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       # taz.de -- Oberbürgermeisterwahl in Freiburg: Wunsch nach Wandel
       
       > Freiburg ist die grünste Großstadt Deutschlands. Am Sonntag könnte die
       > Ära von Oberbürgermeister Salomon enden. Warum?
       
   IMG Bild: Noch lacht Dieter Salomon. Ja, vom Plakat herunter
       
       Freiburg taz | Dieter Salomon will sich nicht verbiegen. Auch jetzt nicht,
       wo er eigentlich um sein Amt kämpfen müsste. Stocksteif steht er unter dem
       Freiburger Münsterturm, seinen Wahlkampfstand im Rücken, das Kinn leicht
       nach vorn gestreckt, und lässt Touristinnen und Bürger an sich
       vorbeiziehen. Man muss, wenn man zu denen gehört, die ihn am Sonntag wählen
       sollen, schon etwas Selbstbewusstsein mitbringen, wenn man mit dem ersten
       Mann der Stadt ins Gespräch kommen will.
       
       Dieter Salomon kann charmant sein, aber er ist nicht Everybody’s Darling.
       Schon gar nicht jetzt, nachdem ihm die Leute im ersten Wahlgang diesen
       Denkzettel verpasst haben. Er wirkt trotzig und ein wenig gekränkt. Das
       fällt vor allem auf, wenn man seine Wahlhelferin an diesem Vormittag
       beobachtet. Kerstin Andreae stellt sich den Vorbeiflanierenden mit
       herzlichem Lächeln in den Weg, drückt ihnen einen Flyer in die Hand und
       fragt nach Themen in der Stadt, die ihnen wichtig sind.
       
       Andreae ist die grüne Bundestagsabgeordnete in Freiburg. Von Wahlkampf
       versteht sie etwas, sie hat hier beinahe das Direktmandat geholt.
       Verständnis zeigen, das sei das A und O im Straßenwahlkampf, sagt sie, und
       erträgt es auch, wenn einer nur mal Dampf ablassen will.
       
       Drei Schritte entfernt stemmt derweil Dieter Salomon seine Arme in die
       Seiten und unterbricht einen älteren Herrn, der sich über Raser in
       Tempo-30-Zonen beschwert: „Also da kann ich Ihnen schon mal sagen, was Sie
       da sagen, stimmt nicht“, legt Salomon los. Kerstin Andreae entschuldigt
       sich. Sie müsse da mal kurz einschreiten.
       
       Sechzehn Jahre regiert Salomon nun Freiburg. 2002 wurde er erster Grüner
       Rathauschef in einer deutschen Großstadt. Und 2010 hatten sie ihn im ersten
       Wahlgang mit 51 Prozent wieder gewählt. Er hat in diesen 16 Jahren die
       Schulen saniert und die Kita-Plätze verzehnfacht. Dem SC Freiburg verhilft
       er, nach gewonnenem Volksentscheid, mit massiver finanzieller Unterstützung
       der Stadt zu einem neuen Stadion. Er hat Freiburg mit Vorzeigesiedlungen
       wie dem Vauban zur weltweit geachteten Green City gemacht. Und anders als
       andere grüne OBs im Land hat Salomon auch beim Thema Flüchtlinge die Nerven
       behalten. Selbst dann, als der Mord an der Freiburger Studentin Maria
       Ladenburger, begangen von einem Flüchtling, die Republik bewegte.
       
       ## Amtsführung in der Sonnenstadt
       
       Früher hätte schon der Bruchteil einer solchen Erfolgsbilanz in einer
       wohlhabenden Stadt genügt, um die dritte Amtszeit nach Hause zu schaukeln.
       Die Leute wählten bisher einen wie Salomon auch dann, wenn er vielleicht
       nicht der Typ ist, bei dem man abends beim Bier sein Herz ausschüttet. Aber
       souveräne Amtsführung ist in der Sonnenstadt Freiburg offenbar nicht mehr
       genug. Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen bekam der parteilose Kandidat
       Martin Horn drei Prozent mehr Stimmen als der Amtsinhaber. Zusammen mit der
       Linken-Kandidatin und den drei Außenseitern hatten über 60 Prozent der
       Wähler gegen Salomon gestimmt. Und seitdem fragen sich nicht nur Grüne: Was
       ist da eigentlich los?
       
       Man kann es auf Salomons lustlosen Wahlkampf schieben. Da ließ er sich in
       schwarz und mit goldenen Lettern plakatieren. „Hat nur noch die Krone
       gefehlt und man hätte gleich König Salomon drauf schreiben können“, sagt
       einer, der ihn trotzdem gewählt hat. Man kann Salomons Niederlage ins
       übliche Links-rechts-Schema pressen, wie es sein Parteifreund Jürgen
       Trittin tat. Der twitterte am Tag nach dem ersten Wahlgang in Freiburg:
       „Wenn Ökologie und Gerechtigkeit auseinanderfallen, kriegen die Grünen ein
       Problem.“
       
       Der Makel, dass Salomon die Ader für das Soziale fehlt, haftet ihm an, seit
       er 2007 Freiburgs Sozialwohnungen verkaufen wollte, um den damals
       überschuldeten Stadthaushalt zu sanieren. Ein Volksentscheid verhinderte
       das damals. Auch heute fehlt bezahlbarer Wohnraum in Freiburg, wie in jeder
       attraktiven Großstadt in Deutschland. Aber inzwischen entstehen immerhin
       tausend neue Wohnungen jährlich.
       
