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       # taz.de -- Karl Marx in Trier: Raubtier, Teufel oder Gott
       
       > Die Geburtsstadt von Karl Marx macht sich fit fürs Jubiläum: Marx-Brot,
       > Marx-Geld, Marx-Wein, Marx aus Bronze. Wer er war, wissen viele nicht.
       
   IMG Bild: Von Kitsch bis Kunst: Marx kann sich nicht wehren
       
       Trier taz | So ist das: „Karl Marx bringt Trier Geld. Was Geld bringt, ist
       gut für die Stadt.“ Die Frau, die das sagt, steht in einem Laden für
       Esoterisches auf der Neustraße, der glockenhelle Ton einer Klangschale
       hängt in der Luft, dazu Sandelholz und Lebensbejahung. In den
       Altstadt-Cafés daneben gibt es Verführerisches, naturbelassen. Die dort in
       der Fußgängerzone in der Aprilsonne sitzen, nicken beim Namen Karl Marx und
       zögern bei der Frage, was sie über ihn wissen, „er war halt von hier“.
       
       Unweit davon hat einst Jenny von Westphalen gewohnt. Versteckt an der
       Fassade des Hauses in der Neustraße 83, heute die Volksbank, erinnert eine
       Bronzetafel an sie. Warum? Sie war Marx’ Frau. Jahrelang war das
       eingravierte Konterfei jedoch falsch, es zeigte eine andere.
       
       Egal, schon Marx rannte also die Neustraße entlang – aus Liebe und sowieso
       kannten sich die beiden schon als Kinder. Die Familien verkehrten
       miteinander, der eine Vater aus aufgeklärtem Adel, mitunter die
       Marseillaise singend, der andere aus einem Rabbinergeschlecht. Wobei Vater
       Marx, und mit ihm die Familie, zum Protestantismus konvertierte, weil er
       bei den Preußen sonst nicht, wie zuvor, als Trier französisch gewesen war,
       hätte als Anwalt arbeiten können. Die Überzeugungen der Väter passten
       zusammen, die Sehnsucht der Liebenden nach gerechten Verhältnissen auch.
       Nur der Standesunterschied störte noch.
       
       Lange vor Marx flanierten übrigens Römer in der Neustraße. Römerinnen auch.
       Wobei der heutige Straßenverlauf nicht dem einer in exakte Planquadrate
       aufgeteilten römischen Stadt entspricht, wie es Trier war, Treverorum,
       Stadt der Treverer – ein keltischer Stamm.
       
       ## Die römische Kulisse
       
       Das Römische ist allerdings nur Kulisse in diesem Text. Die Porta Nigra,
       schwarz steht das römische Tor am Ende der Fußgängerzone in der
       Simeonstraße, wirkt, als wäre sie im falschen Stück aufgestellt. Statt
       eines Arc de Triomphe dieses Tor mit seinen drei Ebenen, das, als das
       Römische Reich untergegangen war, überdauerte, weil eine Etage von den
       Bürgern als Kirche benutzt und die andere von den Mönchen des angebauten
       Klosters zum Gottesdienstraum umfunktioniert wurde, zwei Kirchen
       übereinander also.
       
       Ähnlich kreativ wurde mit dem Thronsaal des Konstantin umgegangen: Nach dem
       Untergang des Römerreichs wurde er Festung, später kurfürstlicher Palast,
       im 19. Jahrhundert protestantische Kirche. Die Kaiserthermen wiederum
       blieben deshalb erhalten, weil sie im Mittelalter in die Stadtmauer
       eingebaut waren. Überall gibt es Schichten, die aufeinander liegen. Wer
       gräbt, stößt auf immer neue Erzählungen.
       
