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       # taz.de -- Interview Landessprecherin der Grünen: „Verkauf städtischer Flächen stoppen“
       
       > Was kommt in Bremen nach Rot-Grün? Alexandra Werwath, Sprecherin des
       > Grünen-Landesvorstands, über neue Gesichter und grüne
       > Alleinstellungsmerkmale.
       
   IMG Bild: Die Bremer Grünen wollen sich stärker für Alleinerziehende engagieren
       
       taz: Frau Werwath, nach der aktuellen Infratest-Umfrage hat die rot-grüne
       Bremer Koalition keine Mehrheit mehr. Warum? 
       
       Alexandra Werwath: Den Trend haben wir schon bei den Bundestagswahlen
       erkennen können. Die Bevölkerung bewertet das, was in den letzten zwei oder
       drei Jahren passiert ist, und das war für uns eine harte Legislaturperiode.
       Natürlich machen solche Ergebnisse einen dann auch nachdenklich. Die 14
       Prozent sind deutlich ausbaufähig und ein Ansporn für mich, bis zum letzten
       Tag um jede Stimme in Bremen zu kämpfen.
       
       Wähler wollen heutzutage auch unterhalten werden durch die Politik. In der
       Unterhaltungsindustrie gibt es den Ruf nach neuen Gesichtern … 
       
       Wir bieten etwas bundesweit Einzigartiges, wir wollen mit drei Frauen an
       der Spitze antreten. In diesen drei Frauen bündeln sich die grünen
       Kompetenzen. Das ist ein tolles Angebot an die Wähler*innen. Genauso gibt
       es eine Jungenquote für zwei neue Kandidat*innen unter 30 Jahren auf den
       aussichtsreichen Listenplätzen fünf und sechs bundesweit nur bei uns.
       
       Die Frage nach neuen Gesichtern irritiert nicht? 
       
       Wir haben so viele tolle neue Mitglieder bei den Grünen in den vergangenen
       Monaten dazugewinnen können, die uns sehr verändern und prägen werden. Die
       Partei war so mutig und hat mich als Landesvorstandssprecherin gewählt. Das
       finde ich schon einen beachtlichen Schritt – Erneuerung ist aber eben auch
       kein Selbstzweck.
       
       In Freiburg ist ein neues Gesicht gewählt worden, der erfahrene grüne
       Bürgermeister Dieter Salomon wurde abgewählt. 
       
       Offenbar gab es nach 16 Jahren in Freiburg eine Wechselstimmung, in der ein
       junger frischer Politiker überzeugt hat.
       
       Wieso war diese Legislaturperiode besonders schwer? 
       
       Wir sind auf der Zielgeraden des Sanierungskurses. Zudem hatte die
       Bewältigung des Zuzuges von Geflüchteten Priorität. Das waren harte Nüsse
       für diese Koalition und eine Kraftanstrengung für dieses Land.
       
       Wo wurde denn besonders viel gespart? 
       
       Bei den Personaleinsparungen geht einfach nichts mehr. Unsere Infrastruktur
       an Brücken und Straßen haben wir eher auf Verschleiß gefahren. In unsere
       öffentliche Infrastruktur muss deshalb wieder deutlich mehr investiert
       werden.
       
       Am Ende der Sanierungsverhandlungen hat es einen großen Erfolg gegeben, der
       dazu führte, dass derzeit schon wieder mächtig viel Geld ausgegeben wird.
       Für die Jacobs-Uni, für die Beitragsfreiheit der Kitas. Dennoch sind die
       Leute laut Befragung nicht zufrieden. 
       
       Diese Umfrage wurde vom Weser-Kurier in Auftrag gegeben, bevor diese
       Entscheidungen fielen. Man muss dabei aufpassen, dass das Geld nicht
       ausgegeben wird, bevor der dann zuständige Haushaltsgesetzgeber gewählt
       ist. Ich finde die Befreiung von Kita-Beiträgen absolut richtig, aber wir
       dürfen nicht jetzt schon Geld verteilen, das erst 2020 auf das Konto kommt.
       Bei der Jacobs-University wäre jede andere Entscheidung viel teurer
       geworden. Aber ich denke, dass wir sie langfristig eingliedern müssen in
       die staatliche Hochschullandschaft. Die Erwartung, dass stiftungsgeförderte
       Privatuniversitäten sich im Übrigen hier und jetzt selber tragen würden,
       halte ich für eine Lebenslüge.
       
       Auch für die Schulen wurde viel Geld ausgegeben. 
       
       Es gibt beispielsweise beim Ganztagsschulausbau und der Inklusion gute
       Ansätze. Wenn es um Schulfragen geht, sehe ich dennoch Bremen noch nicht
       auf der richtigen Spur.
       
       Inwiefern nicht? 
       
       Die Bildungstests lügen nicht. Wir müssen die Qualität wirksam und merklich
       steigern.
       
       Deswegen hat die Senatorin da schlechte Ergebnisse bekommen? 
       
       Vielleicht auch, weil sie noch nicht so lange im Amt ist. Eine Karoline
       Linnert oder Ulrich Mäurer sind den Menschen in diesem Bundesland länger
       durch ihre Regierungsarbeit bekannt.
       
       Geht aus der Umfrage hervor, dass die Grünen bei den Frauen mehr Zustimmung
       haben als im gesamten Schnitt? 
       
       Danach wurde nicht gefragt. Aber das würde dem Bundestrend entsprechen.
       Grüne werden überdurchschnittlich häufig von Frauen gewählt.
       
       Wie sehen Sie die Bilanz der grünen Frauensenatorin Anja Stahmann? 
       
