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       # taz.de -- Plädoyer im Münchner NSU-Prozess: Der treue Helfer
       
       > Als enger Unterstützer des Trios soll André Eminger für zwölf Jahre ins
       > Gefängnis. Am Dienstag plädierten seine Verteidiger – und forderten
       > Freispruch.
       
   IMG Bild: André Eminger Anfang Mai im Oberlandesgericht München
       
       München taz | Am Dienstagvormittag um kurz nach halb 10 steht Rechtsanwalt
       Herbert Hedrich am Redepult in Saal A101 des Münchener Oberlandesgerichts
       und sagt etwas, was in den 422 Verhandlungstagen des NSU-Prozesses zuvor
       noch nicht zu hören war. „Unser Mandant ist Nationalsozialist, der mit Haut
       und Haaren zu seiner politischen Überzeugung steht.“ So beginnt Hedrich
       sein Plädoyer für seinen Mandanten André Eminger. Die Gesinnung, so Hedrich
       weiter, aber dürfe nicht zu dessen Vorverurteilung führen.
       
       Die Bundesanwaltschaft hält Eminger, der heute 38 ist, für die „engste
       Bezugsperson“ des NSU während der Zeit im Untergrund. Sie wirft Eminger
       Beihilfe zum versuchten Mord, zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion,
       zum Raub und zur schweren Körperverletzung vor und fordert in ihrem
       Plädoyer im September 12 Jahre Haft. Weil das Strafmaß so hoch ist, bestehe
       Fluchtgefahr, argumentierte der Bundesanwalt und beantragte
       Untersuchungshaft.
       
       Drei Mal soll Eminger laut Anklägern ein Wohnmobil für den NSU angemietet
       haben. Damit sollen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zweimal nach Chemnitz
       gefahren sein, um dort Banken zu überfallen, und einmal im Dezember 2000
       nach Köln. Dort sollen die beiden Männer bei einem iranischstämmigen
       Einzelhändler in der Probsteigasse einen Sprengsatz deponiert haben, der in
       einer Christstollendose versteckt war. Als die Bombe im Januar 2001
       explodierte, wurde die Tochter des Einzelhändlers schwer verletzt.
       
       ## Angeblich damals kein gefestigtes rechtes Weltbild
       
       Außerdem, so die Bundesanwaltschaft, soll Eminger für den NSU Bahncards
       beschafft, eine Wohnung angemietet und Beate Zschäpe bei der Polizei als
       seine Ehefrau Susann ausgegeben haben. Zschäpe selbst hat im Prozess
       Eminger und seine Frau als enge Freunde beschrieben, wöchentlich habe man
       sich getroffen, häufig seien die Kinder der Emingers dabei gewesen. In die
       Raubüberfälle habe sie Eminger eingeweiht, sagte Zschäpe. „Von den
       Tötungsdelikten und Bombenanschlägen erfuhr er jedoch nichts.“
       
       Eminger, der dem Prozess bislang meist betont unbeteiligt gefolgt ist und
       während der ganzen Zeit schwieg, hört Hedrich und seinem Co-Verteidiger
       Michael Kaiser an diesem Dienstag aufmerksam zu. Er trägt eine dunkelrote
       Sportjacke, die bis oben geschlossen ist. So sieht man nur auf den
       Handrücken, wie heftig tätowiert der Mann ist. Eminger lächelt immer
       wieder, mal tuschelt er mit seiner Frau Susann, die als Beistand neben ihm
       sitzt. Die beiden halten während der ganzen Zeit Händchen. Eminger scheint
       mit dem Vortrag seiner Verteidiger zufrieden zu sein.
       
       Diese versuchen zunächst an dem Bild zu rütteln, dass Eminger schon zur
       Tatzeit ein überzeugter Neonazi war. Das Tatoo „Die Jew die“, das Eminger
       sich neben vielem anderen auf die Brust stechen ließ, habe es nach Aussage
       einer Zeugin Ende 1999 noch nicht gegeben. Nicht erwiesen sei, welchen
       Anteil ihr Mandant an der Gründung der Kameradschaft „Weiße Bruderschaft
       Erzgebirge“ und deren Zeitschrift „Aryan Law and Order“ wirklich gehabt
       habe – und ob nicht doch sein Zwillingsbruder Maik die treibende Kraft
       gewesen sei. Und sie führen an, dass Eminger während seiner Zeit bei der
       Bundeswehr bei einer Frage des Militärischen Abschirmdiensts nach seinem
       Tatoo „Blut und Ehre“ behauptet habe, dies sei der Spruch der Waffen-SS
       gewesen. „Tatsächlich war das der Kampfruf der Hitlerjugend“, so der
       Verteidiger. Allein diese „Unkenntnis“ zeige, dass Eminger noch kein
       verfestigtes Weltbild gehabt habe. Ohnehin würden Männer erst mit 25 Jahren
       erwachsen.
       
