# taz.de -- HDP-Politiker Selahattin Demirtaş: Er kandidiert aus dem Knast heraus
> Obwohl Demirtaş inhaftiert ist, kandidiert er für die Präsidentschaft.
> Sein Ziel? Erdoğan loszuwerden. Noch ist unklar, ob er antreten darf.
IMG Bild: Selahattin Demirtaş auf einer Kundgebung, als er noch frei war (Archivbild)
Er ist wieder zurück. Selahattin Demirtaş, [1][seit November 2016 in Haft],
steht wieder auf der politischen Bühne. Zwar sitzt er nach wie vor im
Hochsicherheitsgefängnis in Edirne, trotzdem hat ihn seine Partei, die
kurdisch-linke Partei der Völker (HDP) am Donnerstag als
Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen am 24. Juni nominiert.
Aus dem Knast heraus hat der Ex-HDP-Vorsitzende Demirtaş gleich die
maßgebliche Parole für den Wahlkampf ausgegeben: Entweder wir schaffen es
jetzt, das Erdoğan-Regime loszuwerden, oder aber uns stehen zehn Jahre
einer Ein-Mann-Herrschaft bevor, schrieb er in einem Gastbeitrag für
Cumhuriyet.
Die Partei ist begeistert, wieder für Demirtaş Wahlkampf machen zu können.
„Uns steht eine wunderbare Zukunft bevor“, mailte die aktuelle
Parteivorsitzende Pervin Buldan den Mitgliedern, ganz so, als könnte die
Partei wieder an die Zeit vom Juni 2005 anknüpfen, als die HDP die
türkische Politik aufmischte und unter der Führung von Demirtaş mit
sensationellen 13 Prozent ins Parlament einzog.
Doch auch mit Demirtaş als Präsidentschaftskandidaten – 2014 holte er in
der gleichen Rolle knapp 10 Prozent – ändert sich erst einmal nichts daran,
dass die HDP mit dem Rücken zur Wand steht: Mit Demirtaş sitzen neun
weitere HDP-Abgeordnete im Gefängnis, Hunderte weitere Bürgermeister und
Funktionäre sind ebenfalls verhaftet worden und keine der anderen
Oppositionsparteien traut sich, mit der HDP zusammenzuarbeiten.
## Er hat gute Erfolgsaussichten – wenn er antreten darf
Natürlich wird Demirtaş auch im Wahlkampf nicht auftreten dürfen, und noch
ist auch nicht sicher, ob der Hohe Wahlrat, der zwar nominell unabhängig
ist, tatsächlich aber von Erdoğans AKP kontrolliert wird, seine Kandidatur
überhaupt zulässt. Er ist zwar noch nicht rechtskräftig verurteilt, aber
wenn Erdoğan will, findet sich schon ein Grund, Demirtaş auszuschließen.
Sollte er antreten dürfen, hat er allerdings gute Chancen, einen
Achtungserfolg zu erzielen. Nicht nur die überzeugten Anhänger der HDP,
darunter auch viele linke Türken, sondern auch der größte Teil der
konservativen Kurden werden ihn wählen, schon weil sie keine Alternative
haben.
Erdoğan hat sich mit dem Einmarsch in Afrin endgültig bei allen Kurden
verhasst gemacht, und die anderen – nationalistischen – Oppositionsparteien
İyi-Partei und CHP sind für Kurden nicht wählbar. Zwar ist die HDP in der
Parteienallianz der Opposition für die parallel stattfindenden
Parlamentswahlen nicht vertreten. Die Präsidentschaftskandidatur von
Demirtaş könnte aber dazu beitragen, dass Erdoğan in der ersten Runde nicht
die notwendigen 50 Prozent plus 1 der Stimmen erreicht – und es am 8. Juli
dann tatsächlich zu einer Stichwahl kommt.
Dann müssen sich Selahattin Demirtaş und die HDP entscheiden: Entweder
unterstützen sie einen aus kurdischer Sicht ungeliebten
Oppositionskandidaten wie die frühere Innenministerin Meral Akşener von der
İyi-Partei oder sie halten sich zurück – oder wählen gar doch Erdoğan.
3 May 2018
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## AUTOREN
DIR Jürgen Gottschlich
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