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       # taz.de -- Margot Wallström über Feminismus: „Die große ungelöste Aufgabe“
       
       > Wenn Frauen politisch mitreden, bringt das mehr Stabilität, sagt Margot
       > Wallström, Außenministerin von Schweden. Ihr Ziel: eine feministische
       > Politik.
       
   IMG Bild: Wie kann man keine Feministin sein, fragt Margot Wallström
       
       taz: Frau Wallström, Sie bezeichnen sich als feministische Politikerin.
       Angela Merkel gilt als mächtigste Frau der Welt, sagt aber von sich selbst,
       sie sei keine Feministin. Sehen Sie da ein Problem? 
       
       Margot Wallström: Nein. Es geht ja um das Ergebnis. Feministische Politik
       dreht sich nicht um Theorie, sondern um ganz praktische Dinge. Was ich
       will, ist, die drei Rs sicherzustellen: rights, representation and
       resources. Das heißt, Menschenrechte müssen auch für Frauen gelten, Frauen
       müssen an Zusammenkünften wie Friedensverhandlungen teilnehmen, und sie
       brauchen Ressourcen. Wenn all das gesichert ist, können sie ihr eigenes
       Leben bestimmen.
       
       Angela Merkel ist nicht gerade dafür bekannt, sich für diese Dinge
       einzusetzen. 
       
       Diese Bewertung überlasse ich den WählerInnen. Mir geht es ums große Ganze:
       Die Tatsache, dass immer noch gravierende Ungerechtigkeit gegenüber Frauen
       herrscht, dass sexuelle Gewalt als Waffe in Konflikten eingesetzt wird, ist
       eine Frage von Frieden und Sicherheit für alle Menschen. Außerdem stellen
       Frauen die Hälfte der Weltbevölkerung, weshalb feministische Politik ganz
       einfach eine Frage der Demokratie ist.
       
       Warum sprechen wir dann überhaupt von feministischer Politik, nicht von
       demokratischer? 
       
       Wir können auch von Geschlechtergerechtigkeit sprechen, aber das Wort
       „feministisch“ heißt für mich nicht mehr, als dass Frauen und Männer
       gleiche Rechte, Möglichkeiten und Pflichten haben. Feminismus ist kein
       schlechtes Wort, es bedeutet nicht, dass Frauen Männer hassen.
       
       Wird das global denn so wahrgenommen? 
       
       In manchen Ländern hat das Wort einen sehr negativen Klang – aber zum
       Beispiel in Schweden ist das nicht der Fall. Dort würden, denke ich, alle
       sagen, dass Geschlechtergerechtigkeit etwas Gutes ist. Wir sehen dort, was
       es bedeutet, wenn Frauen Entscheidungsträgerinnen sind, wenn Männer
       Elternzeit nehmen. Das macht die Gesellschaft nicht perfekt, aber es macht
       sie besser.
       
       Was hat Sie zur Feministin gemacht? 
       
       Wie kann man keine Feministin sein? Ich bekämpfe
       Geschlechterungerechtigkeit schon mein ganzes politisches Leben lang.
       Natürlich haben mich die Jahre bei den Vereinten Nationen sehr geprägt. Sie
       haben mir Albträume beschert und mein Herz schwer gemacht, aber sie haben
       mir auch Hoffnung gegeben. Ich habe mich mehrfach mit Frauen aus der
       syrischen Opposition getroffen, die nicht über die große Politik gesprochen
       haben, sondern über ihr tägliches Leben: Wie bekomme ich noch für eine
       Stunde Strom? Woher kriege ich Medikamente für ein krankes Kind, woher
       Lebensmittel, damit es überleben kann? Das zeigt: Meist sind es Frauen,
       deren Leben von Konflikten am meisten betroffen ist.
       
       Gerade im syrischen Fall einer extremen humanitären Katastrophe könnte man
       auch sagen, dass Geschlechtergerechtigkeit eines der weniger dringenden
       Probleme ist. Ist der feministische Blick gewissermaßen eine
       Erste-Welt-Perspektive? 
       
