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       # taz.de -- Bundesstraße gesperrt: Der Falter ist schuld
       
       > Im Kreis Holzminden wird eine Bundesstraße wegen eines Schmetterlings
       > wohl jahrelang gesperrt. Die Behörden müssen nun Alternativen finden.
       
   IMG Bild: Mag bröckelnde Felsen: Der Nachtfalter Spanische Flagge
       
       HAMBURG taz | Die Schuldfrage wäre schon mal geklärt. Es ist der
       Schmetterling, genauer: die Spanische Flagge. So wird der Falter genannt,
       der in Niedersachsen nur an Südhängen entlang der Weser vorkommt. Die
       liegen im Naturschutzgebiet Mühlenberg bei Pegestorf im Kreis Holzminden.
       
       Unter diesen bis zu 80 Meter hohen Felswänden aus Muschelkalk verläuft die
       Bundesstraße 83. Für Autofahrer könnte es dort gefährlich werden, haben
       Gutachter nun festgestellt. Felsbrocken mit einem Gewicht von bis zu über
       50 Tonnen drohen herabstürzen, heißt es. Die Straße wird deshalb auf einem
       Abschnitt von 1,5 Kilometern voll gesperrt vermutlich noch vor Pfingsten.
       
       Holzmindens Landrätin Angela Schürzeberg (SPD) spricht von einer
       „Katastrophe“ für die Region. „Für eine Katastrophe halte ich das nicht“,
       sagt hingegen Uta Weiner-Kohl, stellvertretende Geschäftsführerin der
       Niedersachsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr in Hameln. „Aber
       für diejenigen, die betroffen sind, ist es eine erhebliche Einschränkung.“
       
       Betroffen sind Pendler, Unternehmen und Schüler. Derzeit werden
       Umleitungsstrecken und Buslinien geplant, Anfahrtswege von Rettungsdiensten
       und Feuerwehren neu berechnet. Denn die Vollsperrung ist keine
       kurzfristige, sondern wird vermutlich mehrere Jahre dauern.
       
       Ulrich Thüre, stellvertretender Geschäftsführer des Nabu Niedersachsen,
       nennt die geplante Vollsperrung der B 83 „einen Fall für sich“. Er wundert
       sich über den plötzlichen Handlungsdruck. „Arten wie die Spanische Flagge
       gibt es da nicht seit gestern und auch die Felswände stehen dort schon ein
       bisschen länger.“ Solche Felsformationen müssten unter ständiger
       Beobachtung stehen und auch Naturschutzorganisationen müssten bei
       Bauvorhaben einbezogen werden.
       
       Markus Brockmann von der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr
       bestätigt, dass der betroffene Abschnitt der B 83 kein plötzlich
       aufgetretenes Problem ist. „Schon seit den 60er-Jahren bröckelt es dort“,
       sagt er. Bisher entfernten Kletterer regelmäßig lose Steine in den Wänden
       und heruntergefallene wurden entfernt.
       
       Um eine Alternative für die Sicherung des Mühlenbergs zu finden, wurde
       bereits 2011 ein Gutachter beauftragt. Die Felswände wurden per Laser
       untersucht. Der Experte empfahl damals, die Felswände mit Ankern und Netzen
       zu sichern. Doch dies kommt nicht infrage.
       
       Der Mühlenberg ist ein europäisches Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH). Neben
       der Spanischen Flagge findet man dort auch andere gefährdete Tiere wie die
       Schlingnatter oder den Uhu. Das 15 Hektar große Gebiet unterliegt damit den
       FFH-Richtlinien – und die untersagen Eingriffe wie die Verankerung von
       Felswänden.
       
       Aus dem Gutachten 2011 ging auch hervor, dass kein dringender
       Handlungsbedarf bestehe, sagt Brockmann. Ein neues, wenige Wochen altes
       Gutachten schätzt die Lage am Mühlenberg allerdings ganz anders ein. Nach
       dem neuen Gutachten muss dringend gehandelt werden.
       
       Die Sperrung sei zum jetzigen Zeitpunkt alternativlos, sagt Brockmann.
       Neben kurzfristigen Maßnahmen wie einer Betondecke über der Straße könnte
       das Land Niedersachsen eine Ausnahmegenehmigung für die Felsverankerung bei
       der EU-Kommission in Brüssel beantragen. Doch dies würde vermutlich mehrere
       Jahre dauern, so Brockmann. Und solange es Alternativen gebe, hätte diese
       Anfrage wenig Aussicht auf Erfolg. Eine Alternative sieht eine
       Umgehungsstraße über die Weser vor. Kostenpunkt: 30 bis 35 Millionen. Doch
       das Geld muss der Bund freigeben.
       
       „Wir müssen mehrgleisig fahren, es geht darum, die Straße so schnell wie
       möglich wieder freizugeben, aber wir sprechen hier nicht von Wochen,
       sondern von Jahren“, sagt Markus Brockmann.
       
       Das sorgt für ordentlich Unmut, von „menschenfeindlichem Unsinn“ ist in
       Online-Kommentaren die Rede und: „Insektenschützer regieren unser Land!“
       Auch Markus Brockmann ist sich sicher: „Die Frage ‚Mensch vor Natur‘ wird
       in diesem konkreten Fall sicherlich noch eine Rolle spielen.“
       
       27 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juliane Preiß
       
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