       Gerade ist Marx an der Reihe, wird ausgebuddelt, wiederentdeckt. Marx und
       Trier: In wenigen Tagen ist sein 200. Geburtstag. In wenigen Tagen werden
       Ausstellungen eröffnet, wird die über sechs Meter hohe Statue enthüllt –
       das Geschenk Chinas an die Geburtsstadt des Denkergiganten, des
       Wortgewaltigen, des Theorierevoluzzers, der für die einen Gott und für die
       anderen Teufel ist. „Ein Gespenst geht um in Trier“, sagt eine vor sechzig
       Jahren hier Geborene, ein Trierer Mädchen, das auf dem Hauptmarkt an einem
       Blumenstand steht. Mehr fällt ihr nicht ein, wobei das viel ist, kratzt sie
       doch an der ersten Zeile des Kommunistischen Manifestes von Marx. Die
       heißt: „Ein Gespenst geht um in Europa“.
       
       Wer herumfragt, merkt schnell: Viel wissen die Trierer und Triererinnen
       nicht von Marx, außer dass er in der Brückenstraße 10 geboren wurde, wo das
       Karl-Marx-Haus steht, zu dem die chinesischen Touristen gern pilgern, und
       dass er von 1819 bis 1835, bevor er zum Studieren nach Bonn und Berlin
       ging, in der Simeonstraße 8 mit Blick auf die Porta Nigra aufwuchs.
       
       Ja, und dann wissen viele noch, dass Marx die Haushälterin schwängerte. Was
       das für Jenny von Westphalen bedeutete, darüber schwieg sie sich aus.
       
       ## Heute wären sie Hippies
       
       Frauen höheren Standes durften damals weder studieren noch einen Beruf
       ausüben. Dass Jenny von Westphalen Marx’ Sekretärin, Lektorin, vielleicht
       gar Mentorin war, zählt nicht. Dass nicht nur Friedrich Engels, der
       Fabrikantensohn aus Wuppertal, der die Fabrik seines Vaters in Manchester
       leitete, seinen Freund Marx finanziell unterstützte, wenn der mal wieder
       pleite war, sondern auch Jenny von Westphalen auf Betteltour ging bei
       reichen Verwandten – Fundraising heißt das auf Neudeutsch –, gilt ebenso
       wenig als Job. Nur dass sie sieben Kinder zur Welt brachte, von denen zu
       Marx’ Lebzeiten fünf starben, entsprach ihrer Bestimmung. Heute wären Karl
       und Jenny wohl Hippies.
       
       Zum Karl-Marx-Haus in der Brückenstraße, wo er geboren wurde, kann
       Elisabeth Neu viel erzählen. Sie ist seit 38 Jahren die Leiterin. Mehrmals
       hat sie erlebt, wie sich der Blick auf Marx änderte. Erst war er böse, weil
       er im Kalten Krieg für die Staatsdiktaturen in den kommunistischen Ländern
       verantwortlich gemacht wurde. Nach der Wende schien er tot, der
       Kapitalismus hatte gesiegt. In der Finanzkrise 2008 wurde er
       wiederentdeckt. Die Marx-Renaissance begann.
       
       Heute versuche man Marx nicht ideologisch, sondern von der Geschichte und
       Kultur zu verstehen, meint Elisabeth Neu. „Marx war ein Mann des 19.
       Jahrhunderts. Kein Heilsbringer, kein Prophet. Er konnte nicht wissen, wie
       sich der Kapitalismus entwickelt. Er hat nichts Fertiges hinterlassen.“ Von
       Marx könne man lernen, kritisch zu bleiben. Sein Motto: „An allem ist zu
       zweifeln.“ Vielleicht hat er deshalb immer weiter gefragt, immer noch eine
       Schicht aufgedeckt in seinem Erkenntnishunger: Was ist Reichtum? Eine
       Ansammlung von Waren. Was sind Waren? Dinge, in denen Arbeit steckt. Was
       ist Arbeit? Was sind Dinge? Wie dem auch sei, jedenfalls ist demnächst im
       Marx-Haus der Sessel zu sehen, in dem er starb. Am Ende zählen die
       unwichtigen Dinge.
       
