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       # taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Gedichte des jungen Karl Marx
       
       > Marx ist nicht Rimbaud. In den Gedichten vernehmen wir den Paukendonner
       > und das Wellengebrause tiefster Romantik.
       
   IMG Bild: Vom romantischen Dichter zum Ampelmännchen – die verschlungenen Wege des Karl Marx
       
       Eine normale Jugend. Saufend und pöbelnd durch die Straßen ziehen, und ist
       man mal nüchtern, liebestrunkene Gedichte verfassen. Das machte auch Karl
       Marx so. Klar, sonst wäre wahrscheinlich irgendein Langeweiler aus ihm
       geworden. Aber jede Wette, die poetischen Zeugnisse seines jugendlichen
       Überschwanges zum 200. Geburtstag publiziert zu sehen, Faksimileausgabe der
       Handschrift, immerhin, hätte er womöglich als vergiftetes
       Geburtstagsgeschenk empfunden. Denn, nun ja, es zeigt sich nicht gerade ein
       zweiter Rimbaud in ihnen.
       
       Unter dem Titel „Weltgericht“ liegen seine Gedichte aus dem Jahr 1837 nun
       im Dietz Verlag vor. Marx schenkte sie, aufgeschrieben in ein Notizheft,
       dem „theuren“ Vater zum 60. Geburtstag. Kreuzreim über Kreuzreim, eine
       wahre Kreuzreimschlacht hat Marx veranstaltet, und man kann gar nicht
       anders, als sich vorzustellen, wie der ältere Marx hier auch mal mit sich
       selbst so wenig zimperlich wie üblicherweise mit anderen ins Gericht
       gegangen wäre und in ihnen ein „Biederrindvieh“ am Werke gesehen hätte.
       
       Obwohl er dieses Schimpfwort für Karl Liebknecht reserviert hatte. Das
       Verhältnis zum Vater war angespannt, näher fühlte er sich dem „theuern
       väterlichen Freunde“ Ludwig von Westphalen – Vater Jenny von Westphalens,
       mit der er sich 1836 heimlich verlobt hatte, kurz nachdem er zum Studium
       nach Bonn gegangen war. Marx hatte Dichter werden wollen, sein Vater sah
       ihn jedoch als Juristen. Neben juristischen Vorlesungen belegte Marx
       philologische Vorlesungen, in Bonn bei August Wilhelm Schlegel aus der
       romantischen Schule. 1836 hatte er nach Berlin gewechselt, wo er auf die
       Junghegelianer traf.
       
       ## Schon eine deutliche Spur in die Aufklärung
       
       Es ist interessant zu sehen, wie in Marx’ Jugend noch so vieles parallel
       existiert. Es gibt das Interesse für die Antike, über seinen Trierer Lehrer
       Johann Hugo Wyttenbach schon eine deutliche Spur in die Aufklärung, und in
       den Gedichten vernehmen wir nun den Paukendonner und das Wellengebrause
       tiefster Romantik. „Den Jüngling faßt’s, wie Wähnen, / Es stürzen ihm die
       Thränen, / Es klopft die volle Brust, / Er kann den Blick nicht trennen,/
       Er muß sie entbrennen, /Vergehn in heißer Lust.“
       
       Hölle und Seele, Traum und Schuld, das Höchste wird aufgerufen, Liebesglut
       weicht der Verzweiflung und inbrünstig ist sein Existenzialismus. Auch ein
       anderes tief romantisches Motiv, das Sprengenwollen aller Grenzen, ist
       immer da, bevor es später im „Kommunistischen Manifest“ einen politischen
       Ausdruck findet.
       
       Aber in den Gedichten zeigt sich auch noch Marx’ späterhin so
       beeindruckende Ironie, vor allem dem Höchsten gegenüber. Neben dem Gedicht
       „Weltgericht“ vermerkt er: „Scherz“. Und reimt: „Ha! mir schaudert vor der
       Stufe, / Die zu der Vollendung trägt, / Und ich schaud’re vor dem Rufe, /
       Wenn er mir ans Sterbbett schlägt.“
       
       10 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tania Martini
       
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