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       # taz.de -- Opfer sexualisierter Gewalt im Sport: „Darüber reden, dass es passiert“
       
       > Ralf Zitzmann ist in seiner Jugend Opfer von Missbrauch in seinem Verein
       > geworden. Nun sensibilisiert er für das Problem sexualisierter Gewalt im
       > Sport.
       
   IMG Bild: Ralf Zitzmann hat als Jugendlicher Vereinsfußball gespielt
       
       taz: Herr Zitzmann, Sie haben als Betroffener [1][beim Projekt Voice]
       mitgewirkt, das sich mit der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im
       Sport, aber auch mit der Prävention befasst. Wie kam es dazu? 
       
       Ralf Zitzmann: Ich hatte eigentlich nie die Absicht, meine Geschichte in
       die Öffentlichkeit zu stellen. Ich fand das für mich nicht wichtig. Doch
       ein Freund von mir war Mitinitiator [2][des Projekts „Unbreakable“],
       welches vom Magazin Stern in Deutschland aufgegriffen wurde. Ein
       Fotoprojekt, bei dem sich Missbrauchsopfer vor die Kamera stellen sollten.
       Die hatten erst nur Frauen, da habe ich gedacht, das gibt es doch nicht.
       Dann traue ich mich eben. So ist auch das Projekt Voice auf mich aufmerksam
       geworden.
       
       Sie haben bei einem Hearing in Frankfurt, wo Sportfunktionäre für das
       Problem sexualisierter Gewalt sensibilisiert werden sollten, Ihre
       Geschichte vorgetragen. Wie schwer ist Ihnen das gefallen? 
       
       Es ist nicht schön, seine Seele auf den Tisch zu legen. Aber der Umgang der
       Organisatoren mit uns war sehr sensibel. Das galt auch für die
       Sportvertreter. Manche sind dann sehr gerührt, fast zu mitgefühlig,
       
       Glauben Sie, dass diese Leute nach so einem Treffen dann auch anfangen zu
       handeln? 
       
       Das kann ich nicht sagen. Mit ihrem Kommen haben sie schon einmal ihre
       Bereitschaft gezeigt, sich mit sexualisierter Gewalt im Sport
       auseinanderzusetzen. Wie ich auf dem Hearing in Frankfurt mitbekommen habe,
       ist es ganz schwierig, für das Thema an der Basis, in den Vereinen eine
       Aufmerksamkeit zu bekommen. Bei dem Treffen waren vor allem Vertreter von
       den Dachverbänden da.
       
       Welche Strukturen des Sports haben den Missbrauch in Ihrem Fall begünstigt? 
       
       Ich habe in der Jugend des Hamburger SV Fußball gespielt. Wir haben viermal
       die Woche trainiert, das war also Leistungssport. Und passiert ist es im
       Trainingslager, als ich 13, 14 Jahre alt war. Mein Trainer hatte da freie
       Hand. Da waren keine Betreuer dabei, das begünstigte das natürlich. Vieles
       ist damals auch selbstverständlicher gewesen als heute.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Wir mussten uns im Verein alle halbe Jahr nackt ausziehen und wurden
       vermessen. Da würden heute gewiss viele Eltern protestieren, wenn sie das
       mitbekämen. Aber der Sport bietet generell besondere Möglichkeiten.
       
       Was meinen Sie? 
       
       Ich hätte als Junge kein Problem damit gehabt, wenn der Trainer mit der
       Mannschaft geduscht hätte. Da ist man in dem Alter unvoreingenommen, der
       Trainer hat ja auch geschwitzt. Ungewöhnlicher ist es, wenn der
       Geschichtslehrer mit seinen Schülern duscht.
       
       Haben Sie zur Zeit des Missbrauchs überlegt, es jemandem zu erzählen? 
       
       Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich konnte das damals gar nicht
       verarbeiten, was ich erlebt habe. Ich habe das sofort irgendwohin versenkt.
       Das hört man ja immer wieder auch von anderen Fällen, dass es oft 30, 40
       Jahre dauert, bis die Betroffenen wieder an ihre Erinnerungen herankommen.
       Das System schaltet dann auf eine Art Notstrom um.
       
       Glauben Sie, dass Leute von außen den Missbrauch verhindern hätten können.? 
       
       Ehrlich gesagt, nein. Wobei ich von einem Tag auf den anderen ohne
       Anzeichen mit dem Leistungssport aufgehört habe. Da hätte vielleicht schon
       jemand nachhaken können. Gesagt hätte ich vermutlich aber trotzdem nichts.
       
       Wie groß schätzen Sie das [3][Problem sexualisierter Gewalt im Sport] ein? 
       
       Riesig. Mittlerweile hört man von überall immer mehr Geschichten. Wobei ich
       nicht einschätzen kann, wie es aktuell ist. Das sind vor allem ältere
       Geschichten, die hochkommen.
       
       Hat Ihnen die Beteiligung an dem Projekt geholfen in der Auseinandersetzung
       mit Ihrer Geschichte? 
       
       Auf jeden Fall. Man holt etwas Dunkles hervor und es wird dadurch im Laufe
       der Zeit immer heller. Und die Begegnung mit anderen Betroffenen vermittelt
       einem das gute Gefühl, dass man nicht allein damit ist.
       
       Können Sie sich derlei Veranstaltungen mit Sportvertretern, die mit einer
       steten Rückkehr in Ihre Vergangenheit verbunden ist, öfter vorstellen? 
       
       Ich will nicht professionell als Missbrauchter herumreisen. Ich habe mich
       mittlerweile auch dazu entschlossen, dass ich nicht mehr darüber rede, was
       mir genau damals passiert ist, weil diese Details nicht wichtig sind. Für
       mich persönlich ist es sowieso nicht mehr wichtig, darüber zu sprechen. Man
       muss aber darüber reden, dass es passiert und wie man es künftig verhindern
       kann. Auch den Tätern muss geholfen werden. Ich finde wichtig, dass man
       niemanden verdammt. Es geht nicht um Gut und Böse.
       
       Sie wären also bei weiteren Projekten dabei? 
       
       Wenn der Deutsche Fußball-Bund mal ein richtiges Projekt aufstellt, das von
       professionellen Leuten wie von der Sporthochschule Köln betreut wird, dann
       mache ich gern mit. Das ist eine wichtige Arbeit. Nichtstun ist keine
       Alternative.
       
       5 May 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://voicesfortruthanddignity.eu/de/
   DIR [2] https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/opfer-sexualisierter-gewalt-im-fotoprojekt-unbreakable---befreiung-von-den-worten-der-taeter-6371642.html
   DIR [3] /Sexueller-Missbrauch-bei-US-Turnern/!5474696
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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