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       # taz.de -- Plädoyer im NSU-Prozess: Ab und zu eine Pistole weggeräumt
       
       > Am zweiten Tag seines Plädoyers untermauert der Anwalt Beate Zschäpes die
       > Behauptung, seine Mandantin sei keine Mittäterin gewesen.
       
   IMG Bild: Beate Zschäpe zwischen ihren Wunsch-Verteidigern Hermann Borchert (li.) und Mathias Grasel
       
       MÜNCHEN taz | Es herrscht gute Stimmung auf der Anklagebank im Sitzungssaal
       A 101. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ist sichtlich gut gelaunt, lacht,
       scherzt mit ihrem Anwalt Herrmann Borchert. Es ist Mittwoch, der 25. April,
       der elfte Jahrestages des NSU-Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter.
       9.48 Uhr, Borchert darf mit seinem Plädoyer vom Vortag fortfahren. Ein
       Plädoyer, in dem der Verteidiger die Vorwürfe der Anklage in teils scharfem
       Ton zurückweist.
       
       „Auch wenn die Bundesanwaltschaft gebetsmühlenartig behauptet, es sei der
       Wille der Mandantin gewesen, Menschen vornehmlich türkischer Herkunft zu
       eliminieren“, sagt Borchert, „es entspricht nicht der Wahrheit.“ An
       Spekulationen, Vermutungen, haltlosen Behauptungen fehle es nicht. Aber:
       „Den Beweis bleibt sie schuldig.“
       
       Die Bundesanwaltschaft hat für Zschäpe in ihrem Plädoyer im August 2017
       lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert. Zschäpe
       war nach ihrer Auffassung gleichberechtigtes Mitglied im NSU-Terrortrio und
       damit als Mittäterin an den zehn Morden und anderen Verbrechen zu
       bestrafen.
       
       Der Bundesanwaltschaft wirft Borchert eine einseitige und abwegige
       Beweisführung vor. Fakten seien für sie nicht von Belang, pauschale
       Behauptungen reichten ihr, die Argumentation sei unlogisch und basiere oft
       auf Spekulation oder Zirkelschlüssen. Die Anklage habe „Mosaiksteinchen“
       gesucht, die gegen die Glaubwürdigkeit der Mandantin sprächen. Indizien und
       Fakten lege sie so aus, „dass es ins Anklageschema passt“. Und: „Was nicht
       passt, wird passend gemacht.“
       
       ## Kopfschütteln, Achselzucken, intensives Mienenspiel
       
       Borcherts Ton wird mehrfach verächtlich, wenn er die vermeintlich abwegige
       Argumentation der Anklage kritisiert. Immer wieder sagt er: „Das bedarf
       keiner weiteren Kommentierung.“ Oder: „Dem ist nichts hinzuzufügen.“ Oder:
       „Das versteht sich von selbst.“ Immer wieder paraphrasiert er seine eigenen
       Aussagen. In die Länge zieht er seine Ausführungen dann auch noch, wenn er
       beispielsweise das recht geläufige Fremdwort „Interaktion“ aus dem
       Lateinischen herleitet, um den Zuhörern die Bedeutung der Vokabel klar zu
       machen.
       
       Es ist ein langatmiger Vortrag. Borchert arbeitet sich dabei vornehmlich am
       Plädoyer der Anklage ab. Zielsetzung des NSU, Innenleben der
       Terrororganisation, Waffenbeschaffung – der Verteidiger hangelt sich von
       Unterkapitel zu Unterkapitel. Oft verliert er sich im Detail, einem roten
       Faden zu folgen fällt schwer. Offenbar auch Zschäpes Altverteidigern.
       Stirnrunzeln, Kopfschütteln, Achselzucken, intensives Mienenspiel: Wolfgang
       Heer und Wolfgang Stahl verraten mittels demonstrativer Körpersprache immer
       wieder ihre Irritation über das Plädoyer des Kollegen.
       
