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       # taz.de -- Sinneswandel in Korea: Der plötzlich nette Kim
       
       > Seit dem Gipfeltreffen an der Grenze gilt der nordkoreanische Machthaber
       > im Süden als humoriger Typ, dem man vertrauen kann.
       
   IMG Bild: Dufter Typ. Und auch so stytlish: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un
       
       Seoul taz | Als Kim Jong Un [1][am 27. April die innerkoreanische Grenze
       betritt], geht ein Raunen durch das Pressezentrum im 20 Kilometer
       entfernten Ilsan. 2.800 Journalisten schauen gebannt die erste Begegnung
       der zwei koreanischen Staatschefs an. Kim schüttelt die Hand von Moon Jae
       In und bittet ihn, auch einmal über den Grenzstreifen nach Norden zu
       treten. Bei den südkoreanischen Reportern entlädt sich die Anspannung in
       ein Freudenlachen, gefolgt von tosendem Applaus.
       
       Seither hat sich die Wahrnehmung des nordkoreanischen Machthabers beim
       südlichen Nachbarn grundlegend gewandelt. In einer vom Fernsehsender MBC in
       Auftrag gegebenen Umfrage gaben 78 Prozent aller Befragten an, dass sie Kim
       über den Weg trauen würden. Vor anderthalb Monaten waren es nur magere 10
       Prozent.
       
       Selbst unter den Konservativen, die für ihren fanatischen Nordkoreahass
       bekannt sind, hielten 40 Prozent Kim für vertrauenswürdig. Vor Kurzem
       schwankte er für die meisten Südkoreaner noch zwischen Dämon und
       lächerlicher Karikatur, nun wird Kim als Mensch wahrgenommen.
       
       „Allein dass er seinen Halbbruder vergiften ließ, machte Kim Jong Un für
       mich zu einer Person, mit der man sich nicht unbedingt unterhalten würde“,
       sagt die Lehrerin Yang Mi Young: „Nach dem Treffen haben sich meine
       Gedanken ziemlich geändert.“ Die 29-Jährige ist nun überzeugt, dass man mit
       Kim über Denuklearisierung verhandeln könne. Wie Yang denken viele ihrer
       Landsleute.
       
       ## „Menschelnde Berichterstattung“
       
       Das hat vor allem auch mit der „menschelnden“ Berichterstattung über das
       innerkoreanische Gipfeltreffen zu tun. Fast jeder Südkoreaner weiß von
       einer Lieblingsanekdote über Kim Jong Un zu berichten: Etwa, dass der
       schwere Raucher während des gesamten Tages die Glimmstengel bleiben hat
       lassen. Oder dass er seine eigene Toilette zu den Verhandlungen mitgebracht
       hat, um keine Spuren für die Geheimdienste zu hinterlassen. Dann war da
       noch der Zauberer, den der 34-jährige Diktator zum Abendbankett mitgebracht
       hat: Dieser holte einen 1-Dollar-Schein hervor – und verwandelte ihn in
       eine 100-Dollar-Note.
       
       Vor allem aber beeindruckte Kims Humor: „Ich habe gehört, Sie haben wegen
       all der Sicherheitstreffen in den frühen Morgenstunden schlecht
       geschlafen“, sagte er zu Südkoreas Präsident in Anlehnung an die unzähligen
       Raketen- und Atomtests der letzten Jahre. Er hoffe, Moon Jae In künftig
       nicht mehr aus dem Bett zu klingeln. Das hinterließ auch bei Südkoreas
       Regierung nachhaltigen Eindruck. Präsident Moon beschrieb Kim Jong Un als
       „ehrlich, aufgeschlossen und höflich“.
       
       Wie sehen das die Journalisten selbst? Im Seouler Korrespondentenclub
       sitzen vorwiegend ältere Männer bei Fassbier und Nussschalen an der Bar.
       „Als Koreaner sind wir so erzogen worden: Wir sind ein Volk, wir gehören
       wiedervereinigt. Die emotionalen Bilder des Gipfeltreffens haben diesen
       Reflex direkt ausgelöst“, sagt der koreanischstämmige Stringer der LA
       Times.
       
       ## Meinungswechsel haben Tradition
       
       Ein langgedienter britischer Kollege stimmt ein: Solch scheinbar
       plötzlichen Sinneswandel habe er in Südkorea schon oft erlebt. Mit den
       ersten freien Wahlen 1987 war auf einmal praktisch jeder Südkoreaner ein
       Demokratieaktivist.
       
       Als im Jahr 2002 US-Soldaten zwei koreanische Oberschülerinnen zu Tode
       fuhren, geriet der Antiamerikanismus im Land außer Kontrolle – dass
       Südkorea damals die mit Abstand meisten Verkehrstoten aller OECD-Länder zu
       beklagen hatte, war nebensächlich.
       
       Und im letzten Jahr wurde Expräsidentin Park Geun Hye nach einem
       Korruptionsfall zur Hassfigur, dabei hatten sich fast alle Präsidenten vor
       ihr ebenfalls korrupt verhalten. Nun also profitiert Kim vom koreanischen
       Sinneswandel.
       
       Die meisten internationalen Beobachter nahmen den Gipfel komplett
       entgegengesetzt wahr. Nach Kims Begrüßungsgeste, die Südkoreaner als
       herzlich empfunden haben, tweetete die US-Expertin Duyeon Kim: „Oh mein
       Gott! Ich glaube, Kims Spiel hat begonnen.“ Oder ein paar ausgewählte
       Artikelschlagzeilen: „Optimismus in Korea könnte uns noch alle umbringen“
       und „Glauben Sie nicht an den Hype! Wir müssen das innerkoreanische
       Gipfeltreffen realistisch sehen“.
       
       Bedenkt man, dass die letzte Annäherung der zwei Koreas mit einer großen
       Enttäuschung endete, sind solche Standpunkte durchaus angebracht. Zynisch
       sind sie allerdings auch. In den Denkfabriken in Washington wurde der
       Gipfel mit der rechten Gehirnhälfte gesehen, die Koreaner haben mit ihrem
       Herz geschaut.
       
       5 May 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gipfeltreffen-Nord--und-Suedkorea/!5499278
       
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   DIR Fabian Kretschmer
       
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