       ## Mit Nullaussagen punkten
       
       Wäre es so einfach, wie Trittin sagt, dann hätte Martin Horn Salomon mit
       harten sozialen Themen geschlagen. Doch er gewann den ersten Wahlgang mit
       einem Wohlfühlwahlkampf. Der Kabarettist Matthias Deutschmann fragt
       daraufhin in einer Zeitungsanzeige: „Kann man in Freiburg allein mit
       Floskeln und Händeschütteln Oberbürgermeister werden?“
       
       Martin Horn, 33, Pfarrerssohn aus der Südpfalz, hat vor seiner Bewerbung
       bei der Stadt Sindelfingen als Europa- und Entwicklungskoordinator
       gearbeitet. Mit seiner Brille, den dunklen Haaren und seinem jugendlichen
       Auftreten erinnert er ein wenig an Harry Potter. Im Wahlkampf hat er sich
       als Projektionsfläche für alle angeboten, die nach 16 Jahren vor allem eins
       eint: Der Wunsch nach Wechsel. Jetzt muss er eine bunte Unterstützergruppe
       zusammenhalten, die von der organisierten Kulturszene bis zu Freiburg
       Lebenswert reicht, einer Gruppierung, die sich selbst für linksliberal
       hält, deren Stadträte aber gern Law-and-Order-Parolen verbreiten. Horn
       setzt auf seiner Webseite brav das Gendersternchen, wirbt aber auch bei
       fundamentalistischen freikirchlichen Gemeinden um Unterstützer.
       
       Er ist parteilos, wird aber von der SPD unterstützt und ist die große
       Hoffnung der Landespartei. Deren Generalsekretärin Luisa Boos hat Horn
       entdeckt. Mit seiner Wahl hoffen die Sozialdemokraten, das Ende der grünen
       Vorherrschaft in Baden-Württemberg einzuläuten. Das ist zwar bei
       Umfragewerten für die Südwest-SPD von gerade mal 12 Prozent Politvoodoo,
       zeigt aber, welch große Erwartungen auf Horn lasten.
       
       Am Ende ist es aber das komplizierte Freiburger Gefüge aus Gruppen und
       Grüppchen, das sich jetzt gegen Salomon wendet. Dreizehn Listen sind im
       Stadtrat vertreten, für Jugend, für etablierte Kultur, für Nachtleben. Der
       Oberbürgermeister hat nie so getan, als wolle er es allen recht machen. Die
       Mehrheiten für seine Projekte hat er meist bei seinen Grünen und der CDU
       gefunden. Unter einem unerfahrenen Bürgermeister erhoffen sich manche
       Stadträte wieder größeren Einfluss und werfen sich für Horn in den
       Wahlkampf.
       
       ## Alle wollen das Sagen haben
       
       Anruf bei Atai Keller, Urgestein der alternativen Szene und langjähriger
       Stadtrat der Kulturliste KULT. Eigentlich einer, der die linke Kandidatin
       Monika Stein unterstützen müsste, die im ersten Wahlgang immerhin über 26
       Prozent geholt hat und weiter im Rennen ist. Doch Keller und seine
       Kulturliste unterstützen Horn. Von ihm hört man dann auch viele Gründe
       gegen Salomon – aber nur wenige für den eigenen Kandidaten. Salomon sei bei
       wichtigen kulturellen Vorhaben „meinungslos“. Keller nennt als Beispiele
       den Wegzug des SWR-Orchesters und den eingedampften Stadtgeburtstag. Von
       Horn erhoffe er sich mehr Verständnis bei solchen Fragen, sagt Keller. Der
       habe viel gelernt in den letzten Wahlkampfwochen und habe ein offenes Ohr
       für die Anliegen der Kultur gezeigt. Außerdem: Sechzehn Jahre, danach sei
       es auch mal gut, findet Keller.
       
       Dieser diffuse Wechselwille brachte Horn 34,7 Prozent ein. Die Stimmung
       könnte dazu führen, dass am kommenden Sonntag von den drei verbliebenen
       ernsthaften Kandidaten jener gewinnt, von dem man am wenigsten weiß, was er
       eigentlich vorhat.
       
       Moritz Pohle findet das „zum Verzweifeln“. Der junge Rechtsanwalt ist an
       den Stand von Salomon gekommen. „Freiburg ist doch eine nachdenkende
       Stadt“, sagt Pohle, „ich will nicht glauben, dass man die Bürger hier mit
       so einem windelweichen Imagewahlkampf rumkriegt.“
       
       Pohle ist SPD-Mitglied. Zuerst habe er sich den Kandidaten Horn neugierig
       angeschaut. Als er aber sah, wie der es fertiggebracht habe, sich bei einem
       Termin als Fan des SC Freiburg zu präsentieren und beim anderen den
       Stadionneubau infrage zu stellen, war es für ihn vorbei. Sozialdemokrat
       Pohle nennt Horn einen „Wohlfühlpopulisten“ und verteilt jetzt in seiner
       Mittagspause Flugblätter für den Grünen Salomon.
       
       Dieter Salomon hat den Wahlkampf für heute beendet und geht zurück ins
       Rathaus. Vorher sagt er noch: Er sei damals überraschend Oberbürgermeister
       geworden, jetzt könne es sein, dass er überraschend verliere. Da könne man
       nichts machen.
       
       Und wenn es so kommt? „Dann gehe ich erst mal in den Ruhestand.“ Zumindest
       ein Jahr lang werde ihm sicher nicht langweilig, behauptet er. Salomon
       zuckt die Schultern. Etwas ratlos wirkt er, als wollte er sagen: Die Wähler
       müssen halt wissen, was ihnen verloren geht.
       
       5 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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