       ## Bei keiner Lieferung anwesend gewesen
       
       Borchert weist zahlreiche der Vorwürfe der Anklage zurück. Zum Beispiel
       den, dass Zschäpe an der Beschaffung von Waffen für den
       Nationalsozialistischen Untergrund beteiligt gewesen sei. Die
       Bundesanwaltschaft habe nicht nachweisen können, dass Zschäpe auch nur eine
       einzige der vielen Waffen des Terrortrios besorgt hätte.
       
       Borchert bezieht sich auf die Aussage seiner Mandantin, sie habe keine
       Beziehung zu den Waffen gehabt und nur ab und zu eine Pistole in den
       Schrank weggeräumt, wenn sie offen herumlag. Bei keiner Lieferung sei sie
       anwesend gewesen. Anders lautende Zeugenaussagen will Borchert nicht gelten
       lassen – ebenso wenig die Begründung der Anklage, warum der Zeuge, einer
       der Mitangeklagten, glaubwürdig sei. Hier greife die Anklage lediglich auf
       einen Zirkelschluss zurück. „Ein Angeklagter ist nicht deshalb glaubwürdig,
       weil er glaubwürdig ist.“
       
       Zschäpe habe auch keine einzige Waffe mitgenommen, als sie die gemeinsame
       Wohnung nach dem Tod der beide Freunde verlassen und in Brand gesteckt
       habe. Dass die Waffen dann überall herum gelegen hätten, widerspreche nicht
       der Aussage Zschäpes, sie habe die Waffen weggeräumt, von den meisten der
       Waffen nicht einmal etwas gewusst. „Wie kann eine Wohnung nach Brandlegung
       und Explosion noch aufgeräumt sein?“
       
       ## Weder Kassenwart noch Kommandantin
       
       Auch für die Behauptung, dass Zschäpe der Kassenwart des NSU gewesen sei,
       gebe es keine Hinweise. Und Zschäpes Wohnung seien auch keinesfalls
       Kommandozentralen gewesen, wie es die Bundesanwaltsschaft darstellt. „Unter
       Kommandozentrale kann nur eine Zentrale verstanden werden, von der aus auch
       Kommandos gegeben werden.“
       
       Dass Zschäpe für die Anmietung der verschiedenen Wohnungen und der
       „Legendierung“ des Trios zuständig gewesen sei, überführe sie nicht der
       Mittäterschaft. Die Taten von Börnhardt und Mundlos hätten nicht davon
       abgehangen, in welcher Wohnung die drei gewohnt hätten. Und auch Legenden
       hätten sie unabhängig von den Straftaten benötigt. „Die lebten im
       Untergrund!“
       
       Warum Zschäpe dieses Leben überhaupt mitgemacht hat? Einerseits aus Angst
       vor einer – wenngleich vorübergehenden – Haftstrafe. Andererseits aber
       wegen der engen Verbindung zu Börnhardt und Mundlos. Börnhardt sei sie „in
       Liebe zugeneigt“ gewesen, sagt Borchert, sie habe sich mit den beiden wie
       in einer Familie gefühlt. „Frau Oberstaatsanwältin, widerlegen Sie doch die
       Liebe der Mandantin zu Börnhardt!“
       
       ## Drei Plädoyers für Zschäpe
       
       Abstrus fand Borchert auch den Verweis der Anklage auf ein Telefonat nach
       einem der Morde . Doch habe man hier nur eine Handyverbindung zwischen
       München und der Nähe der Zschäpe-Wohnung nachweisen können – ohne dass
       Teilnehmer oder Inhalt des Gesprächs bekannt gewesen wären. Dem stellte
       Borchert gegenüber, dass es bei 26 von 27 Straftaten keinen Handykontakt
       gegeben habe.
       
       Nach Borchert übernimmt morgen der zweite von Zschäpes Vertrauensanwälten,
       Mathias Grasel, dann soll Borchert in einem dritten Teil den Schlussvortrag
       beenden. Ursprünglich hatte Borchert die für das Plädoyer benötigte Zeit
       mit anderthalb Tagen angegeben. Doch nach aktuellem Stand ist offen, ob das
       Plädoyer morgen zum Ende kommen könnte. Danach folgt dann ein weiteres
       Plädoyer der drei ursprünglichen Pflichtverteidiger der Angeklagten.
       
       25 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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