       ## Wo Marx aufwuchs ist jetzt der 1-Euro-Shop
       
       Im Erdgeschoss des Hauses in der Simeonstraße 8, in dem Marx aufwuchs, ist
       wiederum schon seit Jahren ein 1-Euro-Shop. Ironie? Inszenierung? Nein,
       Wirklichkeit. Im Laden verhandelt gerade eine schwarze Frau in gebrochenem
       Deutsch mit der Kassiererin, dass diese ihr zu viel Geld herausgegeben
       habe. Erst hört die Kassiererin genervt zu. Nachdem sie jedoch kapiert,
       dass Unerwartetes passiert, wird sie weich. Zärtlich streicht sie über den
       wiedergewonnenen Geldschein. Ob das oft vorkomme? Sie schüttelt den Kopf.
       Ob sie oft auf Marx angesprochen werde? Nein. Nur die Chinesen stünden gern
       vor dem Haus und fotografierten. Aber gegenüber, wo jetzt der Marx steht,
       da werde dann mehr los sein, sie deutet nach draußen.
       
       Würde Marx noch in der Simeonstraße 8 wohnen, könnte er nicht nur auf die
       Porta Nigra, sondern auch auf sein Denkmal schauen und die Leute
       beobachten, die bald vor ihm ausspucken oder Nelken ablegen. „Ein
       Drecksack“ sei Marx, sagt der Schnellzeichner, der in der Nähe der Porta
       Nigra sitzt und seine Künste mit einem großen Marx-Bild, wie auch mit Elvis
       und Co, anpreist. „Die Welt wäre besser ohne ihn“, niemals hätte man sich
       die Statue schenken lassen dürfen, wo der so viel Unglück über die Menschen
       gebracht habe. Er winkt ab, sagt, er sei aber in China gewesen in den 80er
       Jahren, bei einem Kampfsportguru, „mir ging es ja gut da, ich war
       Kapitalist“.
       
       Alle wollen am Samstag, dem 5. Mai, dem Enthüllungstag, Marx’ Geburtstag,
       demonstrieren. Die AfD gegen ihn; DKP und andere sozialistische Gruppen
       werden ihn verteidigen. Die NPD, fürchten manche, werde sich an die AfD
       hängen oder sonst wie ihre Verachtung zeigen; GegendemonstrantInnen stehen
       bereit. Und auch die Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft
       protestieren gegen den bronzenen Marx, der derweil rund um die Uhr bewacht
       wird.
       
       Das ist nicht alles: Auch im Stadtrat gibt es Aufruhr. Resolutionen wurden
       verfasst. Nicht nur die AfD, auch die FDP und die Grünen fremdeln mit dem
       Geschenk, wegen der Menschenrechtsverletzungen in China. Und aus der Sicht
       der AfD ist dort zudem das ungeborene Leben Tod und Verderben ausgesetzt.
       „Aber so ein Geschenk nicht annehmen, das ist doch eine heikle Sache“, sagt
       die grüne Bürgermeisterin Elvira Garbes in ihrem Amtszimmer im Rathaus.
       Anfang der 1970er Jahre studierte sie in Köln, „damals kam man an Marx
       nicht vorbei. Überall K-Gruppen“, sagt sie.
       
       ## Marx ist nicht Lord Voldemort
       
       Ihr politischer Schwerpunkt heute sind soziale Themen: Kitas, Bildung,
       bezahlbare Wohnungen. „Viele soziale Verbesserungen gehen auf Marx zurück“,
       und diese Statue sei schon deshalb eine Chance, weil endlich über den Mann
       debattiert werde. „Marx ist doch nicht mehr Lord Voldemort.“ Dass so viele
       Marx verantwortlich machen für kommunistische Diktaturen, das habe etwas
       damit zu tun, dass es in Deutschland ein „Bildungsproletariat“ gebe. „Wenn
       es gut geht, haben die Trierer und viele andere am Ende was über Marx
       gelernt. Selbst ich lerne was“, sagt sie.
       
       Überpräsent und doch nicht gegenwärtig ist Marx in Trier. Die Statue
       macht’s deutlich. Noch eingepackt steht sie hinter dem Stadtmuseum, das in
       dem alten Kloster ist, das einst seine Kirche in die Porta Nigra
       hineinbaute. Der Kopf von Marx sieht, noch mit Tuch und Schnüren umwickelt,
       wie ein Raubtier aus mit offenem Maul. Absperrungen, mit Planen bedeckt,
       sollen die Sicht auf ihn verhindern, aber so groß, wie er ist, ragt er
       darüber hinaus. Ein Monster, ein Unding, meinen viele Trierer, zu groß, zu
       laut, zu mächtig.
       
