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       # taz.de -- Nazi-Aussteiger Ingo Hasselbach: Verleugnen, verschweigen, verstärken
       
       > Hasselbach wurde im Stasi-Knast durch Altnazis politisiert. Um rechte
       > Gewalt in der DDR drehte sich eine Veranstaltung in Berlin.
       
   IMG Bild: Im DDR-Kanst wurde der Grundstein für Neonazi-Karrieren gelegt (im Bild: Gang im E-Knast für politische Gefangene in Berlin-Hohenschönhausen)
       
       „Der größte Mythos, der sich noch bis heute bei vielen rückblickend hält,
       ist der vom antifaschistischen Staat.“ Diese Feststellung des Journalisten
       Peter Wensierski umreißt einen Hauptausgangspunkt der Diskussion zum Thema
       Neonazis und rechte Gewalt der DDR, die die Robert-Havemann-Gesellschaft in
       den Räumen der ehemaligen Stasi-Zentrale in Lichtenberg organisierte.
       Wensierski sprach hierbei mit Ingo Hasselbach, einer ehemaligen
       Führungsgröße der Ostberliner Neonazi-Szene, unter Moderation von Nadja
       Klier.
       
       Die Aufrechterhaltung der Legende einer antifaschistischen DDR dürfte
       KPDlern wie Staatschef Erich Honecker und Stasi-Chef Erich Mielke
       sicherlich sehr am Herzen gelegen haben. Auf der Grundlage autoritärer
       sozialistischer Strukturen verkehrte sie sich in den achtziger Jahren
       jedoch zusehends in ihr Gegenteil.
       
       Bezogen auf seine eigene Lebensgeschichte schilderte Hasselbach
       eindrücklich die gesellschaftlichen Bedingungen, durch die faschistische
       Gruppierungen entstehen konnten: „Ich habe meine Jugend in Lichtenberg mehr
       auf der Straße verbracht als zu Hause, so wie die meisten anderen in meinem
       Alter auch. Wir waren desorientiert und perspektivlos, genauso wie unsere
       Eltern“.
       
       Anfangs habe Hasselbach sich Punkgruppen angeschlossen: „In Lichtenberg
       haben hauptsächlich Stasi-Mitarbeiter gelebt – wir mussten etwas
       dagegensetzen, ebenso wie gegen unsere Lebensumstände“. Wegen „Rowdytum“
       und Widerstand bekam Hasselbach zunächst ein Lichtenberg-Verbot, später
       wurden Haftstrafen gegen ihn verhängt. Die längste dauerte fast drei Jahre
       an – eine sehr lange Zeit für einen Jugendlichen.
       
       ## Alt-Nazis im Gefängnis
       
       Während eines Gefängnisaufenthalts in Brandenburg machte Hasselbach die
       Bekanntschaft mit alten Nazi-Kriegsverbrechern: „Das waren die einzigen
       älteren Insassen, mit denen wir dort reden konnten.“ Hier habe seine rechte
       Politisierung stattgefunden: „Klar – staatlich verordneter Antifaschismus
       in Zusammenhang mit der unverhältnismäßigen Repression, der wir ausgesetzt
       waren, führte natürlich ins Gegenteil“, so Hasselbach.
       
       Wensierski pflichtete dem bei: „Die politische Kultur der DDR kam in weiten
       Teilen rechten Ideologien entgegen – die SED förderte autoritäre
       Strukturen, Militanz und Disziplin. Dass infolge dessen das Aufkommen
       rechter Tendenzen unterdrückt und verleugnet wurde, verstärkte das
       Problem.“ Eine starke Mitverantwortung schob er in diesem Prozess verstärkt
       der Presse zu, die nicht oder nur unzureichend über zunehmende
       rechtsradikale Gewalt berichtete.
       
       Hasselbachs rechtsradikale Politisierung ging schließlich so weit, dass er
       im weiteren Verlauf zu einer der führenden Größen der Ostberliner
       Neonazi-Szene aufstieg. Erste Zweifel seien ihm nach der Wende gekommen,
       als sich Anfang der 90er Jahre gewalttätige rechtsradikale Übergriffe
       häuften. Diese mündeten in Brandanschlägen wie Rostock-Lichtenhagen und
       Mölln: „Da habe ich vorgeführt gekriegt, was ich da angerichtet habe“, so
       Hasselbach, „ich musste zusehen, dass ich aus der Szene rauskomme, bevor
       noch mehr passiert.“
       
       ## Aussteiger-Initiative Exit
       
       Um auszusteigen, tauchte er zunächst lange Zeit ab. Nach seiner Rückkehr
       gründete er die Aussteiger-Initiative „Exit“ – zusammen mit einem
       ehemaligen DDR-Polizisten, der auch schon einmal gegen ihn ermittelt hatte.
       
       Unterbrochen wurden die Erzählungen Hasselbachs und Wensierskis durch kurze
       Filmausschnitte, die Einblicke in die rechtsradikale Szene der DDR
       gewährten. Das Fazit von Moderatorin Klier am Ende der Veranstaltung: „Wir
       müssen uns erinnern, die Dinge nicht unter den Tisch kehren und uns vor
       allem gegenseitig zuhören“, dürfte für einige der Zuhörenden wohl etwas
       unbefriedigend ausgefallen sein: „Diese Leute waren Mörder!“, schallte es
       am Ende durch den Raum.
       
       28 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annika Glunz
       
       ## TAGS
       
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