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       # taz.de -- Umgang mit Vorwürfen beim WDR: Klappe zu und durch?
       
       > Den WDR beschäftigen diverse Fälle der sexuellen Belästigung. Unternimmt
       > der Sender genug, um aufzuklären und zu schützen?
       
   IMG Bild: So hätte man es gern beim WDR
       
       Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist alltäglich, und wenn die Opfer im
       Betrieb um Unterstützung suchen, werden sie oft allein gelassen. Und oft
       sind sie es auch, die das Unternehmen dann verlassen, nicht die Täter.
       Genau das ist einer jungen Journalistin in den 90er Jahren beim WDR
       passiert.
       
       Die Medien-Fachzeitschrift M von Verdi berichtete über den Fall: Neben
       weiteren ähnlichen Erfahrungen sei die Journalistin während ihres
       Volontariats von einem Hörfunkkollegen durch abendliche obszöne Anrufe
       belästigt worden. Das meldete sie damals ihrem Ausbildungsleiter und der
       Gleichstellungsbeauftragten des Senders.
       
       Die Auszubildende erfuhr, dass der Mann bereits in weiteren Fällen, vor
       allem gegenüber Praktikantinnen, aktenkundig war, teilweise durch massives
       Stalking. Trotzdem wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Er ist bis heute
       fest in der Hörfunkredaktion des Kölner Senders angestellt. Die betroffene
       Journalistin hat später ihre Konsequenzen gezogen und sich vom WDR
       verabschiedet. Sie arbeitet nun selbstständig.
       
       Immer wieder hat es beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) solche Fälle gegeben.
       Und immer wieder hatten Betroffene den Eindruck, dass die Vorwürfe nicht
       richtig aufgearbeitet beziehungsweise die Belästigungen nicht adäquat
       geahndet wurden. Das hat in den letzten Wochen inner- und außerhalb des
       Senders für Empörung gesorgt. Aktuell, so die Angaben der größten
       ARD-Anstalt, wird Vorwürfen gegen sechs Mitarbeiter und eine Person aus dem
       Senderumfeld nachgegangen.
       
       Hierarchische Mauern 
       
       Weiteren Zündstoff erhielt der hauseigene #MeToo-Skandal noch durch die
       Kritik der Personalratsvorsitzenden Christiane Seitz, die aus dem von
       WDR-Intendant Tom Buhrow eigens für die Angelegenheit gegründeten
       „Interventionsausschuss“ austrat. Der Personalrat habe immer wieder
       vergeblich gefordert, „im absolut hierarchisch geprägten WDR eine wirklich
       umfassende strukturelle Kontrolle und Ahndung von Machtmissbrauch und
       Herabwürdigung gegenüber Schwächeren und Abhängigen zu gewährleisten“,
       bemängelte Seitz in M die Situation.
       
       Die Vorschläge „wurden teils ins Lächerliche gezogen, teils als überflüssig
       oder ‚zu aufwändig‘ erklärt. Sie wurden abgelehnt, verwässert und
       aufgeschoben. Nur einige Stichworte: Anspruch auf Konflikt- und
       Sozialberatung, Klimaanalysen in wirklich allen Abteilungen, transparente
       Bewertung von Vorgesetzten, psychische Gefährdungsbeurteilung.“ In anderen
       Unternehmen sei so etwas üblich. Es brauche „den Willen der WDR-Spitze, das
       seelische und körperliche Wohl der Beschäftigten als zentrales Anliegen zu
       sehen und danach zu handeln“.
       
       Doch gibt es diesen Willen? Als die Senderspitze Mitte April die externe
       Anwaltskanzlei Küttner als Anlaufstelle für betroffene Frauen empfahl, riet
       der Personalrat den MitarbeiterInnen in einer Mail davon ab, sich dort zu
       melden: Schon seit Jahren vertritt die Kanzlei Küttner den Arbeitgeber WDR
       vor Gericht. Das tat sie auch gegen einen Korrespondenten, der sich für die
       Betroffenen von sexueller Belästigung eingesetzt hatte.
       
       All das sollte auf der WDR-Rundfunkratsitzung am Dienstag thematisiert
       werden, aber aus der Runde, die das Medienunternehmen kontrollieren und bei
       Bedarf kritisch hinterfragen soll, kamen größtenteils nur lobende
       Kommentare zum Umgang mit den Belästigungsvorwürfen.
       