       Hinter der Absperrung klopfen Pflasterer Steine in den Platz, durch die
       Lücken zwischen den Planen können Neugierige sie sehen. Wie sie es finden,
       für Marx den Boden zu bereiten, fragt jemand. „Müssen Sie ihn fragen“, sagt
       der Arbeiter und deutet auf die Statue. Ob sie wenigstens gut bezahlt
       werden? „Ja, sehr gut.“
       
       An allen Ecken wird die Stadt fit gemacht für das Jubiläum. Die Bäcker
       bieten Marx-Brot an, die Konditoren Marx-Pralinen. Es gibt
       Marx-Ampelmännchen, Marx-Spardosen und die neue Währung „Marx“. Den
       0-Euro-Schein, der für 3 Euro zu haben war, gab es auch. Ausverkauft das
       Ding. Und den Marx-Wein nicht vergessen, denn der Mann trank gern und viel.
       Hatte er Geld, genoss er Teuerstes, hatte er keins, tat es einfacher Wein.
       
       Hunderte Ausstellungen und Veranstaltungen gibt es obendrein. Denen, die
       die Landesausstellung über Marx verantworten, ist aufgefallen, dass kaum
       jemand weiß, wer dieser Mann war. Was ihn getrieben hat. Warum er so denken
       konnte, wie er dachte. Und was Karl Marx zu MARX, zur Ikone, machte? Das
       wird jetzt nachgeholt.
       
       Noch sind die Museen geschlossen, nur Journalisten dürfen dabei sein, wenn
       an drei Orten je ein Exponat ausgepackt wird. Im Rheinischen Landesmuseum
       Trier neben den Kaiserthermen ist es das Doktordiplom, das „Doctoris
       Philosophiae Honores“, von „Carolo Henrico Marx“, das aus der
       Transportkiste geholt und vorsichtig auf den Tisch gelegt wird. Zwei
       Drittel seines Nachlasses lagern in Amsterdam, das Doktordiplom in einem
       Tresor im Tresor. Es wird zum ersten Mal gezeigt.
       
       ## Gänsehautfeeling
       
       „Die Dinge im Nachlass anfassen, das ist Gänsehautfaktor zehn“, sagt
       Barbara Wagner, eine der Kuratorinnen. Sie kann Marx’ Schrift entziffern.
       Entdeckt habe sie dabei seinen „bissigen Humor“. Auch dass man das
       „Kapital“ auf viele Arten lesen könne, hätte sie verstanden. Hegel, an dem
       sich Marx abarbeitete, hätte zur These die Antithese gestellt, Marx jedoch
       nur die These. „Er wollte den Widerspruch und war enttäuscht, dass der
       nicht kam.“
       
       Im Stadtmuseum an der Porta Nigra wird auf die Lebensstationen von Marx
       eingegangen. Trier, Bonn, Berlin, Köln, Paris, Brüssel, London. Mitunter
       waren Karl und Jenny Flüchtlinge, seit ihrer Ausweisung aus Paris auch
       staatenlos. Im Museum wird ein Gemälde von Felix Schlesinger von 1859 aus
       der Kiste geholt: „In der Pass- und Polizeistube vor der Emigration“ heißt
       das düstere Bild, das die extreme Armut der Bevölkerung in der Provinz rund
       um Trier, die auch Karl Marx als junger Mann gesehen hat, einfängt.
       
       Trier gehörte im Lauf seiner Geschichte immer wieder zu Frankreich. So auch
       von 1794 bis zum Wiener Kongress 1815, als das katholische Trier an das
       protestantische Preußen fiel. Die preußische Regierung erhob extra harte
       Zölle auf die Waren aus der Region, was zur Verarmung der Bevölkerung
       führte. „80 Prozent der Bevölkerung lebten 1830 an der Armutsgrenze“, sagt
       die Direktorin des Stadtmuseums. Die Familien Marx und von Westphalen
       gehörten zur hauchdünnen Oberschicht, waren aber den französischen
       Revolutionsideen und der Aufklärung verbunden. Solche Widersprüche seien
       Karl Marx’ täglich Brot gewesen.
       
