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       # taz.de -- Radrennen Giro d’Italia: Kurierfahrten eines Gerechten
       
       > Weil sich der Giro d’Italia seines Helden Gino Bartali erinnert, gerät
       > die ätzende Geschichte des Engländers Christopher Froome in
       > Vergessenheit.
       
   IMG Bild: Gino Bartali bei der Tour de France im Jahr 1953
       
       Der Giro d’Italia, gesichert von 4.000 Polizisten, begann am Freitag mit
       einem Zeitfahren in Jerusalem. Der Start auf heiklem politischem Terrain
       wird von einer Heldengeschichte überwölbt. Gino Bartali, dreifacher
       Giro-Sieger und zweifacher Gewinner der Tour de France, half einst bei der
       Rettung zahlreicher Juden und ist einer der „Gerechten der Völker“ von Yad
       Vashem.
       
       Radsport ist auch Erinnerungssport. Oft werden, wenn wieder eines der
       Traditionsrennen ansteht, Anekdoten von Siegern und Gestürzten erzählt. Als
       im letzten Mai das Profiteam der Israel Cycling Academy mit Profis wie dem
       Letten Kris Neilands, dem Holländer Dennis van Winden oder dem Israeli Guy
       Sagiv am Rande des Giro 2017 die Strecke zwischen Florenz und Assisi unter
       die Räder nahm, war das eine Referenz auf die Geschichte.
       
       Auf dieser Strecke war während der Zeit des Nationalsozialismus der
       italienische Radprofi Gino Bartali unterwegs gewesen. Klar, Bartali hielt
       sich fit mit dem Rad. Er hatte im Jahr 1938 die Tour de France gewonnen,
       davor zweimal den Giro. Und trotz Krieg und der damit einhergehenden
       Verwüstungen hielt er an dem Glauben an ein Nachher fest. Auch an ein
       sportliches Nachher. Er gewann 1946 den Giro, und 1948 die Tour.
       
       Seine Trainingsfahrten zwischen Florenz und Assisi hatten aber noch einen
       zweiten Grund, einen wichtigeren. Darüber schwieg er zeit seines Lebens.
       Erst seine Nachkommen machten die Geschichte bekannt. Bartali schmuggelte
       auf seinen Fahrten Dokumente für das Untergrundnetzwerk Delasem, eine
       Hilfsorganisation für Juden, die sie versteckte und auch bei der Ausreise
       half. Die Personaldokumente wurden in Assisi gedruckt. Bartali verbarg sie
       im Rahmen seiner Rennmaschine und brachte sie zum Bischof von Florenz, der
       Teil des Netzwerks war. 170 Kilometer hin, 170 Kilometer zurück.
       
       ## Band zwischen dem Radsport, Italien und Israel
       
       Bartali war dabei oft nachts unterwegs. „Er sauste mit Tempo 50 durch
       Florenz, flog über Straßenbahnschienen und war binnen fünf Minuten an jedem
       Punkt der Stadt“, rekonstruierte die Autorin Fulvia Alidori die Ereignisse.
       Sie notierte auch, dass Bartali dunkle Farbe auf die chromblitzenden Teile
       seiner Rennmaschine aufbrachte, weil er eines Nachts von Jagdflugzeugen der
       Alliierten angegriffen wurde. Die hatten das blitzende Rad für eine Waffe
       gehalten.
       
       Außerdem versteckte Bartali im Keller seiner Florentiner Wohnung selbst
       Menschen. Das war der Anlass, dass die Schoah-Gedenkstätte Yad Vashem
       Bartali als einen der „Gerechten unter den Völkern“ aufnahm.
       
       Gino Bartali knüpfte damit das Band zwischen dem Radsport, Italien und
       Israel, das diesen Giro-Start in Jerusalem wohl erst möglich machte. Das
       Team der Israel Cycling Academy, das im Vorjahr den Weg Bartalis abgefahren
       war, war zwei Tage vor dem Giro-Start auch bei der Zeremonie zugegen, bei
       der Bartali die Ehrenbürgerschaft Israels verliehen wurde. Die Israel
       Cycling Academy nimmt als erste israelische Mannschaft überhaupt auch am
       aktuellen Giro d’Italia teil.
       
       ## Trotz Dopingverfahren dabei
       
       Bartali selbst konnte zu all den Ehrungen nichts mehr sagen. Er starb im
       Mai 2000, ohne je öffentlich ein Wort über seine Rettungstaten verloren zu
       haben. „Man soll mit Taten sprechen, nicht mit Worten“ ist als sein Credo
       überliefert. Ein wenig in den Hintergrund gerät bei den
       Bartali-Feierlichkeiten dieser Tage, dass er nicht einfach „nur“ ein Retter
       von Juden war.
       
       Bartali hatte sich dem antifaschistischen Widerstand angeschlossen. Als es
       einer Partisaneneinheit partout nicht gelingen wollte, mehrere Dutzend
       alliierte Kriegsgefangene aus einem italienischen Dorf zu befreien, da
       schlüpfte Bartali in ein Schwarzhemd der Faschisten, nahm sein Rad und
       „unterstellte“ die Gefangenen einfach sich selber. Nach dieser
       „Amtsanmaßung“ – er war zeitweise als Hilfspolizist des Mussolini-Regimes
       rekrutiert worden – übergab er sie an die Partisanen.
       
       Aus solchem Holz sind die heutigen Helden des Straßenradsports nicht
       geschnitzt. Vergleicht man den moralischen Kompass des Chris Froome, der am
       Giro trotz Dopingverfahren teilnimmt und der am Freitag bei der
       Besichtigung der Prologstrecke gestürzt war, mit dem des alten Recken
       Bartali, mag man sich allerdings auch wünschen, der Glanz des alten
       Pedaltreters würde nicht durch den aktuellen Event missbraucht.
       
       Andererseits zeigt die Erinnerung an Menschen wie den schnellen Kurier aus
       der Toskana auch Handlungsräume auf, dies- und jenseits des Radsports.
       
       5 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
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