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       # taz.de -- Abschied der Fitzoblongshow: Klub der komischen Melancholie
       
       > 1993 gründeten Michael Quasthoff und Dietrich zur Nedden in Hannover die
       > Fitzoblongshow und waren mit dem Format vorne mit dabei. Nun fällt der
       > letzte Vorhang.
       
   IMG Bild: Erfand die Fitzoblongshow zusammen mit Michael Quasthoff: Dietrich zur Nedden
       
       HANNOVER taz | Die Fitzoblongshow war Avantgarde. Unterhaltsame,
       literarische, meist bewusst komische Avantgarde. Als die
       Veranstaltungsreihe 1993, also vor einem Vierteljahrhundert, von Dietrich
       zur Nedden und Michael Quasthoff in Hannover gegründet wurde, gab es noch
       keine überfüllten Poetry-Slam-Veranstaltungen und auch nicht zwei bis drei
       gut besuchte Lesebühnen in jeder Großstadt.
       
       Nur in Berlin probierten das wohl ein paar Leute, wenn man Wikipedia und
       den Berichten der wenigen Überlebenden der Lesebühnen-Aftershowpartys
       glauben darf. Aber diese Veranstaltungen liefen damals oft noch unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit beziehungsweise waren ein eher subkulturelles
       Phänomen. Ansonsten waren Lesungen öde. Buchhandlung, Wasserglas,
       Tischchen: ernstelnd und gewichtig. Von wenigen Ausnahmen abgesehen.
       
       So absurd das heute klingt: Dass man sich regelmäßig auf eine Bühne setzen
       kann, abwechselnd unterhaltsame Texte vorlesen, zwischendurch Musik machen
       und sich Gäste dazu einladen – darauf musste man erst mal kommen. Fast noch
       bedeutender für die Fitzoblongshow war aber, dass zur Nedden und Quasthoff
       den Mut hatten, diese Form dann gleich wieder, quasi direkt nach der
       Erfindung, bei jeder Show lustvoll zu dekonstruieren.
       
       Die beiden Autoren, die unter anderem jahrelang für die taz schrieben,
       bezeichneten ihre Veranstaltung als „musikalisch unterfütterte literarische
       Nummernrevue“ und nannten sie nach dem kleinen dicken Ritter Oblong Fitz
       Oblong, dem Protagonisten eines englischen Kinderbuchs, das in Deutschland
       durch die Verfilmung der Augsburger Puppenkiste bekannt wurde.
       
       Neben dieser nostalgischen Kindheitsreferenz klang im Namen „Oblong“ immer
       auch der Name des Helden eines Romans von Iwan Gontscharow mit: „Oblomow“,
       dessen müßiggängerische Persönlichkeitsstruktur sogar als Krankheitsbild in
       die Psychiatrie Einlass fand. Aber dieser Bezug war selbstverständlich ein
       selbstironischer, denn anders als jener Oblomow waren die Hannoverschen
       Oblongs weder apathisch noch faul, sondern umtriebig und engagiert.
       
       In den 25 Jahren des Bestehens ihrer Show begrüßten zur Nedden und
       Quasthoff weit über 100 Stargäste, unter ihnen so bekannte Namen der
       komischen und satirischen Literatur wie Harry Rowohlt, Simon Borowiak, Ralf
       Sotschek, Wiglaf Droste und Oliver Maria Schmidt.
       
       Eine Besonderheit der Fitzoblongshow war aber, dass sie keinerlei
       Genregrenzen kannte. Auch eher als „ernst“ wahrgenommene Autoren wie Franz
       Dobler, Felicitas Hoppe oder Karen Duve, Essayisten und Journalisten wie
       Georg Seeßlen und Christoph Biermann und Musiker wie Danny Dziuk oder das
       Spardosen-Terzett nahmen an den manchmal poetischen, manchmal skurrilen,
       oft lehrreichen, aber immer überraschenden Abenden Teil.
       
