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       # taz.de -- Hamburgs Psychiatrie arbeitet NS-Zeit auf: Gedenkort für Euthanasie-Opfer
       
       > Während die Behindertenanstalten Hamburg-Alsterdorf längst
       > Stolperschwelle und Gedenkmaterial haben, öffnet sich die Klinik
       > Ochsenzoll erst jetzt.
       
   IMG Bild: Bekommt endlich einen den 2.700 Euthanasie-Toten angemessenen Gedenkort: Klinik Ochsenzoll
       
       Hamburg taz | Die Psychiatrie Ochsenzoll in Hamburg-Langenhorn war anders
       als die anderen. Deren Personal verhehlte währnend der NS-Zeit nicht, dass
       sie sich der Euthanasie – der Vernichtung vermeintlich „unwerten“ Lebens –
       sowie massenhaften Zwangssterilisationen verschrieben hatte. Dort nannte
       man nicht verharmlosend „wirtschaftlich notwendige Maßnahme“, was 1939 bis
       1945 geschah: Über 3.600 Patienten wurden aus Ochsenzoll in
       Tötungsanstalten wie Brandenburg, Berneburg und Hadamar deportiert, 2.600
       von ihnen im Zuge der berüchtigten „Aktion T4“ vergast.
       
       Dazu kamen 500 Todesopfer aus den Alsterdorfer Behindertenanstalten:
       Hamburg war sehr eifrig, wenn es darum ging, das nationalsozialistische
       „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ umzusetzen. Schon 1940
       erklärte der damalige Gesundheitssenator Friedrich Ofterdinger auf einer
       Gesamt-Ärztekonferenz sehr klar, dass „die Unheilbaren und nicht mehr
       Arbeitsfähigen zur Euthanasie selektiert“ werden sollten.
       
       „Nur eine Oberkrankenschwester hat damals gesagt, dass sie nicht mitmacht.
       Sie hat keinerlei Sanktionen bekommen“, sagt Michael Wunder, Leiter des
       Beratungszentrums Alsterdorf. Seiner Initiative ist es zu danken, dass es
       in Alsterdorf inzwischen eine Gedenktafel, eine Stolperschwelle sowie
       Filmmaterial und ein Gedenkbuch für die Euthanasie-Opfer gibt.
       
       In Ochsenzoll dagegen hat Wunder vor neun Jahren eine winzige Gedenktafel
       ertrotzt, weiter nichts. „Diese Institution hat einfach nicht
       aufgearbeitet, das war ein stetiges Schwimmen gegen den Strom“, sagt er.
       Erst nach der Privatisierung des Krankenhauses, das zuvor dem Landesbetrieb
       Krankenhäuser angehörte (LBK), habe sich das geändert.
       
       ## Zivilgesellschaft initiierte Gedenkort
       
       Dass am kommenden Mittwoch, den 2.5.2018, drei große Stelen direkt vor dem
       Verwaltungsgebäude in Ochsenzoll eingeweiht werden können, ist auch der
       Mithilfe der Stolperstein-Initiative zu verdanken. Die hatte Hamburgs Senat
       empört gefragt, warum Hamburg immer noch keinen zentralen Gedenkort für
       Euthanasie-Opfer habe.
       
       Der Senat initiierte und förderte daraufhin erstens eine Abteilung über
       NS-Verbrechen im medizinhistorischen Museum des Uni-Klinikums Eppendorf
       (UKE). Zweitens ließ er ein „Totenbuch“ mit den Namen aller Hamburger
       Euthanasie-Opfer erstellen, das Ende 2017 erschien.
       
       Und drittens finanzierte er den jetzt eröffnenden Gedenkort in Ochsenzoll.
       Auf dessen Stelen wird man auch Zitate von Ärzten und Pflegern aus den
       NS-Verbrecher-Prozessen der britischen Alliierten 1946 im Hamburger
       Curiohaus lesen können. „Wir haben immer die abzuliefernden Zahlen
       bekommen. Dann mussten wir auswählen, wer selektiert wurde“, hat da zum
       Beispiel ein Pfleger gesagt. „Aber das fiel uns nicht schwer, weil viele ja
       so krank waren.“
       
       30 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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