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       # taz.de -- Debatte Söder und das Kreuz-Symbol: Heimat müsst ihr selbst machen
       
       > Es gibt Widerstand gegen das bayrische Pseudo-Symbol für Heimat. Doch was
       > muss passieren, damit solche Kämpfe in Zukunft unnötig werden?
       
   IMG Bild: Nein kein Plus, ein Kreuz – für Söder Heimat pur
       
       Die Frage ist im Kern doch, wer das hier alles verteidigt und wann, und nun
       sehen wir es gerade an der Kreuzaufhängdebatte des Markus Söder. [1][Der
       gestaltet seine Heimat und will Kreuze aufhängen in Amtsstuben.] Gar nicht
       so sehr als religiöses Bekenntnis, wie er behauptet, sondern als Zeichen
       von Heimat. Das ist zwar überwiegend rechtswidrig, aber er kann es machen,
       denn er gestaltet seine Heimat selbst.
       
       Wir müssen sie ihm wegnehmen, natürlich, doch auf die schöne Art, sodass
       hinterher noch die Blümchen stehen in Bayern und nichts schlechter geworden
       ist, sondern manches besser.
       
       Es gibt in der Geschichte politischer Kämpfe zwei unterschiedliche
       Anspruchshaltungen, die es stets zu betrachten lohnt, wenn es um das
       Verändern geht. Zum einen den Behauptungsanspruch. Zum andern den
       Gestaltungsanspruch. Die sogenannte Linke beschäftigt sich gerne mit der
       Behauptung. Das ist schon mal nicht schlecht. Sie behauptet manchmal und
       beklagt häufig und bekämpft allerlei – aber dabei geht ihr derzeit etwas
       verloren, das sie noch nie ganz besessen hat. Es sind die Institutionen.
       
       Bekanntlich verhält es sich so, dass immer derjenige die Kreuze aufhängen
       kann, der die Hämmer und die Dübel dazu hat, vor allem aber braucht es die
       Wände. Hier nützt keine Behauptung, nur die blanke Tat und der echte
       Besitz.
       
       Die Frage ist also: Wenn Markus Söder die Kreuze aufhängt – wer nimmt sie
       denn dann wieder ab? Die Antwort darauf ist einfach: Du und deine Kinder.
       Aber ihr müsst schon auch. Denn der lange Kampf um die Institutionen geht
       langsam verloren.
       
       Heimat passiert nicht irgendwie.Heimat ist nicht einfach da.Heimat kann man
       nicht wegreden.Heimat müsst ihr selber machen.
       
       Heimat, das ist ja eine Erfahrung. Und es ist übrigens richtig, sie von
       Bayern aus zu denken. Jenseits dogmatischer Vorbehalte gibt es schließlich
       zunächst überhaupt keinen Grund, etwa gegen ein Heimatministerium zu sein,
       wenn es in gutem Sinne Heimat bietet. Wer mal in Bayern war oder dort
       wohnt, weiß, was das – jedenfalls auch – bedeuten kann: regionale
       Wertstoffketten, intakte Naturräume, florierender Einzelhandel in
       Fußgängerzonen, hübsche Häuser, die nicht nur zweckdienlich, sondern auch
       einladend sind – und Leute, die ihren Müll nicht auf die Straße kippen.
       
       Die Bayern haben schon immer gewusst, dass es sich lohnt, daran zu
       arbeiten. Sie pflanzen deshalb, zum Beispiel, Blumen. Sie reden mit ihren
       Nachbarn und helfen sich. Was soll, grundsätzlich, gegen eine solche Heimat
       einzuwenden sein?
       
       Diese Heimat, die ein gutes, regionales Leben verspricht und in den
       Kommunen häufig auf Solidarität und Hilfsbereitschaft aufbaut, hat sogar
       eine eigene Regierung. Diese Heimat ist der Grund, warum Markus Söder als
       Regierungschef überall Kreuze aufhängen kann und alle mitmachen werden.
       
       ## Die Menschen müssen sich organisieren
       
       Was also soll nun gegen sie einzuwenden sein – wenn sie nicht andere
       ausschließt? Ihr einziger Fehler ist, dass sie das tut. Das Kreuz ist ein
       Zeichen davon. Darüber zu schimpfen ist richtig und nützt wenig.
       
       Es ist ja so, dass die großen Befreiungsbewegungen der jüngeren deutschen
       Geschichte – die sexuelle Befreiung, die ökologische Transformation und der
       Mauerfall – in die gesellschaftliche Vereinsamung geführt haben. An ihrem
       Anfang stand das Recht auf Selbstbestimmung. An ihrem Ende, das ist sehr
       gut, steht der selbstverständliche Anspruch darauf, als Mensch vom Staat
       möglichst in Ruhe gelassen und als Frosch beschützt zu werden. Doch gerade
       in Ostdeutschland sehen wir, auch heimattechnisch betrachtet, was die
       Nebeneffekte dieser Freiheitsversprechen waren: dass sich die Gesellschaft
       und die Menschen nach marktwirtschaftlichen Kriterien sortiert haben.
       
