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       # taz.de -- Zwickau schönt Stadtgeschichte: Jubiläum mit Erinnerungslücken
       
       > Das sächsische Zwickau feiert sein 900-jähriges Jubiläum mit netten
       > Lichtinstallationen. Die NS-Zeit sowie der NSU werden weitgehend
       > ausgeblendet.
       
   IMG Bild: Auch sie gehören zur Stadtgeschichte von Zwickau
       
       Zwickau taz | Mit einer Festwoche feiert das sächsische Zwickau in diesen
       Tagen sich und seine 900-jährige Geschichte. Die Stadt steht vor allem für
       den Steinkohlebergbau, später für den Automobilbau von Horch und Auto-Union
       über die „Rennpappe“ Trabant der DDR bis hin zu VW heute. Aber auch
       Künstler wie Robert Schumann oder Max Pechstein wurden hier geboren. Eine
       zentrale Ausstellung des Kulturamtes erzählt „Geschichte und Geschichten“
       anhand von Straßennamen. Doch junge Historiker wie Alexander Walther stört,
       dass dabei heikle Epochen und Episoden wie die NS-Zeit und das hiesige
       Quartier der NSU-Terrorzelle ausgeblendet werden.
       
       Walther hat Lehramt studiert und promoviert derzeit an der Universität Jena
       zum Thema „Die DDR und der Holocaust“. Er ist aufmerksam und mit wachsendem
       Unbehagen durch die Ausstellung im Stadtmuseum gegangen. Zwar erinnert das
       Kapitel zum Jerusalemer Platz an die Judenverfolgung in der Stadt, die seit
       1543 für fast dreieinhalb Jahrhunderte praktisch „judenfrei“ war. Gleiches
       traf auf das Ende des Zweiten Weltkrieges zu, nachdem die jüdische
       Bevölkerung fast komplett deportiert worden war.
       
       Doch mit dieser NS-Ära sind auch viele Unaufrichtigkeiten verbunden. Bei
       Forschungen über das auffallend braune Sachsen taucht beispielsweise immer
       wieder die Gründung der ersten NSDAP-Ortsgruppe außerhalb Bayerns in
       Zwickau 1921 auf. In Zwickau scheint das niemand mehr zu wissen. Die
       Enteignung der durch ihre Großkaufhäuser berühmten jüdischen
       Schocken-Familie 1938 wird zwar erwähnt, nicht aber die Rolle der
       Stadtbevölkerung bei den Pogromen der sogenannten Reichskristallnacht im
       gleichen Jahr.
       
       Ein Film über die Horch- und Audiwerke erklärt zwar, dass diese mit
       Kriegsbeginn zum Rüstungsbetrieb umfunktioniert wurden. Unerwähnt bleibt
       aber, dass dafür von der SS rund tausend Zwangsarbeiter angefordert wurden.
       Sie waren in einem Barackenlager als Außenstelle des KZ Flossenbürg
       untergebracht. Als ein „wildes KZ“ diente bereits seit 1933 das Schloss
       Osterstein, das lediglich als „Gefängnis“ bezeichnet wird. Die Stadtchronik
       im Veranstaltungskalender offenbart zwischen den Jahren 1913 und 1954 eine
       auffallende Lücke.
       
       Die NS-Erben vom NSU nutzten mit dem Wohnhaus von Beate Zschäpe einen
       Stützpunkt in Zwickau. Auch darauf fehlt jeder Hinweis. Das „Zwickauer
       Demokratie Bündnis“ bemüht sich seit Jahren vergeblich um ein Denkmal auf
       der Brachfläche des abgerissenen Hauses. Als Künstler im November 2016
       bunte Holzbänke zur Erinnerung aufstellten, wurden diese noch in der ersten
       Nacht teilweise zerstört. Oberbürgermeisterin Pia Findeiß beklagte damals
       den fehlenden Aufschrei in der Stadt.
       
       Der Sozialdemokratin macht Alexander Walther auch keine persönlichen
       Vorwürfe. Findeiß musste in der Vergangenheit schon wüste Beschimpfungen
       von rechts ertragen. Die Stadt gilt als braune Hochburg. Von diesem Image
       habe man sich zum Stadtjubiläum wohl befreien wollen, unterstellt der
       Historiker dem Kulturamt gar keine Unterschlagungsabsichten. Aber in diesem
       verständlichen Wunsch sei die Selbstdarstellung wohl etwas zu
       „glattgebügelt“ geraten.
       
       Stadtsprecher Mathias Merz entgegnet, in Zwickau werde sehr wohl mit
       Veranstaltungen und Mahnmalen an die Schocken-Enteignung und die zerstörte
       Synagoge erinnert. Das tue auch die Broschüre „Zwickauer Kirchenweg“. Das
       August Horch Museum thematisiere auch den Einsatz von KZ-Häftlingen.
       Historische Lücken werde man immer finden, aber dem Stadtfest könne man die
       Unterschlagung „dunkler Kapitel“ nicht vorwerfen.
       
       „Die Mehrheitsgesellschaft interessieren eher nette Lichtinstallationen“,
       konstatiert der Historiker Walther gleichwohl. So geht es wohl auch
       Vertretern der Sächsischen Staatsregierung, die in ihren Grußbotschaften
       ausschließlich Lobeshymnen auf die viertgrößte sächsische Stadt singen.
       
       4 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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