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       # taz.de -- Klimapolitik der EU: 55 ist das neue 40
       
       > Wenn die EU gegen die Erderwärmung vorgehen will, muss sie den
       > Emissionshandel verschärfen. Zertifikate wären dann deutlich teurer als
       > heute.
       
   IMG Bild: Trägt zuverlässlich seinen Teil zum Emissionsaufkommen bei: BASF in Ludwigshafen
       
       Berlin taz | Wenn Brüssel Das Klimaabkommen von Paris ernst nimmt, dann
       muss die Europäische Union etwas tun. Gerade erst, am 9. April, ist die
       EU-Richtlinie zum Emissionshandel für 2021 bis 2030 in Kraft getreten, da
       müsste sie schon wieder drastisch verschärft werden. Denn das europäische
       Ziel im Klimaschutz, bis 2030 die CO2-Emissionen um mindestens 40 Prozent
       gegenüber 1990 zu senken, müsste auf minus 55 Prozent angepasst werden,
       wenn die EU ihre Zusagen aus dem Pariser Klimaabkommen erfüllen will.
       
       Das ist das Ergebnis einer Berechnung, die der Finanz-Thinktank Carbon
       Tracker Initiative [1][am Donnerstag präsentiert] hat. „Wenn Europa seine
       Verpflichtungen einhalten will, muss es früher oder später diese harten
       Entscheidungen fällen“, sagte Studienautor Mark Lewis zur taz.
       
       Lewis hat bis vor Kurzem für die Barclays Bank und die Deutsche Bank zu
       diesen Themen gearbeitet. Nun hat er zum ersten Mal durchgerechnet, was das
       Pariser Klimaziel – den Klimawandel bis 2100 deutlich unter 2 Grad Celsius
       zu halten und 1,5 Grad anzustreben – für das wichtigste EU-Instrument im
       Klimaschutz bedeutet: den Emissionshandel. Nähme die EU den Klimaschutz
       ernst, würden sich bis 2030 die Preise für eine Tonne CO2 auf den
       europäischen Märkten vervierfachen, prognostiziert er. „2030 würde der
       Preis etwa bei 40 bis 45 Euro liegen“, sagt Lewis.
       
       Beim derzeit gültigen Ziel von 40 Prozent erwarten die Analysten allgemein
       dagegen höchstens 30 Euro für 2030. Die höheren Preise bei einem
       55-Prozent-Ziel jedenfalls wären „bis 2030 das Ende für Stein- und
       Braunkohle in Deutschland“, so Analyst Lewis.
       
       Am Emissionshandel nehmen 12.000 EU-Unternehmen vor allem aus der Energie-,
       Stahl-, Chemie- und Zementbranche teil, die etwa 45 Prozent der
       europäischen Emissionen verursachen. Für jede Tonne CO2, die sie
       verursachen, brauchen sie Zertifikate, mit denen sie handeln können. Wegen
       eines riesigen Überangebots von knapp drei Milliarden Zertifikaten waren
       die Preise dafür bislang im Keller.
       
       ## 14 Euro für die Lizenz für eine Tonne CO2
       
       Das hat sich mit der neuen EU-Richtlinie bereits geändert. Von gut vier
       Euro ist die Lizenz für eine Tonne CO2 auf derzeit etwa 14 Euro gestiegen.
       Denn die EU hat sich für die Zeit von 2021 bis 2030 auf Reformen geeinigt:
       Jedes Jahr wird ein Viertel der Überschüsse durch die
       „Marktstabilitäts-Reserve“ (MSR) dem Handel entzogen und die Obergrenze für
       die Emissionen sinkt schneller. Allerdings bei weitem nicht schnell genug:
       Statt eines Reduktionstempos von 2,2 Prozent jährlich, wie jetzt
       beschlossen, fordert etwa auch das Umweltbundesamt, die Reduktion müsste
       pro Jahr 2,6 Prozent betragen, um ein ähnliches Klimaziel wie die Carbon
       Tracker zu erreichen.
       
       Von der EU-Kommission gibt es offiziell keine Zeichen, dass eine so
       drastische Verschärfung bald möglich wäre. „Unser Beitrag zum Pariser
       Abkommen ist die Reduzierung um 40 Prozent“, sagte eine Sprecherin der
       Kommission auf Anfrage. Derzeit verhandele man mit den EU-Staaten über neue
       Ziele für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Da könnten die Länder
       gern ehrgeizig sein und die 40 Prozent übertreffen. „Eine Festlegung auf 55
       Prozent ist derzeit politisch nicht durchsetzbar“, heißt es aus dem
       Europäischen Rat.
       
       Allerdings wissen auch alle, dass Europa mehr Anstrengungen braucht. Am
       Mittwoch berieten darüber Vertreter von EU-Ländern wie Frankreich,
       Deutschland, Schweden und den Niederlanden in Paris. WWF-Klimaexperte
       Michael Schäfer forderte ebenfalls 55 Prozent, denn „40 Prozent sind viel
       zu niedrig für einen fairen Anteil am Pariser Abkommen“. Erst im März hat
       der Rat die Kommission beauftragt, eine Langfriststrategie zu entwickeln,
       mit der bis 2050 die Paris-Ziele erreicht werden sollen. „Daran arbeiten
       wir“, heißt es aus der EU-Kommission.
       
       Manche Länder fordern bereits ein schnelleres Tempo: Im März erklärte der
       niederländische Premier, die EU solle das 55-Prozent-Ziel in den Blick
       nehmen. Und wenn die deutsche „Strukturkommission“, die dieser Tage
       gebildet werden soll, zum Jahresende einen Fahrplan für den Kohleausstieg
       erarbeiten soll, hat sie ebenfalls diese magischen Zahlen im Blick: 55
       Prozent weniger CO2-Emissionen aus Deutschland bis 2030.
       
       26 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.carbontracker.org/reports/carbon-clampdown/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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