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       # taz.de -- Die Wahrheit: Goldfischglas mit Gemüse
       
       > Früher, als es nur Gordon’s Gin und Schweppes Tonic gab, galt das als
       > Omagetränk. Heutzutage trinken es Teenager. Die Werbung funktioniert
       > tadellos.
       
       Ich bin lange nicht im Pub gewesen. Freunde hatten mir eine Wagenladung
       Pfälzer Weißwein aus Deutschland mitgebracht. Wozu also ins Wirtshaus
       gehen? Neulich hatte ich aber Besuch aus Übersee, und der wollte die
       Dubliner Kneipenkultur kennenlernen.
       
       Was war seit meiner letzten Kneipenbekriechung geschehen? Paula, der
       Besuch, wollte einen Gin und Tonic, was eine recht übersichtliche
       Bestellung schien. Weit gefehlt. Der Barkeeper fragte nach: „Welchen Gin?“
       Paula zögerte einen Augenblick und machte dann einen Fehler: „Irgendeinen.
       Die sind doch alle ähnlich – Schnäpse mit Wacholdergeschmack eben.“
       
       Der Barkeeper machte ein Gesicht, als ob man ihm hinterrücks einen nassen
       Lappen über den Kopf gezogen hätte. Er fing sich aber im nächsten
       Augenblick und fragte, ob sie eventuell bemerkt habe, dass der Laden „Gin
       Palace“ hieß. „Wir haben die größte Gin-Sammlung Irlands, 156 Sorten“,
       blaffte er, „welche darf ich servieren?“ Paula machte den zweiten Fehler:
       „Nummer 18, das nehme ich auch immer beim Chinesen.“ Diesmal reagierte der
       Barkeeper erstaunlich gelassen.
       
       Als die Rechnung kam, war der Grund dafür klar: Nummer 18 war der sündhaft
       teure Beara Pink Ocean Gin, ein rosafarbenes Getränk, das mit Meerwasser
       von der Beara-Halbinsel im Südwesten Irlands versetzt war. Dazu gab es das
       Llanllyr Source Tonic Water, das seit 1180 in einem walisischen
       Gletschertal handgeschöpft wird. In Anbetracht des Preises muss es jemand
       in einem Ruderboot nach Irland gebracht haben.
       
       Dafür wurde das Mixgetränk aber mit Gemüse, rosa Pfeffer und einem
       Sträußchen Minze in einem Goldfischglas serviert. Paula zog angewidert die
       Gurkenstreifen aus dem Glas. Tagsüber kann man sich den Gin auch in einer
       Teekanne servieren lassen, damit man sich vor den anderen Gästen nicht als
       Säufer outet. Ich befürchtete, dass es in dem Etablissement nur Gin in
       allen Variationen gäbe. Ich hasse Gin, aber zum Glück bekam ich anstandslos
       ein Bier ohne Dekoration.
       
       Woher kommt der Gin-Boom? Der Gin Palace ist nicht die einzige Kneipe in
       Dublin, die sich auf den Wacholderschnaps spezialisiert hat. Sicher, es
       dauert nur vier Wochen, um das Gesöff herzustellen – im Gegensatz zu
       Whiskey, der mindestens drei Jahre reifen muss und nicht mit Brokkoli und
       Basilikum serviert wird, es sei denn, der Barkeeper ist lebensmüde. Aber
       Geschwindigkeit ist ja nicht alles, man muss das Zeug auch unter die Leute
       bringen.
       
       Früher, als es nur Gordon’s Gin und Schweppes Tonic gab, galt das als
       Omagetränk. Heutzutage trinken es Teenager. Offenbar funktioniert die
       Werbung in den Social Media tadellos. Man kann aber auch zu weit gehen: Das
       Fleischergeschäft McCartney’s in der nordirischen Grafschaft Down bietet
       neuerdings Schweinswürstchen an, die mit Gin and Tonic injiziert worden
       sind. Sie finden dank Facebook reißenden Absatz, weil sie zwei Vorlieben
       der Iren vereinen: Alkohol und ungesundes Essen. Prost Mahlzeit.
       
       30 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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