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       # taz.de -- Entführter Vietnamese Trinh Xuan Thanh: Wer saß in Flug SSG004?
       
       > Im Jahr 2017 wurde in Berlin ein Vietnamese entführt. Half die Slowakei
       > dabei, ihn aus der Europäischen Union zu schaffen?
       
   IMG Bild: Der Flug von Bratislava nach Moskau, aus dem Flugdatenarchiv
       
       Am 26. Juli 2017 um 11.26 Uhr landen vier Vietnamesen auf dem Prager
       Flughafen, mit einem Linienflug von Czech Airlines aus Paris kommend.
       General To Lam, Minister für öffentliche Sicherheit, Duong Minh Hung,
       Vizechef eines Geheimdienstes, ein hoher Beamter aus dem
       Sicherheitsministerium und ein weiterer Begleiter. Sie wollen nach
       Bratislava zu einem Arbeitstreffen mit dem slowakischen Innenministerium,
       das zumindest ist der offizielle Anlass.
       
       Eigentlich wollten die vier am Morgen in Wien ankommen und von dort weiter
       nach Bratislava. Die Slowaken hatten schon Limousinen organisiert. Einen
       Tag vor dem Treffen sagten die Vietnamesen nach slowakischer Darstellung:
       Sie würden gerne in Prag abgeholt werden und dann nach Moskau
       weiterfliegen, zu einem Folgetermin des Ministers.
       
       Also wurde ihnen eine Maschine der Flugbereitschaft der slowakischen
       Regierung bereitgestellt. Es kommt hin und wieder vor, dass ausländischen
       Staatsgästen ein solches Flugzeug geliehen wird. Dem Papst etwa oder dem
       Kaiser von Japan. Oder dem vietnamesischen Geheimdienst, der damit
       womöglich ein Entführungsopfer aus der EU geschmuggelt hat.
       
       Gegen einen der vier Männer, Geheimdienstmann Hung, ermittelt der
       Generalbundesanwalt. Er soll die Entführung des vietnamesischen
       Geschäftsmanns und Expolitikers Trinh Xuan Thanh koordiniert haben, [1][der
       am 23. Juli 2017 im Berliner Tiergarten zusammen mit seiner Geliebten in
       einen VW-Bus gezerrt wurde].
       
       ## Ein ungeheuerlicher Verdacht: Half die Slowakei?
       
       Drei Tage später, kurz nach halb eins an jenem Mittwoch, fliegen die vier
       Männer also mit einem slowakischen Airbus A 319 nach Bratislava. Um 13.15
       Uhr landen sie und haben gut anderthalb Stunden Aufenthalt. Denn um 14.52
       Uhr war dieselbe Maschine schon wieder in der Luft, unterwegs in Richtung
       Moskau. Das konnte die taz anhand archivierter Flugdaten rekonstruieren.
       
       Dieser Flug mit der Nummer SSG004 bringt die slowakische Regierung nun in
       Erklärungsnöte. Wie das Entführungsopfer nach Vietnam gebracht wurde, ist
       laut Generalbundesanwalt nämlich unklar. Etwa mit der Regierungsmaschine
       eines EU-Partnerlandes? Ein ungeheuerlicher Verdacht.
       
       Die slowakische Regierung streitet jede Beteiligung an einer Entführung ab.
       Wenn sich der Verdacht als wahr herausstellen sollte, sei ihre
       Gastfreundschaft ausgenutzt worden, heißt es. Auf der Passagierliste habe
       der Name jedenfalls nicht gestanden. Es habe auch keine auffälligen
       Passagiere gegeben.
       
       Der Verdacht passt aber ins Bild. Ein Land, durchzogen von Korruption, in
       dem Ende Februar ein Journalist ermordet wurde, weil er den Machenschaften
       der Mächtigen hinterherrecherchierte. Und ein Land, das fragwürdige
       Verbindungen zu Vietnam unterhält.
       
       Zufällig hatte der slowakische Ministerpräsident Peter Pellegrini am
       vergangenen Mittwoch seinen Antrittsbesuch in Berlin, sein Vorgänger war im
       März zurückgetreten. Vor dem Bundeskanzleramt wird er mit militärischen
       Ehren empfangen und führt dann ein etwa einstündiges Gespräch mit der
       Kanzlerin.
       