       Bei allem Bekenntnis zur Vergnüglichkeit hatte die Fitzoblongshow aber
       stets auch etwas Melancholisches. Und sie war vor allem eins nicht:
       anbiedernd. Die Art, wie zur Nedden und Quasthoff ihre Texte und Lieder
       vortrugen, war stets eine Mischung aus distanzierter Herzlichkeit,
       schludrigem Charme, augenzwinkerndem Desinteresse an der Rezeption und
       bewusster Verweigerung von gängigen Unterhaltungsmustern.
       
       Manchmal hatte man das Gefühl, man lauschte einem mit dem Rücken zum
       Publikum gespielten Miles-Davis-Solo, nur mit dem Unterschied, dass die
       Solierenden ab und zu über die Schulter blickten und sich mit dem Publikum
       über die ironische Natur ihrer Performance verständigten. Scheinbar. Denn
       so ganz wusste man glücklicherweise nie, warum das, was da in Hannover auf
       der Bühne geschah, so geschah, wie es geschah.
       
       Auch die musikalischen Darbietungen waren bewusst ambivalent gehalten: Mal
       meditierte zur Nedden zur Ukulele auf sehr komische Art über
       Fanny-van-Dannen-Lieder, und gab dabei seinen Fingern die Zeit und die
       Ruhe, sich an jeden Akkord einzeln zu erinnern. Ein anderes Mal schrammelte
       Quasthoff auf einer kleinen Yamaha-Reisegitarre, spielte dazu Mundharmonika
       und sang Zeilen wie „Am Tag als Joseph Beuys starb, da weinten alle Bäume“–
       und man dachte: Ja, so klänge Dylan heute, wenn er endlich mal wieder ein
       relevantes Thema zum Drübersingen finden würde.
       
       Der Multiinstrumentalist Quasthoff versuchte dabei stets – allerdings wenig
       erfolgreich – zu verstecken, was er musikalisch wirklich drauf hatte: Jazz,
       Funk und Randy-Newman-artiges musikalisches Storytelling. Er wusste genau,
       was er tat.
       
       Quasthoff schrieb nicht nur intelligente und komische Lyrics, was bei einem
       Autor seines Kalibers nicht überraschte, sondern vor allem auch
       wunderschöne Melodien. Erkennen konnte man das nicht nur, wenn – was öfter
       mal geschah – sein Bruder Thomas, der weltberühmte Bassbariton, die Bühne
       enterte und den Gesangspart übernahm.
       
       ## Gäste aus der ganzen Republik
       
       Michael Quasthoff starb im Herbst 2010. Seitdem führte Dietrich zur Nedden
       die Reihe unter dem Titel „Oblongs Odyssee“ mit wechselnden Komoderatoren
       und, wie gehabt, mit Gästen aus der ganzen Republik weiter. Zur Nedden und
       seine klugen, aber immer mit viel melancholischem Understatement
       geschriebenen und vorgetragenen Texte bildeten nun das Rückgrat der Show.
       
       Auch diese neue alte Reihe blieb eine feste Größe im Hannoverschen
       Kulturleben. Bis heute gab und gibt es nichts Vergleichbares: Eine
       Veranstaltung, die gleichzeitig todkomisch und ernst ist, die nicht
       gefallen will, aber trotzdem vielen gefallen hat, die Spaß macht, aber auch
       verstört, und bei der selbst ein kleiner Eklat hin und wieder zwar nicht
       gewollt ist, aber doch reuelos in Kauf genommen wird.
       
       Und jetzt ist Schluss. Nach 25 Jahren. Noch ein letztes Mal wird Dietrich
       zur Nedden am 4. Mai die Bühne des Künstlerhauses Hannover betreten, lesen,
       Ukulele spielen und Gäste begrüßen: den Grammy-Preisträger Thomas
       Quasthoff, den Pianisten Hans Gierschik und die Büchnerpreis-Trägerin
       Felicitas Hoppe. Einmal mehr unter dem im „Oblong Song“ formulierten Credo:
       „Hier wird frikassiert und spekuliert, reflektiert, Haha-Habermas / Try it
       Baby and see: Anything goes / Dadn-Dáda, Dadn-Dadá … “
       
       4 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hartmut El Kurdi
       
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