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       # taz.de -- Speisewagen und Tristesse: Vom Essen auf Rädern
       
       > Zug fahren und gediegen speisen, ach, es könnte so schön sein. Ein
       > verzweifelter Versuch, im Bordrestaurant der Deutschen Bahn Glanz zu
       > finden.
       
   IMG Bild: Realität: So trostlos sieht es wirklich aus in den DB-Bordrestaurants
       
       Nähern wir uns dem Speisewagen mal ganz ohne Häme, dann ist das einfach ein
       Ort, an dem man essen und trinken kann. Prinzipiell also kein schlechter
       Ort. Denn gegen etwas Warmes – und sei es eine aufgewärmte
       „Flammkuchen-Zunge griechische Art“ – wird niemand etwas haben, der einen
       kleinen Spaziergang im fahrenden Zug machen will oder der Hunger hat,
       dessen mitgebrachtes Lunchpaket aber nichts mehr hergibt oder der erst gar
       keins mitgenommen hat.
       
       Wobei, der Einschub mit der „Flammkuchen-Zunge griechische Art“, die auf
       Englisch den noch viel schöneren Namen „Tarte flambée snack Greek-style“
       trägt, war jetzt ja doch wieder hämisch. Und dann ist man auch schon
       mittendrin in einem Thema, das – mal abgesehen von jedem wirklichen Elend
       dieser Welt – zu den eher traurigen gehört.
       
       Die Bahn und ihre Gastronomie, es könnte da so schön sein, und irgendwie
       zieht es uns auch immer wieder hin ins Bordrestaurant, wie der Speisewagen
       bei der Deutschen Bahn seit einigen Jahren heißt. Früher, längst vergessen,
       hieß er auch mal „Clubwagen“, fuhr als „Quick Pick“ durchs Land oder als
       „McTrain“, das war, als McDonald’s 1993 für wenige Monate versuchte, seine
       Burger im Zug zu verkaufen
       
       Doch angekommen im Bordrestaurant erwartet uns – bei allem Bemühen auch,
       die Speisen durch Spitzenköche als Paten aufzupeppen – nur etwas, dessen
       Name im besten Fall interessant klingt, das aber doch nur zubereitet wurde,
       indem jemand einen Beutel in ein Aufwärmgerät gelegt und, nachdem die
       einprogrammierte Garzeit verstrichen ist, den Beutelinhalt einigermaßen
       dekorativ auf einem Teller platziert hat.
       
       ## Klassiker Königsberger Klopse
       
       Beim Bordrestaurant-Klassiker Königsberger Klopse mag das ja noch hinhauen.
       Aber das „Putenschnitzel nature mit Paprika-Rahm-Soße und Reis“, derzeit
       angepriesen als Teil der Jahresaktion 2017/18 „Mehr als nur Essen –
       gekocht. gebloggt. geliked“ und kreiert von einer Food-Bloggerin, wird nie
       und nimmer so auf dem Teller landen, wie es die Abbildung in der
       Speisekarte zeigt. Es ist eh immer eine schlechte Idee, Gerichte auf
       Speisekarten abzubilden. Vor allem, wenn in der Küche keine Foodstylisten
       arbeiten.
       
       Nähern wir uns dem Speisewagen aber trotzdem noch mal auf eine andere Art,
       nämlich vom Wort her, von der Idee, mit der sein Vorhandensein ja geradezu
       spielt. Denn es gibt ihn sicher nicht nur, damit man zwischendurch mal
       etwas essen kann, sondern es steht etwas Größeres dahinter, gerade in
       Zeiten, in denen es stets um die Schaffung von Events geht, wie überzeugend
       sie dann immer auch sein mögen. Und in „Speisewagen“ schwingt doch einiges
       mit: das lohnende Ausflugsziel, von denen es in Zügen nicht so viele gibt;
       etwas Glamouröses; für Nostalgiker auch ein Stück untergegangener Welt.
       
