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       # taz.de -- Größte Kulturbaustelle Europas: Fertig ist die Kiste!
       
       > Im Humboldt Forum geht alles nach Plan. Nun schwebt auch das erste
       > Ausstellungsstück aus Dahlem an seinen künftigen Platz: eines der
       > Südseeboote.
       
   IMG Bild: Und Achtung: Rein damit! Das Südseeboot auf dem Weg ins neue Zuhause
       
       Eine 16 Meter lange Holzkiste steht seit seiner Anlieferung mit einem
       Schwertransport in der Nacht zuvor auf der Baustelle und wartet. Gleich
       soll sie von einer eigens eingebauten Hebeanlage in die größte
       Ausstellungshalle des Humboldt Forums im ersten Stock gehievt werden.
       
       Dort stehen Bauarbeiter in zwei 4 mal 6 Meter großen Öffnungen in der Wand,
       denn da muss die Kiste durch. Endlich gibt Kulturstaatsministerin Monika
       Grütters das lang ersehnte Kommando. „Hebt an!“, ruft sie im fast fertigen
       Schlüterhof des Humboldt Forums, die Kiste beginnt zu schweben. Die vielen
       Journalisten, allesamt mit Bauhelm und Leuchtweste ausgestattet, machen:
       „Ah!“
       
       Es ist ein symbolischer Moment, als am frühen Dienstagmorgen endlich das
       erste Südseeboot aus Dahlem ins Humboldt Forum kommt, auf Europas größte
       Kulturbaustelle. Denn Anfang 2017, als das Ethnologische Museum und das
       Museum für Asiatische Kunst in Dahlem schlossen, waren es vor allem die
       Südseeboote, um die es vielen Berlinern leid tat.
       
       Seit 1966 sind sie in der Dauerausstellung des Ethnologischen Museums zu
       sehen. Viele in der Stadt sind als Kinder auf Nachbauten von Südseebooten
       herum geklettert, die sich mit insgesamt fünf Originalen den Raum teilten.
       Diese Südseeboote werden auch nach der Eröffnung Ende 2019, wenn das
       Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst mehr als die
       Hälfte der Gesamtfläche des Humboldt Forums bespielen werden, eine der
       Hauptattraktionen für die 3 Millionen Besucher jährlich sein, die im
       Humboldt Forum erwartet werden.
       
       ## Und jetzt: Kultur
       
       „Die Bauphase geht zu Ende, der Kulturbetrieb steht vor der Tür – im
       wahrsten Sinne des Wortes“, freut sich Monika Grütters am Dienstagmorgen.
       Hermann Parzinger, Präsident die Berliner Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz, sagt etwas von dem, was er in diesen Tagen öfter erzählt: Von
       den neuen Zusammenhängen, in denen die Südseeboote präsentiert werden –
       Stichwort Kommunikations- und Verkehrswege, auch Migration – , von den
       Herkunfstgesellschaften ebenso, mit denen man immer enger zusammen arbeite.
       Besonders tief schürfen seine Aussagen in Zeiten fortgeschrittener
       Provenienzforschung und Restitutionsdebatte allerdings nicht.
       
       Das hochseetüchtige Boot aus geschnitztem und rot und weiß bemaltem Holz,
       mit zwei Masten und Segeln aus geflochtenen Palmblattstreifen, auf dem bis
       zu 50 Mann Besatzung Platz gehabt hätten – das Boot, um das es hier geht,
       stammt von der Südseeinsel Luf im Bismarck-Archipel, das heute zu
       Papua-Neuguinea gehört. Es wurde um 1890 gebaut und sollte genutzt werden,
       um Handel zu treiben oder Krieg zu führen.
       
       Doch dazu kam es nicht, denn die Bevölkerung auf Luf ging so weit zurück,
       dass es nicht mehr genug Männer gab, um das Boot zu Wasser zu lassen. Als
       es 1903 von der deutschen Handelsgesellschaft Hernsheim & Co. gekauft und
       zunächst nach Hamburg verbracht wurde, gehörte Luf zum sogenannten
       kaiserlichen Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea, war also bis zum Ende des
       Ersten Weltkrieges eine deutsche Kolonie.
       
       Auch wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz heute behauptet, das Boot
       sei rechtmäßig gekauft worden, wüsste man gern mehr: Wie führten sich die
       Deutschen um die vorletzte Jahrhundertwende auf in der sogenannten Südsee?
       Zu welchem Preis kauften die Händler das Boot, in welchem Verhältnis stand
       dieser Preis? Und wie finden es die heutigen 200 Bewohner der Insel Luf,
       dass dieses wunderschöne Boot, das angeblich das einzige seiner Art
       weltweit ist, nun in Berlin steht?
       
       ## Die Löcher sollten offen bleiben
       
       Es sind viele Fragen, die das Humboldt Forum nicht nur hier, in seiner mit
       20 mal 30 Metern größten und mit 12 Metern höchsten Halle für die
       Südseeboote, wird beantworten müssen. Wenn man die derzeitigen
       Verantwortlichen hier und bei anderen Gelegenheiten reden hört, die
       erwähnten Monika Grütters und Hermann Parzinger, aber auch die frisch
       gebackenen Chefs, Intendant Hartmut Dorgerloh und Sammlungsleiter
       Lars-Christian Koch, dann hat man nicht das Gefühl, dass dies umfassend,
       offen und ehrlich genug gelingen wird.
       
       Und übrigens: Wenn wir schon bei großartigen Symbolen wie den Südseebooten
       sind. Wäre es als Zeichen für neue Weltoffenheit und Transparenz, die das
       Humboldt Forum wie kein anderes Museum in Deutschland verkörpern soll,
       nicht eine tolle Geste gewesen, die besagten Löcher auch nach Ankunft der
       Boote einfach offen zu lassen?
       
       Oder man hätte sie wenigstens nur mit Glas verschließen können, fürs
       notwendige Raumklima. Anstatt mit den ollen Backsteinen, die doch nur zum
       Mauern taugen.
       
       29 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
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