziel ist ein Erwerb von 100
       Prozent. Dazu bedarf es noch einer abschließenden Abstimmung mit einem der
       Gesellschafter“, schrieb Gerhold der taz. Der Kaufpreis ist geheim, dürfte
       aber einige Millionen Euro betragen.
       
       ## Große Player werden größer
       
       Bördegrün ist ein riesiger Agrarbetrieb mit nach eigenen Angaben [4][mehr
       als 3.800 Hektar] Ackerland, also etwa 60-mal so viel wie der
       durchschnittliche Hof in Deutschland hat, der laut Statistischem Bundesamt
       [5][nur 62 Hektar bewirtschaftet.] Bördegrün hat auch eine eigene
       Tankstelle, eine Werkstatt mit Landmaschinenservice und Biogasanlagen. Im
       Geschäftsjahr 2016/2017 machte die Firma rund 13 Millionen Euro Umsatz –
       eine stolze Summe für ein landwirtschaftliches Unternehmen.
       
       Der geplante Deal macht also einen großen Player noch viel größer. Die
       Konzentration landwirtschaftlicher Flächen im Bördekreis wächst erheblich.
       Denn kein Betrieb in der Nähe kann es mit den Hektarzahlen von Bördegrün
       aufnehmen. Außerdem würde durch den Verkauf ein Gutteil der Gewinne aus dem
       armen Dorf Niederndodeleben in Sachsen-Anhalt, wo Bördegrün firmiert,
       künftig in das ohnehin schon wohlhabendere Hannover fließen.
       
       Denn dort sitzt die Getec Immobilien GmbH, über die der CDU-Unternehmer
       Gerhold sich an Bördegrün beteiligen will. Und Niedersachsens Hauptstadt
       ist auch Hauptwohnsitz Gerholds, wie er selbst bestätigt.
       
       Gerhold ist der Eigentümer des Energiedienstleisters Getec, ein Konzern mit
       zahlreichen Firmen und [6][mehr als 1.100 Mitarbeitern.] Die Gruppe nahm
       2015 laut Geschäftsbericht rund [7][783 Millionen Euro] ein und war außer
       in Deutschland zum Beispiel in den Niederlanden, der Schweiz, Österreich
       und Tschechien aktiv. Ein überregionaler Investor also, der außer durch
       Biogasanlagen bislang nicht viel mit Landwirtschaft zu tun hat.
       
       Daran ändert auch Gerholds Verteidigung nichts. Er sei auch „als Landwirt
       eingetragen“, rechtfertigte er sich, und habe bereits „einige kleinere
       Flächen im Eigentum beziehungsweise angepachtet“. Zudem habe er mit den
       Gewinnen seiner Hannoveraner Firmen „vorzugsweise Investitionen in
       Magdeburg wie in ganz Sachsen-Anhalt getätigt“.
       
       Jülich und Westphal sind nicht die ersten Bauernverbandsgrößen, die bei
       solchen umstrittenen Verkäufen verdienen. Ende 2016 übernahmen Mitglieder
       der Industriellendynastie Merckle die Agrargenossenschaft Jürgenshagen im
       Landkreis Rostock – laut Medienberichten im Jahr 2017 ein Großbetrieb mit
       [8][rund 2.700 Hektar]. Der Merckle-Clan besitzt bereits mehrere andere
       große Agrarfirmen in der Region, unter anderem den Nachbarbetrieb der
       Genossenschaft.
       
       Einer der Genossen, die verkauft haben, ist der ehemalige Geschäftsführer
       Michael Constien. Er war von 2000 bis 2006 Vizepräsident des Bauernverbands
       Mecklenburg-Vorpommern und ist immer noch ein einflussreicher
       Strippenzieher für die Interessen der Organisation. Kritik an dem Deal
       weist Constien zurück. Die Käufer würden den Betrieb erhalten, der
       zuständige Vorstandsvorsitzende sei vor Ort, „das ist nämlich der Nachbar“,
       sagt er, „es bleibt Agrargenossenschaft“.
       
       ## „Ungesunde Verteilung des Grund und Bodens“
       
       Im brandenburgischen Niedergörsdorf verkaufte Siegfried Schütze 2007 nach
       eigenen Angaben seinen Betrieb Nuthequelle an eine Tochter der Steinhoff
       Familienholding. Diese Firmengruppe ist einer der größten Agrarlandbesitzer
       Deutschlands und an dem Möbelkonzern [9][Steinhoff International Holdings]
       beteiligt, der angibt, 12.000 Geschäfte in über 30 Ländern zu besitzen.
       Schütze ist ein früheres Präsidiumsmitglied des Landesbauernverbands
       Brandenburg. Bis 2009 war er Geschäftsführer der Nuthequelle, er arbeitete
       also noch zwei Jahre für Steinhoff. „Wer soll denn das übernehmen? Wer hat
       denn das Kapital? Das sind nun mal nur Investoren aus anderen Bereichen“,
       sagte Schütze der taz.
       
       Eigentlich können die Behörden laut [10][Grundstücksverkehrsgesetz] Käufe
       von Agrarland verhindern, wenn dadurch eine „ungesunde Verteilung des Grund
       und Bodens“ entsteht. Sie müssen sogar Nein sagen, wenn der Käufer nicht
       Landwirt ist und ein Bauer die Fläche benötigt. Aber diese Regeln gelten
       nicht, wenn nicht direkt Land verkauft wird, sondern Firmen, die Eigentümer
       dieser Flächen sind.
       