       Angela Merkel spricht die Entführung bei der anschließenden Pressekonferenz
       von sich aus an. „Alles, was in diesem Zusammenhang geschehen ist, muss auf
       den Tisch“, sagt sie. Der slowakische Ministerpräsident habe ihr volle
       Aufklärung zugesagt. Schon am Freitag vor einer Woche war der slowakische
       Botschafter in Berlin ins Auswärtige Amt gebeten worden. Inzwischen haben
       sich auch die deutschen Ermittler noch mal an die Behörden in Bratislava
       gewandt. Sie wollen die Flugzeug-Crew und Hotelbedienstete befragen,
       [2][berichtet die Nachrichtenseite Aktuality.sk.]
       
       Ministerpräsident Pellegrini reagiert auf der Pressekonferenz freundlich,
       aber abweisend auf kritische Fragen. Warum denn die Slowakei erst jetzt den
       vietnamesischen Botschafter einbestellt habe? „Ich muss dann reagieren,
       wenn die Sache auf meinen Tisch kommt“, sagt er. Und das sei erst jetzt
       passiert. Die deutschen Behörden bekämen alle Informationen, die sie
       verlangten.
       
       Die Slowakei hat die Bereitstellung des Regierungsflugzeugs vor einer
       Woche erst zugegeben, als Journalisten nachbohrten. Und sie hat zumindest
       bei der Frage, wie lange das Treffen in Bratislava gedauert habe, gelogen.
       Drei Stunden, hieß es erst. Dann: etwa zwei Stunden. Aber auch das kann
       nicht stimmen. Das Flugzeug hatte ja nur gut anderthalb Stunden Aufenthalt.
       
       Vom Flughafen braucht man knapp 20 Minuten zum Regierungshotel Bôrik, mit
       einer Polizeieskorte schafft man es wohl etwas schneller. Es blieb also
       nicht einmal eine Stunde für das Arbeitstreffen, für das den Vietnamesen
       extra das Flugzeug ausgeliehen wurde. War die Begegnung am Ende nur ein
       Vorwand, um den Entführten nach Vietnam schaffen zu können?
       
       ## Fahndung nach Personen
       
       Dafür spricht, wer nach taz-Informationen alles bei dem Treffen zugegen
       war. Im Hotel ist neben Zwei-Sterne-General Hung auch der Geheimagent Vu
       Quang Dung anwesend, der zum Kern des Entführungskommandos gehören soll.
       Und vor dem Hotel parkt just zu dieser Zeit, von 12.35 Uhr bis 14.17 Uhr,
       ein Mercedes Vito mit zwei Männern, die auch an der Entführung beteiligt
       gewesen sein sollen. Das konnten die Ermittler anhand von GPS-Daten
       rekonstruieren. Wurde etwa mit diesem Auto das Entführungsopfer nach
       Bratislava gebracht?
       
       [3][Der Mann, der das Auto am Vortag in Prag angemietet haben soll, Long N.
       H., steht derzeit in Berlin vor Gericht.] Die Anklage lautet auf
       geheimdienstliche Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung.
       
       Das Treffen im Hotel ist laut Teilnehmern ein Mittagessen gewesen. Auf der
       Agenda: Wie slowakische Experten Vietnam dabei unterstützen können, Waffen
       und Schutzausrüstung für Polizei und Feuerwehr zu produzieren.
       
       Im März 2017 hatten der damalige slowakische Innenminister Robert Kaliňák
       und sein vietnamesischer Amtskollege To Lam in Bratislava ein Abkommen zur
       Zusammenarbeit beider Polizeien unterzeichnet. Im Juni besuchte Kaliňák
       Vietnam. Es ging unter anderem um Verbrechensprävention, die Bekämpfung von
       Menschenhandel und Korruption – und die Verbesserung der Zusammenarbeit bei
       der Fahndung nach Personen. Hatten sie da Trinh Xuan Thanh im Sinn? Nach
       ihm suchten damals die vietnamesischen Behörden.
       
       An dem Arbeitsessen nehmen die vier Vietnamesen teil, die mit dem Airbus
       eingeflogen wurden, und auf slowakischer Seite: Innenminister Kaliňák, der
       inzwischen zurückgetreten ist, zwei Ministeriumsleute und ein Mann Namens
       Le Hong Quang.
       