       ## Ein Roboter als Kollege
       
       Das Museum am Dom, die dritte Station, widmet sich dem Thema Arbeit. Ein
       Foto von Andreas Gursky wird aufgehängt: „Siemens, Karlsruhe, Germany
       1991“. Eine riesige Fabrikhalle, Platinen, Transistoren werden gelötet. Es
       ginge doch um die Frage der Entfremdung und dass Entfremdung neu gedacht
       werden müsse, wenn der Kollege plötzlich ein Roboter ist, meint der
       Direktor des Dommuseums. Die Ausstellung soll einen Bogen zu heute
       schlagen, und er will, dass, was Marx angeht, nicht länger
       „Nullachtfünfzehnklischees vor sich hergetragen werden“.
       
       Die Tuchfabrik, das alternative Kulturzentrum, mischt ebenfalls mit beim
       Marx-Spektakel. Dort geht es um: Geld. Der Eintritt in die Ausstellung wird
       getauscht in Marx, (gesprochen: Marks). Wechselkurs: 1:200. Die Marx können
       verzockt, angelegt, gehortet, gespendet werden. Das Ganze: eine Spielbank.
       Utopien gibt es dazu. Etwa wird aus geschredderten Banknoten der
       Europäischen Zentralbank Papier geschöpft. Die Arbeit von Christin Lahr
       wird auch ausgestellt. Seit 2009 überweist sie jeden Tag einen Cent an das
       Bundesfinanzministerium, das jedoch 70 Cent Gebühr für die Transaktion
       zahlen muss. So vernichtet Christin Lahr Geld. In die Betreffzeile kopiert
       sie je 108 Buchstaben aus dem Kapital. Für mehr ist kein Platz. 43 Jahre
       wird es allein dauern, bis sie mit dem ersten Band durch ist.
       
       Und noch was: Einen kleinen Platz bekommt Marx in Trier ebenfalls. Darauf
       drei Bäume, neun Fahrradständer, drei rote Bänke, eine davon
       behindertengerecht, und zehn im Boden eingelassene Schriftbänder mit
       Lebensdaten und Aphorismen von ihm. Einer: „Radikal sein ist die Sache an
       der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.“
       Und noch einer: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden
       interpretiert. Es kommt darauf an, sie zu verändern.“
       
       Ein Mann streicht die Fassade eines Geschenkeladens, der an den Platz
       grenzt. „Aufhübschen, am Samstag kommt der Bürgermeister“, sagt der
       Anstreicher. Den Marx-Hype findet er gut. Er ist aus der DDR, war
       Rangierleiter bei der Reichsbahn. Als am 9. November 1989 die Grenzen
       aufgingen, ist er sofort rüber. „Sonderbar, dass das passieren konnte.“
       Die, die gegen die Statue wettern, hält er für schlecht informiert. „Sie
       haben nicht verstanden, dass er Ideen hatte, aber keine Politik gemacht
       hat.“ Ihm jedenfalls geht’s gut. „Ich bin Heavy Metal, und nicht von der
       langsamsten Sorte.“
       
       Die zwei Schauspieler, die am Platz eine Performance üben, die vom
       Stadttheater mit initiiert ist, ignoriert der Anstreicher. Ein
       Schauspieler, er stellt den siebzehnjährigen Marx dar, zieht an den Orten
       von Marx’ Leben in Trier vorbei. In seinem Schlepptau hat er eine wandernde
       Kopie der Statue, an die er seine Fragen ans Leben richtet. Am neuen Platz
       endet die Tour. Er steht auf einer der roten Bänke und schreit dem nicht
       vorhandenen Publikum zu: „Wir können uns jede Minute entscheiden, etwas
       anderes zu tun. Wir können uns immer entscheiden. Aber manchmal müssen wir
       es.“
       
       5 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
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