       ## Dritter Anwalt kurzfristig ausgestiegen
       
       Dann wenden sich Hedrich und Kaiser den Wohnmobilen zu. Es sei, so ihre
       Argumentation, nicht nachgewiesen, dass ihr Mandant diese wirklich gemietet
       habe. Fingerabdrücke und DNA gebe es nicht, auch die Unterschrift auf den
       Verträgen sei nicht klar zuzuordnen. Es könne ja zum Beispiel auch Emingers
       eineiiger Zwillingsbruder Maik gewesen sein, der mit dem Personalausweis
       seines Bruders das Wohnmobil mietete.
       
       Füge man zudem im Fall des Sprengstoffanschlags in der Kölner Probsteigasse
       die Aussage der Autovermietung, wie lange das Wohnmobil angemietet wurde,
       und die Zeugenaussagen des Einzelhändlers und seiner Familie, wann der in
       einer Christollendose getarnte Sprengsatz bei ihnen abgegeben worden sei,
       zusammen, ergebe sich: „Ein unmittelbarer Zusammenhang zum Wohnmobil
       scheidet denklogisch aus.“ Ihre Schlussfolgerung: „Es gibt keinen Nachweis,
       dass unser Mandant Mieter der Wohnmobile ist.“
       
       Emingers Pflichtverteidiger, die sich während des Prozesses weitgehend
       passiv verhielten, wechseln sich beim Vorlesen des gemeinsamen Plädoyers
       immer wieder ab. Ein dritter Anwalt, Daniel Sprafke aus Karlsruhe, den
       Eminger im April nach fast fünf Jahren Prozessdauer plötzlich engagiert
       hatte und der kurzzeitig im Prozess für Wirbel sorgte, legte am Dienstag
       sein Mandat wieder nieder. „Aufgrund sachlich divergierender Ansichten
       zwischen Verteidiger und Mandant, wie die weitere Verteidigung anzulegen
       sei“, sei dieser Schritt geboten gewesen, teilte Sprafke auf seiner Website
       mit.
       
       Familiärer Kontakt zu Zschäpe 
       
       Im Saal A 101 arbeiten die verbleibenden Verteidiger derweil Punkt für
       Punkt ab. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung? Es sei nicht
       nachgewiesen, dass Eminger von den Plänen und Taten des NSU gewusst habe.
       „Mangels Kenntnis“ gebe es daher auch keine Unterstützung einer
       terroristischen Vereinigung. Von den Banküberfällen „und nur davon“ habe
       Eminger erst im Nachhinein erfahren. Die Bahncards mit seinem Namen und dem
       seiner Frau? Seien erst zu einem Zeitpunkt aktuell geworden, als es den NSU
       als terroristische Vernigung schon nicht mehr gab. Schließlich sei das
       Bekennervideo, das 2007 entstanden sei, der Schlusspunkt gewesen. Und die
       enge Verbindungen zwischen den Emingers und dem NSU? Ein familiärer Kontakt
       vor allen von Emingers Ehefrau Susann zu Zschäpe, mehr nicht.
       
       Am Nachmittag fordert Rechtsanwalt Hedrich, Eminger „voll umfänglich
       freizusprechen“. Dass das Gericht seinen Mandanten nach dem Plädoyer der
       Bundesanwaltschaft wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft nehmen ließ,
       kann man als Zeichen deuten, dass es dies anders sieht. Seitdem sitzt
       Eminger, der viereinhalb Jahre lang dem Prozess als freier Mann gefolgt
       war, im Gefängnis. Am Mittwoch wird der Prozess mit dem Plädoyer der
       Verteidiger von Holger G. fortgesetzt.
       
       8 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
       
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