       Wir packen jetzt stärker das Thema Alleinerziehende an. Wir haben
       Förderangebote und Beratungsstellen. Da stellt sich immer wieder die
       Finanzierungsfrage.
       
       Wie viel Symbolpolitik steckt aus Ihrer Sicht in der Frauenpolitik? 
       
       Wenn wir über Punkte wie Gleichstellung, Anerkennung, aber eben auch die
       alltägliche Abwertung von Frauen zum Beispiel in Bezug auf ihren Körper
       sprechen, dann geht es uns um eine Veränderung des gesellschaftlichen
       Klimas. Wenn wir aber über konkrete wirksame Maßnahmen, wie
       Kita-Randzeitenbetreuung oder Zugang zu Weiterbildung und damit auch über
       Arbeit reden, dann sprechen wir hier nicht mehr über Symbolpolitik.
       
       Der grüne Umweltsenator hat jetzt angekündigt, dass er aufhören will. Das
       hätte ein großes Pfund für die Grünen sein können … 
       
       Ich glaube, wir haben als Partei die Menschen zu wenig emotional in ihrem
       Alltag abgeholt. Insbesondere da, wo es in der Stadtentwicklung zu grünen
       Zielkonflikten kommt. Wir haben natürlich eine Verantwortung für die
       Gesamtbevölkerung. Da müssen wir mit großer Empathie um Verständnis werben.
       Wir stecken da ja auch manchmal in der Klemme und müssen uns in der
       Gesamtabwägung für etwas entscheiden, dass nicht allen passt. Das geht auch
       an mir nicht spurlos vorbei, im Gegenteil.
       
       Kann man für die Verengung des Fahrradweges unter der Stephanibrücke mit
       Empathie werben? 
       
       Die Grünen sind gut darin, in ihrem protestantischen Arbeitsethos die
       emotionale Komponente von solchen Konflikten zu übersehen. Das Ergebnis
       ist, dass sich die halbe Welt darüber lustig macht. Diese Erregung ist
       vielleicht aber auch ein Zeichen dafür, dass es keine wesentlicheren
       Probleme gibt für Fahrradfahrer. Offenbar sind die Fahrradfahrer in Bremen
       zufrieden. Ich fahre jeden Tag durch die Humboldtstraße. Ein Musterbeispiel
       für Bremer Fahrradpolitik. Unweit der Stephanibrücke entsteht ein
       Fahrradmodellquartier. Mit dem Projekt haben wir 2018 den deutschen
       Fahrradpreis gewonnen.
       
       Wird der nächste Umweltsenator ein Grüner sein? Vielleicht eine
       Umweltsenatorin? 
       
       Abgerechnet wird am Wahltag und über Ressorts wird erst entschieden, wenn
       die Koalitionsverhandlungen erfolgreich waren. Natürlich würde ich mir das
       wünschen.
       
       Wenn die Wahl so ausgeht wie das Umfrageergebnis anzeigt, dann würde es
       nicht mehr reichen für drei grüne Senatorinnen – und Karoline Linnert und
       Anja Stahmann wären gesetzt. 
       
       Ich finde, dass jetzt nicht die Zeit für Koalitionsspielchen ist.
       
       Aber es würde entweder die FDP oder die Linke gebraucht für eine Mehrheit,
       und da wollen WählerInnen wissen, was ihr Kreuz bewirken könnte. 
       
       Ich bin mal gespannt, ob die Linke nach einer erfolgreichen Wahl
       regierungsfähig wäre. Bei der Fraktion kann ich mir das in Teilen
       vorstellen, bei der Partei habe ich große Fragezeichen.
       
       Also lieber Große Koalition? 
       
       Na, in diese Zeiten wollen wir doch bitte nicht zurückfallen.
       
       Die Grünen sind damit erpressbar? 
       
       Wir treten an für 100 Prozent Grün – staatstragend, das haben wir in den
       letzten Jahren bewiesen, und gleichzeitig radikal in unserer Denke.
       
       In der Innenstadt wird derzeit viel Umbau geplant. Unternehmen, die
       Millionen investieren, geben den Ton an. Gibt es dafür grüne Ideen? 
       
       Wir müssen die Universität in die Innenstadt holen. Genau darüber haben wir
       auf unseren Zukunftskonferenzen in den vergangenen Wochen diskutiert. Mit
       der Sparkasse gehen bald 800 Angestellte weg, das Faulenquartier steht vor
       einem Umbruch. Wie wäre es, wenn dafür 1.000 Studierende kommen würden? Mit
       Studentenwohnungen und einem Klub im Brill-Tunnel, mit richtig Leben in der
       Innenstadt. Wir müssen zudem mehr Grün in die Stadt holen: an Fassaden, auf
       Dächern und auf Plätzen, damit die Leute sich auch gerne dort aufhalten.
       
       Für die Investoren scheinen Geschäftspassagen und hochpreisige Wohnungen
       mehr Rendite zu versprechen. 
       
       Wenn wir über die stadtentwicklungspolitische Deutungshoheit, über Wohnraum
       sprechen, dann müssen wir auch darüber reden, den Verkauf von städtischen
       Flächen zu stoppen. Wir müssen über das Planungsrecht und städtebauliche
       Verträge klare und verlässliche Nutzungsvorgaben machen und Grundstücke im
       Erbbaurecht vergeben. Wir brauchen aber auch eine grundlegend neue
       Strategie für den Ankauf von Grundstücken. Und schließlich: Wir brauchen
       mehr bezahlbaren Wohnraum. Wem gehört die Stadt? Das ist die Frage, die wir
       in den Mittelpunkt stellen müssen. Es macht einen Unterschied, wer diese
       Stadt regiert.
       
       11 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Wolschner
       
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   DIR Schwerpunkt Bürgerschaftswahl Bremen 2023
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