       Ganz im Gegenteil. Die syrischen Frauen in der Opposition haben sehr früh
       und sehr klar ihr eigenes Programm formuliert, ihren eigenen Friedensplan.
       Daran sehen wir, dass man Frauen nicht nur als Opfer sehen darf, sondern
       sie auch als Handelnde wahrnehmen muss. Es macht mir Hoffnung, dass Frauen
       in so unglaublich schweren Situationen ihr Leben selbst in die Hand nehmen.
       Sie wollen eine Stimme.
       
       Sie sagen, Feminismus hilft gegen Krieg? 
       
       Auf jeden Fall. Wenn Frauen gleichberechtigt sind, wenn sie aktive
       TeilnehmerInnen an Friedensgesprächen sind, sind die Abkommen stabiler, das
       wissen wir.
       
       Machen Frauen denn automatisch eine bessere, pazifistische Politik? 
       
       Klar (lacht). Nein, natürlich nicht. Nicht alle Frauen sind Pazifistinnen.
       Ich selbst würde sagen, ich bin aus tiefstem Herzen Pazifistin – aber ich
       bin auch seit 40 Jahren in der Politik. Frauen bringen andere Perspektiven
       ein, anderes Wissen, sie haben andere Erfahrungen gemacht. Aber ich habe
       akzeptiert, dass wir mit manchen Widersprüchen leben müssen.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Natürlich wäre es einfacher, für den Frieden zu sein, wenn es weltweit
       keine Rüstungsindustrie gäbe, aber es gibt sie nun einmal. Vielleicht ist
       es deshalb auch besser, Schweden produziert bestimmte Güter, als dass es
       andere Staaten machen, von denen wir weniger halten.
       
       Ihr Land handelt mit Waffen, letztes Jahr haben Sie den Wehrdienst wieder
       eingeführt, und auch die schwedische Migrationspolitik ist unter Ihrer
       Regierung drastisch verschärft worden. Nicht sehr feministisch, oder? 
       
       Warum nicht?
       
       Sie haben doch gerade betont, bei feministischer Politik gehe es um Frieden
       und Menschenrechte für alle. 
       
       Es geht vor allem darum, dass Frauen mitreden. Natürlich: Als ein Land, das
       Waffen produziert und verkauft, müssen wir mit dem moralischen Dilemma
       umgehen, das sich daraus ergibt. Aber wir haben die strengsten Regeln der
       Welt, was Waffendeals betrifft. Jedes Land hat das Recht, sich zu
       verteidigen, da bin ich die Erste, die das sagt.
       
       Sie als Regierung können nicht sagen, Stopp! – und dann werden die Exporte
       gestoppt? 
       
       Wir unterliegen der Legislative. Es gibt jetzt ein neues Gesetz, das sagt,
       dass der demokratische Status des jeweiligen Landes ein zentrales Kriterium
       sein wird (Anm. d. Red.: ob eine Exportgenehmigung erteilt wird).
       
       Das klingt unbefriedigend – und gar nicht so viel anders, als wir es aus
       der klassisch männlich dominierten Politik kennen. Wer macht weltweit denn
       überhaupt feministische Politik? 
       
       Mir scheint, dass das Interesse sehr groß ist. Kanada hat direkt erklärt,
       dass sie ebenfalls eine feministische Politik machen wollen, andere werden
       folgen. Ich selbst zitiere oft Gandhi: Erst ignorieren sie dich, dann
       lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du. Darauf
       hoffe ich auch.
       
       Ein paar dieser Schritte haben Sie schon hinter sich: Erst haben die
       Konservativen über Sie gelacht, dann haben mehrere Botschafter wegen Ihrer
       Nahostpolitik Schweden verlassen. Ist feministische Politik automatisch
       provokant? 
       
       Man muss mutig sein. Wenn Sie in einer Führungsposition sind, müssen Sie
       herausfinden, worum es Ihnen wirklich geht, und dann müssen Sie versuchen,
       den nötigen Raum dafür zu schaffen. Und darauf müssen Sie dann bestehen.
       Wir alle wollen doch Regierende, die aus Überzeugung handeln. Natürlich
       steht Stabilität in der Region, die Beziehung zu Russland, für Schweden an
       erster Stelle. Zugleich war ich aber von Anfang an sehr klar darüber, dass
       Feminismus Teil meiner Agenda ist. Geschlechtergerechtigkeit ist kein
       Mysterium – es ist die große ungelöste Aufgabe unserer Zeit.
       
       25 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patricia Hecht
   DIR Johanna Roth
       
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