       „Es muss sich etwas ändern“ 
       
       Ganz so kritiklos wollten allerdings nicht alle Mitglieder des Gremiums die
       Darstellungen der Senderführung hinnehmen. Die stellvertretende
       Rundfunkrätin Karin Knöbelspies etwa konnte sich noch gut an ihre eigene
       Zeit als Volontärin beim WDR Ende der 80er Jahre erinnern. Bereits damals
       hörte sie Gerüchte über einen Mitarbeiter, dessen Verhalten aktuell vom
       Sender ebenfalls geprüft wird: „Sexismus war zu dieser Zeit gang und gäbe.
       Der Schaden nach außen ist groß, aber intern ist er noch größer. Was ist
       das für ein Laden, der so angstbesetzt ist?“
       
       Und an die Adresse des Rundfunkratsvorsitzenden Andreas Meyer-Lauber
       gerichtet, der zu Anfang der Sitzung feststellte, der Rundfunkrat sei kein
       Organ der Ermittlung und des Arbeitsrechts, sagte sie: „Ich finde, der
       Rundfunkrat steht da auch nicht außen vor. Ich kann nicht bestätigen, dass
       die Angelegenheit hier gut aufgearbeitet wird. Wenn so viele Leute sagen,
       dass in der Unternehmenskultur so viel nicht in Ordnung ist, dann muss sich
       etwas ändern.“
       
       Ähnlich sah es auch Petra Kammerevert (SPD): „Es muss eine Kultur
       geschaffen werden, in der Betroffene sich trauen können, sich zu melden.
       Das zeigen die zahlreichen anonymen Hinweise.“
       
       „Was die Diskussion um Kultur angeht, dem möchte ich mich stellen“,
       kündigte Buhrow in Köln an, „das wird ein langer Weg werden.“ Der WDR-Chef
       nutzte das Forum, um seine Führungskräfte Valerie Weber und Jörg
       Schönenborn zu loben.
       
       Es gibt Diskussionsbedarf 
       
       Fernsehdirektor Schönenborn war im Vorfeld vorgeworfen worden, er habe zu
       wenig für eine Aufklärung der Vorwürfe getan. Eigentlich hätte auf der
       Konferenz auch deren Wiederwahl angestanden, aber das wollte Buhrow
       offenbar nicht: „Ich werde einen Vorschlag machen, sobald Monika
       Wulf-Mathies ihren Bericht abgeschlossen hat.“
       
       Die frühere Gewerkschaftsvorsitzende und EU-Kommissarin prüft zurzeit, wie
       der WDR mit den Vorwürfen umgegangen ist. Buhrows Amtszeit, die noch bis
       Juli 2019 läuft, wurde übrigens bereits auf der Rundfunkratssitzung im März
       bis 2025 verlängert.
       
       Die Vorgänge beim WDR belegen den #MeToo-Diskussionsbedarf, der in der
       deutschen Medienbranche vorhanden ist. Das zeigt ganz aktuell das Interesse
       am Umgang mit WDR-Fernsehchef Gebhard Henke. Er ist einer der sieben
       Männer, deren Verhalten jetzt vom WDR untersucht wird und der sich von sich
       aus an die Medien gewandt hatte, um seine Unschuld zu beteuern – nachdem er
       vom WDR freigestellt worden war.
       
       Der Spiegel widmete dem Fall eine vierseitige Geschichte, in der mehrere
       Frauen, darunter die Autorin und Moderatorin Charlotte Roche, [1][dem
       63-Jährigen Belästigungen vorwerfen]. Die Fälle reichen von 1990 bis 2015.
       „Er gab mir die rechte Hand und legte mir die linke gleichzeitig fest
       mitten auf den Po.“ Sie habe versucht, sich wegzubewegen, doch er habe sich
       mitbewegt, beschreibt Roche eine Begegnung mit Henke aus dem Jahr 2013.
       „Das war schlimm und dauerte gefühlt ewig.“
       
       Lieber alles beim Alten belassen? 
       
       Doch Henke hat auch Fürsprecher auf seiner Seite. Der Anwalt Ralf Höcker
       befindet: „Nichts von dem, was ich da gelesen habe, ist ein
       Straftatbestand. Er hätte sich vor diesem Hintergrund nicht outen sollen,
       denn damit hat er das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich
       wollte.“ „Alles“, so der Jurist weiter, der auch Jörg Kachelmann vertreten
       hat, werde zurzeit unter dem Begriff „Sexismus“ hysterisch in einen Topf
       geworfen: „Von der Vergewaltigung bis hin zu einer unpassenden Bemerkung.“
       
       Auch rund 40 Frauen, darunter Produzentin und Regisseurin Feo Aladag sowie
       Schauspielerin Iris Berben, bekundeten in einem offenen Brief, dass ihre
       Zusammenarbeit mit Henke „frei von Übergriffen jedweder Art und Schwere“
       gewesen sei. Für sie legt die Freistellung von Gebhard Henke den Eindruck
       nahe, dass Differenzierung unerwünscht sei: „Die Auseinandersetzung mit
       Vorwürfen darf aber nur differenziert geführt werden. Und dies im Rahmen
       einer sorgfältigen Wahrheitsfindung und Meinungsbildung.“
       
       Was das heißen soll? „Die Skandalisierung, die aktuell im Vordergrund
       steht, trägt nichts zu einer Lösung bei, darauf wollen wir hinweisen“,
       antwortet die Mitinitiatorin des Textes und PR-Agentin Heike Melba-Fendel.
       
       Aber was dann? Dass die Vorgänge öffentlich geworden sind, könnte zur
       Klärung und Lösung beitragen. Wäre das nicht passiert, wäre vielleicht doch
       wieder alles beim Alten geblieben. So wie damals, als Mitarbeiterinnen
       lieber kündigten.
       
       13 May 2018
       
       ## LINKS
       
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