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       # taz.de -- Shitstorm gegen den MDR-Sachsen: Die große sprachliche Verunsicherung
       
       > Der MDR hat eine Sendung über „Political Correctness“ mit einem
       > rassistischen Tweet angekündigt. Das Problem beginnt schon deutlich
       > früher.
       
   IMG Bild: Viel Geschrei von wem? Beim Reden über rassistische Sprache müssen Betroffene zu Wort kommen
       
       Ich bin ständig verunsichert. Ich frage mich, ob mein Körper meinen und den
       gesellschaftlichen Maßstäben genügt. Oder ob ich der richtigen Arbeit
       nachgehe. In meinen Filterblasen macht sich außerdem immer häufiger
       sprachliche Verunsicherung breit: wird jetzt mit Sternchen oder Unterstrich
       gegendert, wie lautet die aktuelle Selbstbezeichnung von Menschen of Color,
       und was bringen diese sich ständig verändernden Be- und Kennzeichnungen
       bestimmter Personengruppen eigentlich? Will heißen: Verunsicherung ist
       normal und menschlich. Aber …
       
       Der MDR-Sachsen hatte diese Woche für sein Format „Dienstags direkt“ eine
       Sendung geplant, deren [1][Ankündigung auf Twitter] für einen
       [2][Shitstorm] sorgte. Die eigentlich schon längst in der blau-braunen
       Versenkung verschwundene Frauke Petry, die Linken-Sprecherin im sächsischen
       Landtag Kerstin Köditz, der Journalist und Verteidiger der Schnitzelrechte
       auf rassistische Bezeichnungen Peter Hahne und der Politikwissenschaftler
       Robert Feustel von der Uni Leipzig sollten sich im Radio über die
       Zulässigkeit des N-Wortes und „Politische Korrektheit“ streiten.
       
       Nach dem Shitstorm sagten Köditz und Feustel ihre Teilnahme an der Sendung
       ab, der Beitrag fiel aus. Beide waren nach eigenen Angaben zunächst nur zum
       Thema „politische Korrektheit“ angefragt worden, einem „Kampfbegriff der
       Rechten“, den sie nicht unwidersprochen lassen wollten. Im Gespräch wies
       Robert Feustel außerdem darauf hin, dass in der ursprünglichen Konzeption
       der Sendung die Genderthematik den Schwerpunkt darstellen sollte.
       
       Eigentlich wollte sich der MDR-Sachsen also einem wichtigen Thema zuwenden:
       Welche Macht hat Sprache, was macht sie mit uns, wieso sorgt die Debatte um
       „Political Correctness“ für so viele emotionale Ausbrüche, was dürfen wir
       (wie) sagen – und was eben nicht? Über diese Fragen darf und muss
       gestritten werden, wichtig ist dabei aber wer zu Wort kommt und wem eine
       Bühne zur Profilierung von Interessen gegeben wird.
       
       ## Betroffene kommen nicht zu Wort
       
       Das Problem des MDR-Vorfalls fängt demnach deutlich früher an. Auf der
       Website des MDR-Sachsen finden sich zum Thema bereits zwei Interviews mit
       [3][Frauke Petry] und [4][Kerstin Köditz] sowie ein Link zum
       Nachrichtenportal des MDR. Dort schreibt Matthias Winkelmann von „MDR
       aktuell“ über die [5][Herkunft des N-Worts] und befragt den
       Sprachwissenschaftler Albrecht Plewnia dazu, wie beleidigend der Begriff
       eigentlich sei. Aber wie soll dieser weiße Wissenschaftler beantworten
       können, wie beleidigend, verletzend und diskriminierend das N-Wort aus
       Sicht von Betroffenen ist?
       
       Die Programmverantwortlichen beim MDR haben eine Sendung zum Thema
       „Politische Korrektheit“ konzipiert, in die keine einzige von
       diskriminierender Sprache betroffene Person eingeladen war. Durch die
       Einladung von Frauke Petry und Peter Hahne wäre dafür erneut dem rechten
       Rand viel zu viel Raum in einer Debatte geboten worden, die immer wieder
       von genau dort für hetzerische Zwecke missbraucht wird.
       
       Es ist nicht verboten, über diskriminierende Sprache und unsere allgemeine
       und persönliche Verunsicherung zu sprechen. Aber das hätte der MDR mit
       seinem exklusiven Konzept auch nicht gekonnt.
       
       Rassismus gehört beschissenerweise immer noch zu diesem Deutschland. Das
       manifestiert sich im deutschen Alltag, in unserer Gesellschaftsstruktur, in
       den Medien, die lieber rechte C-Prominenz zu Wort kommen lassen, als
       Betroffene – und nicht zuletzt in unseren Köpfen.
       
       Um das zu ändern, [6][reicht keine halbgare Entschuldigung], wie der MDR
       sie als Reaktion auf den Shitstorm vorschob. Die Programmverantwortlichen
       müssen ihr gesamtes thematisches Konzept in Frage stellen. Verunsicherung
       (auch meine; hallo, da bist du wieder!) geht nicht dadurch weg, dass man
       möglichst laut brüllt oder leise klein beigibt. Rassismus auch nicht.
       
       Wir sensibilisieren uns nicht automatisch für die Positionen
       diskriminierter Gruppen, nur weil wir unseren Sprachgebrauch anpassen. Das
       passiert nur, wenn wir unsere erlernte Wortwahl und Denkmuster
       hinterfragen, marginalisierten Stimmen zuhören und endlich, endlich
       empfänglich für Selbstkritik werden.
       
       18 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/MDR_SN/status/986177099353460736
   DIR [2] /Antirassistischer-Shitstorm-beim-MDR/!5499617
   DIR [3] https://www.mdr.de/sachsen/frauke-petry-darf-man-heute-noch-neger-sagen-100.html
   DIR [4] https://www.mdr.de/sachsen/kerstin-koeditz-darf-man-heute-noch-neger-sagen-100.html
   DIR [5] https://www.mdr.de/nachrichten/vermischtes/der-begriff-neger-100.html
   DIR [6] https://twitter.com/MDR_SN/status/986221271192096769
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lin Hierse
       
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