       Dieses Schlupfloch wollte Hermann Onko Aeikens (CDU) mit einem
       Agrarstrukturgesetz schließen, das er 2015 als damaliger
       Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt vorschlug. Auch für Verkäufe von
       Unternehmensbeteiligungen sollten Genehmigungen der Agrarbehörden nötig
       sein, wenn das Vermögen der Firma zu mindestens 40 Prozent aus
       landwirtschaftlichen Flächen besteht und der Käufer mindestens 40 Prozent
       der Firma halten will.
       
       ## Bündnis zwischen CDU und Bauernverband
       
       Doch allen voran der [11][Bauernverband blockierte] das Vorhaben. Eine
       Genehmigungspflicht für den Verkauf von Anteilen an Agrarfirmen brandmarkte
       er als „einen zu weit gehenden Eingriff in die Berufs- und Grundfreiheit“.
       Wenig später [12][gab Aeikens das Projekt auf]. Zu wichtig ist das
       traditionelle Bündnis zwischen CDU und Bauernverband.
       
       Auch der Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern wehrt sich gegen einen
       ähnlichen Gesetzentwurf des dortigen Agrarministers Till Backhaus. Und der
       SPD-Politiker sagte überraschend ehrlich in der Ostsee-Zeitung: „[13][Ich
       entscheide nicht gegen den Bauernverband].“ In anderen Ländern seien
       Verantwortliche „wegen ähnlicher Gesetze durch die Bauern abgewählt
       worden“.
       
       Auf einem Bauerntag Anfang April wurde die Interessenlage im Verband sehr
       deutlich: Backhaus forderte die Lobbyisten laut NDR auf, bei der Übergabe
       von Betrieben mehr an die nächste Generation und den Erhalt einer
       bäuerlichen Landwirtschaft zu denken als an das Kapital. Verbandschef
       Detlef Kurreck entgegnete, der Ausverkauf des Ostens finde seit 28 Jahren
       statt. [14][„Jetzt verdienen erstmals Ossis“] – und es gebe einen
       Aufschrei, klagte er.
       
       ## Vor der Rente noch so viel mitnehmen, wie möglich ist
       
       Die meisten Meinungsbildner der Landesbauernverbände im Osten seien eben
       Geschäftsführer von Betrieben, die aus den riesigen Landwirtschaftlichen
       Produktionsgenossenschaften (LPG) der DDR entstanden seien, erläutert
       Kurt-Henning Klamroth, der Präsident des Deutschen Bauernbunds, eines
       kleinen Konkurrenten des Bauernverbands. „Jetzt gehen die langsam alle in
       Rente. Sie wollen eine Abfindung und einen Preis für ihren
       Gesellschaftsanteil, den kein normaler Bauer bezahlen kann. Deshalb haben
       die überhaupt nichts dagegen, wenn da außerlandwirtschaftliches Kapital
       mitbietet. So erhöhen die ihre Rente“, sagt Klamroth.
       
       Der Deutsche Bauernverband weist diese Vorwürfe zurück. „Wir vertreten
       nicht die Interessen der branchenfremden Investoren“, teilt Generalsekretär
       Bernhard Krüsken der taz mit – nur um das gleich zu relativieren: Es gebe
       ja auch Beispiele, „wo sich Investoren mit ihren erworbenen Betrieben in
       der Region integriert haben“. Mit dem Bodenrecht könne man da nicht so
       leicht differenzieren.
       
       In Sachsen-Anhalt führt eine Grüne das Agrarministerium: Claudia Dalbert.
       Aber sie scheint von den Koalitionspartnern CDU und SPD schon ausgebremst
       zu werden. Die [15][Koalitionsvereinbarung] versprach noch „Regelungen für
       Geschäftsanteilsverkäufe“. Auf taz-Anfrage hat Dalbert nun einen Rückzieher
       gemacht. Es soll lediglich „geprüft werden, inwieweit Regelungen zum
       Anteilsverkauf in das modifizierte Bodenrecht einbezogen werden“. Die alten
       LPG-Chefs dürften erst mal ungestört weiter Kasse machen.
       
       19 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://bauernverband-boerde.de/?page_id=20
   DIR [2] https://www.bauernzeitung.de/agrarticker-ost/sachsen-anhalt/bauernverband-boerde-fuehrungswechsel/
   DIR [3] http://www.cdulsa.de/landesvorstand
   DIR [4] http://www.boerdegruen.de/page1.php
   DIR [5] https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/LandwirtschaftlicheBetriebe/Tabellen/BetriebsgroessenstrukturLandwirtschaftlicheBetriebe.html#FussnoteA
   DIR [6] http://www.getec.de/de/presse-news/pressemitteilungen/ista-und-getec-starten-neue-partnerschaft.html
   DIR [7] http://www.getec.de/upload/dokumente/presse-news/geschaeftsberichte/getec_gb_2015_DE_web.pdf
   DIR [8] https://www.svz.de/lokales/buetzower-zeitung/ein-junger-mann-an-der-spitze-id15863726.html
   DIR [9] http://www.steinhoffinternational.com/who-we-are-and-what-we-do.php
   DIR [10] https://www.gesetze-im-internet.de/grdstvg/BJNR010910961.html
   DIR [11] http://www.lbv-sachsenanhalt.de/?p=688
   DIR [12] https://www.bauernzeitung.de/agrarticker-ost/sachsen-anhalt/agrarstrukturgesetz-auf-eis-gelegt/
   DIR [13] http://www.ostsee-zeitung.de/Nachrichten/MV-aktuell/Es-geht-nur-ums-Geld
   DIR [14] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Landwirte-in-MV-erwarten-schwieriges-Jahr,bauerntag184.html
   DIR [15] https://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/StK/STK/Dokumente/Koalitionsvertrag2016-2012.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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