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       # taz.de -- Schweinswale in Nord- und Ostsee: Vom Aussterben bedroht
       
       > Die Schweinswale verschwinden. Die Gründe dafür sind
       > Schadstoffbelastungen der Meere, Unterwasserlärm und Ersticken oder
       > Ertrinken in Stellnetzen.
       
   IMG Bild: Extrem selten: Ein weißer Schweinswal in der Ostsee im Großen Belt
       
       HAMBURG taz | Das Fazit von Steffi Lemke fällt ernüchternd aus:
       „Schweinswale sind weiterhin vom Aussterben bedroht oder in der Population
       stark gefährdet“, sagt die naturschutzpolitische Sprecherin der grünen
       Bundestagsfraktion. Grund ist eine Antwort der Bundesregierung auf Lemkes
       Anfrage zum Bestand der Schweinswale in Nord- und Ostsee. Dort würden „die
       Bestände als stabil eingeschätzt, die eigenständige Population in der
       zentralen Ostsee allerdings auf dem extrem niedrigen Niveau von weniger als
       500 Tieren“, lautet die Auskunft.
       
       „Damit ist die Population in der zentralen Ostsee vom Aussterben bedroht“,
       sagt Lemke. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Parlamentarische
       Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, bestreitet das in ihrer
       schriftlichen Antwort nicht: „Insgesamt haben Schweinswale derzeit weder in
       der deutschen Nord- noch in der Ostsee den günstigen Erhaltungszustand
       gemäß EU FFH-Richtlinie erreicht.“
       
       Damit räumt die Bundesregierung ein, dass der Artenschutz für Meeressäuger
       in den deutschen Küstengewässern gegen die Anforderungen der Richtlinie
       Flora-Fauna-Habitat (FFH) der EU verstößt. Ob dies bis 2020 behoben werden
       kann, „bleibt abzuwarten“, so die Staatssekretärin. Doch bis dahin, das
       schreibt die 2008 verabschiedete Europäische
       Meeresstrategierahmenrichtlinie vor, müssen alle EU-Mitgliedsstaaten einen
       „guten Zustand der Meeresumwelt“ vor ihren Küsten erreicht haben.
       
       Für die westliche Ostsee und die Nordsee nennt das Bundesumweltministerium
       keine neuen Zahlen, sondern bezeichnet die Populationen lediglich als
       „stabil“. Vor zwei Jahren war die Bundesregierung auf eine frühere Anfrage
       von Lemke deutlich auskunftsfreudiger gewesen. In der westlichen Ostsee
       zwischen Rügen und dem Kattegat wurde die Population mit etwa 18.500
       Schweinswalen angegeben, in der Nordsee vom Ärmelkanal bis zum Nordkap
       liege der Bestand bei mehr als 200.000 Exemplaren. Zehn Jahre zuvor hätten
       dort allerdings noch mehr als 300.000 Schweinswale gelebt, so die
       Bundesregierung damals.
       
       Die Hauptgründe für das langsame Verschwinden von Flippers kleinem Vetter
       sind Fischerei, Schadstoffbelastungen der Meere und Unterwasserlärm. Seit
       2004 sind mehr als 3.000 tote Schweinswale allein an den deutschen Küsten
       von Nord- und Ostsee angeschwemmt worden. Schätzungsweise 60 Prozent der
       Meeressäuger, das ließen pathologische Untersuchungen vermuten, sind als
       Beifang in den Stellnetzen der Fischerei erstickt oder ertrunken, räumte
       die Bundesregierung 2016 auf eine Anfrage von Lemke ein. Neuere Zahlen dazu
       nennt sie jetzt nicht, Lemke will deshalb mit einer weiteren Anfrage
       nachbohren.
       
       „Schweinswale enden weiter als Beifang in Fischernetzen und verlieren durch
       Industrielärm ihre Orientierung“, konstatiert Lemke. Von der
       Bundesregierung fordert sie endlich wirksame Regeln für den Meeresschutz:
       „Das bedeutet: echte Rückzugsräume für Meeressäuger und keine
       zerstörerischen Fischfangtechniken in Schutzgebieten mehr.“
       
       Eben solche Verbote aber scheut die Bundesregierung weiterhin. 72 Prozent
       der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee, die
       deutlich über das staatliche Hoheitsgebiet hinausgeht, unterliegen keinen
       naturschutzrechtlich begründeten Beschränkungen. Lediglich in 0,1 Prozent
       der AWZ und weniger als 0,3 Prozent der Naturschutzflächen „darf keinerlei
       Fischerei stattfinden“, so die Auskunft der Bundesregierung vor zwei
       Jahren. Geändert hat sich daran nichts.
       
       Deutschland ist zwar in Europa bei der Fläche der Meeresschutzgebiete
       (Natura 2000) führend, doch gibt es bisher keine Schutzmaßnahmen oder
       Managementpläne. Erst im September 2017 wurden die zehn schon im Jahr 2007
       ausgewiesenen Natura 2000-Gebiete in der AWZ von Nord- und Ostsee rechtlich
       als Naturschutzgebiete zusammengefasst und unter Schutz gestellt. Aktuell
       würden Vorschläge für die Fischerei in der Nordsee „mit den wirtschaftlich
       betroffenen EU-Staaten abgestimmt“, so das Umweltministerium, für die
       Schutzgebiete in der Ostsee würden „Maßnahmen vorbereitet“.
       
       Und das kann dauern. Schutzgebiete ohne Schutzmaßnahmen indes, sagt Lemke,
       „sind fast wertlos“.
       
       22 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven-Michael Veit
       
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