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       # taz.de -- Kommentar Regierungsbildung in Italien: Schwachbrüstig gen Brüssel brüllen
       
       > Die Italiener haben bei der Wahl auf zwei populistische Parteien gesetzt.
       > Wollen die rechte Lega und die 5 Sterne zusammen regieren, wäre es ein
       > Seiltanz.
       
   IMG Bild: Bruderkuss der Populisten: Ein Grafitto zeigt Luigi di Maio und Matteo Salvini
       
       Noch ist der Regierungspakt zwischen dem [1][Movimento5Stelle] (M5S) unter
       Luigi Di Maio und Matteo Salvinis [2][rechtspopulistischer Lega] nicht in
       trockenen Tüchern. Noch könnte das Übereinkommen auf der Zielgeraden
       scheitern, am Personaltableau und vorneweg an der Frage, wer denn nun
       Ministerpräsident werden soll.
       
       Wenigstens in den Sachfragen, so scheint es, sieht keine der beiden
       Parteien unüberwindbare Hindernisse. Italien könnte so zum zweiten Mal seit
       1994 zum politischen Laboratorium werden. Damals wurde Silvio Berlusconi
       Regierungschef und Europa schaute mit einer Mischung aus Befremden,
       Entsetzen und auch ein wenig Amüsement nach Rom.
       
       Diese Reflexe dürften sich jetzt wiederholen. Schließlich steht erstmals in
       Westeuropa eine Regierung ins Haus, die ausschließlich von Parteien des
       Anti-Establishment-Protests gebildet wird. Auf der einen Seite steht das
       vom Komiker [3][Beppe Grillo gegründete M5S], das „die Bürger“ gegen die
       aus seiner Sicht korrupten und unfähigen Altparteien vertreten will. Und
       auf der anderen Seite ist da die Lega, die unter Salvini den Zusatz „Nord“
       aus ihrem Namen gestrichen hat. Eine Partei, die sich nach dem Vorbild des
       französischen Front National als stramm rechtsnationalistische Kraft gegen
       Immigranten, gegen die EU, für die brav arbeitenden Italiener aufgestellt
       hat.
       
       Dass es so weit kommen kann, entspricht durchaus der Protestlogik, die am
       4. März bei den Parlamentswahlen zum Tragen kam: 32,7 Prozent der Italiener
       stimmten für das M5S, 17,4 Prozent für die Lega – eine absolute Mehrheit
       also für Parteien, die alles neu, alles anders zu machen versprechen.
       
       ## Fantasieversprechungen nach Nord und Süd
       
       Was aber würde neu und anders? Steuern, Sozialleistungen, Immigranten,
       Europa: Dies sind die Kapitel, bei denen sich Di Maio und Salvini zusammen
       raufen müssen. Die Lega hat im Wahlkampf eine Flat tax, einen einheitlichen
       Einkommensteuersatz von 15 Prozent zu einem ihrer zentralen Versprechen
       gemacht und damit vor allem im Norden des Landes Stimmen abgeräumt. Das ist
       für die Bezieher mittlerer und hoher Einkommen durchaus attraktiv – mit dem
       kleinen Problem allerdings, dass der Spaß schon bei einem Steuersatz von 23
       Prozent staatliche Mindereinnahmen von 40 Milliarden Euro jährlich bedeuten
       würde.
       
       Milliardenschwer würde die Belastung des Staatshaushalts auch durch jene
       Kernforderung, mit der das M5S seinerseits vor allem im Süden Italiens
       triumphieren konnte: das „Bürgereinkommen“. Recht besehen handelt es sich
       da keineswegs um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern um eine
       Arbeitslosensicherung, die bei 780 Euro monatlich liegen soll. Die
       vorsichtigsten Schätzungen sehen hier Kosten von etwa 15 Milliarden Euro
       jährlich.
       
       Schon ein Einstieg in diese beiden Reformen hat das Zeug, sofort einen
       Konflikt mit Brüssel über die Defizitziele Italiens zu eröffnen.
       Konfliktbereitschaft ist bei den beiden potentiellen Regierungsparteien
       durchaus da, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Die Fünf Sterne haben
       schon im Wahlkampf ihre Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro
       aufgegeben, Di Maio verkündete sogar: „Unser Haus ist Europa“. Ein Europa
       allerdings, in dem eine Fünf-Sterne-Regierung härter als ihre Vorgänger
       verhandeln wolle. Salvini dagegen zog mit der Forderung in den Wahlkampf,
       perspektivisch einen mit anderen europäischen Partnern abgestimmten
       Ausstieg aus dem Euro anzustreben. Und die Defizitziele? Die müsse Italien
       zur Not ignorieren.
       
       Eine radikale Wende versprechen beide Parteien auch bei der
       Einwanderungspolitik. Revision [4][des Dublin-Abkommens], deutliche
       Beschleunigung der Asylverfahren, schnelle Abschiebung von Migranten ohne
       Aufenthaltstitel sind die Stichwörter, auf die sich M5S und Lega wohl
       einigen können.
       
       ## Merkel und Macron ginge ein Partner verloren
       
       Rhetorisch lassen so M5S und Lega sowohl bei der Fiskalpolitik als auch
       auch bei der Einwanderung die Muskeln Richtung Brüssel spielen – doch ein
       Drehbuch für die mögliche Konfrontation in Europa ist nicht zu sehen.
       Sicher ist nur, dass sowohl Emmanuel Macron als auch Angela Merkel mit
       einem Kabinett Di Maio-Salvini ein möglicher Partner verloren ginge. Der
       Rest hängt an der Frage, wie weit die neue Regierung in Rom zu gehen bereit
       ist. Und diese Frage stellt sie vor ein kräftiges Dilemma.
       
       Das Dilemma nämlich, ob sie sich zu Hause tatsächlich als Regierung des
       radikalen Neuanfangs inszenieren und auch teure Wahlversprechen schnell
       angehen will. Das Risiko liegt auf der Hand. Ein Frontalzusammenstoß mit
       der EU dürfte „die Märkte“ hellhörig werden lassen, könnte den Zinsabstand
       zu Deutschland, schnell von gegenwärtig 1,3 Prozent auf 5 oder 6 Prozent
       treiben. Das würde die Regierung als Ursache von Chaos und Niedergang
       dastehen lassen, die Wirtschaft erschüttern und Europa in eine schwere
       Krise schlittern lassen.
       
       Als Alternative bliebe der Weg des vorsichtigen Einstiegs in die Reformen –
       , ein kleines bisschen Steuersenkung, ein kleines bisschen Grundsicherung.
       Das ließe sich womöglich mit der EU-Kommission abstimmen. Aber auch mit den
       eigenen Wählern? Die könnten sich schnell verraten sehen – im Süden
       Italiens waren geradezu messianische Erwartungen mit dem Votum für die Fünf
       Sterne verbunden. Dem Triumph könnte so schnell der Kater folgen. Sowohl Di
       Maio als auch Salvini steht ein wahrer Seiltanz bevor.
       
       11 May 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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