       Der Anspruch also, als Mensch in Ruhe gelassen zu werden, führte auch in
       die Isolation, weil er positiv beantwortet wurde: Der Staat ist auf dem
       Rückzug. Er lässt den Menschen in Ruhe. Zurück bleibt der Mensch, der sich
       organisieren muss, aber das Organisieren verlernt hat.
       
       Natürlich gibt es in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auch
       unterschiedliche Bezüge zu Organisation, zu Einheit und Institution. Die
       gesellschaftliche Linke, die der Institution oft mit Skepsis begegnet,
       hatte es seltener nötig, sich zu organisieren, auch weil sie, jedenfalls in
       den letzten Jahrzehnten, meist selbst aus dem Bürgertum stammte.
       
       ## Institutionen besetzen gegen die Rechte
       
       Die gesellschaftliche Rechte dagegen hat, umso mehr in den entlegenen
       Regionen dieser Republik, lange die Notwendigkeit erkannt, sich zu
       organisieren. Sie tut das auch. Es begann mit der Selbstorganisation. Nun
       ist sie in den Institutionen angekommen.
       
       So ist ein neuer Kampf um die Institutionen im Gange. Die Autoritären
       scheinen ihn zu gewinnen. Das Kreuz in Bayern ist nur eine Lautverschiebung
       in diesem Kräftemessen. In Polen, in Ungarn und in Österreich wurde dieser
       Kampf bereits verloren.
       
       Im März dieses Jahres ließ der Innenminister in Österreich, der rechte
       FPÖ-Politiker Herbert Kickl, das ihm selbst unterstellte [2][Bundesamt für
       Verfassungsschutz durchsuchen]. Am Ende des Tages kassierten die Ermittler
       zahlreiche Dokumente ein aus der Abteilung Rechtsextremismus. Diese
       Abteilung hatte zuvor auch die Verbindungen von Rechtsextremen und FPÖ im
       Visier. Der rechte Minister ließ also Daten über die Verquickungen des
       eigenen Milieus beschlagnahmen. Seine konservativen Regierungspartner
       schauten dabei zu.
       
       Wenn Rechtsextreme und Rechtspopulisten kommen, um die Wahrheit aus den
       Schubladen zu entfernen, wenn sie dazu Institutionen benutzen können, dann
       liegt die Zukunft einer Gesellschaft in der Hand dieser Institutionen, in
       ihrer demokratischen Verfasstheit und übrigens auch in ihrem Potenzial,
       zivilen Ungehorsam zu leisten, wenn es darauf ankommt.
       
       Für die dogmatische und undogmatische Linke, auch für die Liberalen sieht
       es dabei nicht gut aus. Sie haben vergessen, Soldaten zu werden und
       Polizisten. Sie dachten, es reicht, Ansprüche zu formulieren. So wandern
       die Waffen in die Hände der anderen. Die außerparlamentarische Rechte
       dringt in die Institutionen vor. Die Frage lautet nun, wer sie verteidigt.
       
       ## Ein Zerrbild der Gesellschaft
       
       Spätestens an dieser Stelle sollten wir uns fragen, wie es eigentlich um
       unsere Institutionen bestellt ist. Wäre das deutsche Innenministerium, das
       es nicht für nötig erachtet, [3][am Girls Day teilzunehmen], gewappnet für
       eine solche Übernahme? Wäre die Bundeswehr gewappnet für eine solche
       Übernahme? Und wie steht es eigentlich um die Binnenvielfalt innerhalb der
       Polizeibehörden in Deutschland? Sind sie ein Abbild dieses Landes oder ein
       Zerrbild?
       
       Um die Frage ungemütlicher zu stellen: Sind denn eigentlich diejenigen, die
       sich, sagen wir, als links bezeichnen und die historisch an der
       Institutionenkritik und dem Freiheitsversprechen gewachsen sind, sind die
       eher daran beteiligt. Ein Abbild dieser Gesellschaft zu gestalten – oder
       ein Zerrbild zu verstärken?
       
       Welche Kraft die Kontrolle über die Institutionen ausüben kann, hat
       Bayern übrigens verstanden. Dort werden gezielt im Rahmen einer
       Strukturplanung große Landesbehörden in kleinen Orten angesiedelt. Das
       schafft Arbeitsplätze und Stabilität. Von diesem Sinn für die
       Institutionen lässt sich lernen.
       
       Die Wahrheit ist: Eure Kinder müssen Beamtinnen werden, Soldaten und
       Polizistinnen, und sie müssen Dinge tun, von denen wir einmal dachten, es
       täte sie jemand für uns. Wir, sage ich, die wir für eine Heimat kämpfen, in
       der wir nicht kämpfen müssen, müssen dieses Deutschland besetzen.
       
       28 Apr 2018
       
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