       Le Hong Quang, 53, ist ein Strippenzieher, der wohl entscheidenden Anteil
       daran hat, dass die Beziehungen beider Länder so gut gediehen sind. Der
       gebürtige Vietnamese absolvierte in den 80ern ein Ingenieurstudium in der
       Tschechoslowakei, machte später ein Reisebüro auf und wurde zum Präsidenten
       der slowakisch-vietnamesischen Handelskammer. Inzwischen hat er auch die
       slowakische Staatsbürgerschaft und steht seit mehreren Jahren im Dienst der
       Regierung in Bratislava. Als „Berater des Ministerpräsidenten für
       Außenhandel“ wurde er zum Türöffner für slowakische Unternehmen in Vietnam
       – das Land ist für die Slowakei ein wichtigerer Handelspartner als die USA.
       Gleichzeitig versuchte er, Vietnam den Zugang zum EU-Markt zu erleichtern.
       
       Im Jahr 2014 gab es in Hanoi Korruptionsvorwürfe gegen Le Hong Quang, das
       slowakische Außenministerium schaltete die Polizei ein. Die prüfte den
       Fall, sah aber keinen Anlass für Ermittlungen.
       
       ## Treue zum Vaterland
       
       Le Hong Quang fühlt sich offenbar beiden Ländern verpflichtet: Vor einem
       Jahr sprach er bei einer Feier in der vietnamesischen Botschaft. Nicht als
       slowakischer Regierungsberater, sondern als Vorsitzender der Vereinigung
       der Vietnamesen in der Slowakei. Einem offiziellen Bericht zufolge beschwor
       er die Treue der Auslandsgemeinde „zum Vaterland“ – gemeint ist Vietnam.
       
       Wenige Monate nach dem Treffen im Hotel wurde Le Hong Quang nach Hanoi
       entsandt, um als Geschäftsträger die slowakische Botschaft zu leiten. Bald
       solle er neuer Botschafter werden, das hat Peter Pellegrini, damals noch
       stellvertretender Ministerpräsident, im November bei einem Staatsbesuch in
       Hanoi angekündigt. Laut einem vietnamesischen Medienbericht lobte er ihn
       für seinen Beitrag zu den bilateralen Beziehungen. Seit Le Hong Quang
       Chefdiplomat in Hanoi ist, gibt es neue Vorwürfe. Wer ein Besuchervisum für
       die Slowakei beantragen wolle, müsse erst mal 3.000 Euro auf den Tisch
       legen, berichten mehrere Vietnamesen der taz. Für ein Arbeitsvisum noch
       mehr.
       
       Nach dem Arbeitsessen in Bratislava fahren die vier Männer, die mit den
       Slowaken am Tisch saßen, und acht weitere Vietnamesen, von denen unklar
       ist, ob sie überhaupt eine offizielle Rolle bei dem Treffen hatten, zum
       Flughafen und checken im VIP-Terminal mit Diplomatenpässen ein. Kurz vor 15
       Uhr startet der Airbus und landet gegen 17.10 Uhr europäischer Zeit auf dem
       Flughafen Moskau-Wnukowo. Wenn Trinh Xuan Thanh mit an Bord war, müssten
       das die slowakischen Behörden gewusst haben. Oder sie haben massiv
       geschlampt.
       
       Das slowakische Flugzeug kehrt noch am Abend von Moskau nach Bratislava
       zurück. Wie die Vietnamesen weiter nach Hanoi geflogen sind, ist unklar.
       Über den angeblichen Termin von Minister To Lam in der russischen
       Hauptstadt lässt sich nichts finden. Trinh Xuan Thanh jedenfalls wird in
       der vietnamesischen Hauptstadt ins Gefängnis gesteckt und eine Woche
       später, am 3. August, im ersten Kanal des Staatsfernsehens als ein Mann
       präsentiert, der sich freiwillig den Behörden gestellt hat.
       
       4 May 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ein-Thriller-zwischen-Berlin-und-Hanoi/!5432520
   DIR [2] https://www.aktuality.sk/clanok/586583/pomohli-sme-s-unosom-nemci-chcu-vypocut-posadku-specialu/?preview=56a619853272c756243ecd2559e9a2bff91345e6
   DIR [3] /!5497595/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Erb
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