       Denn wenn man wirklich dorthin will – und nicht muss, weil man anderswo
       keinen Sitzplatz bekommen hat oder weil es im Bordbistro neben dem
       Bordrestaurant für die Kinder die kleinen Spielzeugzüge gibt und man dann
       auch gleich ins Restaurant gehen kann, weil sie da so Nudeln mit Soße
       kriegen … – wenn man also wirklich dahin will, dann nicht, weil einen der
       Zugchef so freundlich eingeladen hat („… wo Sie unsere Mitarbeiter gerne
       erwarten“), sondern weil man sich von der Idee Speisewagen irgendwie
       angezogen fühlt.
       
       So ist der Gang ins Bordrestaurant vielleicht auch der Versuch, innerhalb
       der flüchtigen sozialen Gruppe der geschlossen auf ihren Smartphones vor
       sich hin wischenden Mitreisenden einen Distinktionsgewinn zu erzielen.
       Mampft ihr doch eure mitgebrachten Stullen, futtert eure Bratnudeln aus
       Pappboxen, stopft euch voll mit Süßkram, chattet in euren WhatsApp-Gruppen.
       Ich habe Klasse und gehe ins Restaurant.
       
       Auf dem Weg dahin, vom eigenen Sitzplatz (Großraumwagen, Gangplatz, Fenster
       war leider ausgebucht) durch Wagen 32, 33, 34 bis zum Ziel, begleiten uns
       so Vorstellungen. Man sieht darin rote Plüschsessel, weiße, gestärkte
       Tischdecken, dezenten Blumenschmuck; livrierte Kellner, die Empfehlungen
       des Küchenchefs oder auch der Küchenchefin aussprechen und Bestellungen
       mittels Stift und Papier aufnehmen; hinter einem Tresen stünde ein Koch und
       würde per Hand etwas zubereiten, es würde dampfen und brutzeln, angenehme
       Gerüche würden einen holzvertäfelten Raum durchziehen, Kerzenflammen im
       Takt der Gleisschwellen sanft zittern.
       
       Bis bei der Ankunft im Wagen 35 das Imaginierte von jenem Bild überlagert
       wird, das der Realität entspricht – dem einer Großkantine.
       Holzimitattische, Papierservietten als Tischdeckenersatz, unter den Sitzen,
       die mit abwaschbarem Kunstleder bezogen sind, stapeln sich silbrigblaugraue
       0,5-Liter-Tetrapacks des Mineralwassers Christinen Carat Naturelle, die
       verteilt werden, wenn es sonst nichts mehr gibt im Bordrestaurant. Die
       Fallhöhe zwischen dem, was das Wort „Speisewagen“ verheißt, und dem, wie es
       wirklich ist, ist einfach zu groß. Sie verkörpert genau die Tragik, die den
       Besuch dort zu so einem ernüchternden Erlebnis macht (und dann ist auch
       noch die Zapfanlage kaputt, was durchaus vorkommen kann).
       
       Aber wahrscheinlich sind es genau diese Minuten, in denen man auf
       schwankendem Grund den Zug durchquert, dieser Augenblick der Imagination
       einstiger oder wahrscheinlich nie dagewesener Klasse, der einen doch immer
       wieder in den Speisewagen führt. Dieser Weg muss zwangsläufig in einer
       Enttäuschung enden, womit jetzt aber wirklich nichts gesagt ist über die
       Freundlichkeit und das Bemühen der dort tätigen Bahngastronomen, die ja oft
       genug selbst unter den Begrenzungen ihrer Möglichkeiten am Konvektomaten
       stöhnen oder darüber, dass sie Gästen erklären müssen, was alles aus ist
       oder welches Gerät nicht funktioniert oder dass vieles erst gar nicht
       geliefert wurde. Es muss diese Enttäuschung geben, denn erst aus ihr
       erwächst doch immer wieder Hoffnung auf ein großes, schönes Erlebnis im
       fahrenden Ausflugslokal.
       
       Und die Königsberger Klopse schmecken – auch wenn das Ambiente, in dem sie
       serviert werden, so ist, wie es ist – auch gar nicht so schlecht.
       
       13 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Zimmermann
       
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