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       # taz.de -- Markus Söders Kreuzerlass: Wie im Himmel, so in Bayern
       
       > Ab Juni sollen in bayerischen Amtsstuben Kreuze hängen. So will es Markus
       > Söder. Und vielen Leuten gefällt das auch noch. Warum?
       
   IMG Bild: Das Kreuz auf dem Gipfel des Schafreuters wurde mehrmals gefällt und wiederaufgestellt
       
       ANZING/EGGSTÄDT/MÜNCHEN taz | An einem Spätsommertag des Jahres 2016 hatte
       sich jemand am Gipfelkreuz des Schafreuters, eines Bergs an der Grenze zu
       Österreich, vergangen. Der Hauptstamm des Kreuzes, fünf Meter hoch, drei
       Meter breit, war bis zur Hälfte durchgehackt worden. Die Polizei musste das
       Kreuz fällen.
       
       Der Gipfelkreuzhacker hatte zugeschlagen. Wieder einmal.
       
       An Pfingsten hatte er das Kreuz von der Dudl-Alm erwischt.
       
       Am 30. Juli das Kreuz vom Prinzkopf.
       
       Am 1. August das Kreuz vom Lärchkogel.
       
       Und jetzt den Schafreuter.
       
       Der mutmaßliche Täter war von Zeugen beobachtet worden: ein Mann mit
       schwarzen Haaren und Kapuze. Möglicherweise ein Schweizer Freidenker, ein
       Christenhasser, so erste Recherchen der Polizei Bad Tölz. Doch der Täter
       wurde nicht gefasst.
       
       Stattdessen stellte die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ ein neues
       Gipfelkreuz auf und forderte auf Facebook „Respekt für unsere christlichen
       Werte und bayerischen Traditionen“. Der Alpenverein nahm es ab, es war
       nicht wetterfest. Und stellte ein neues auf. Ein Unbekannter sägte dieses
       Kreuz an. Ein Unbekannter fällte es ganz. Der Alpenverein reparierte das
       Kreuz mit Stahlschienen. Seitdem ist Ruhe.
       
       Früher war das Kreuz in Bayern eine Selbstverständlichkeit, als Feldmarterl
       stand es am Wegesrand, als Kruzifix hing es in Schulen und Gerichtssälen,
       keiner störte sich daran. Jetzt ist das Kreuz, vereinnahmt von Wanderern,
       Rechtsextremen, Atheisten und der CSU, Symbol eines Kulturkampfes geworden.
       
       ## Warum macht die CSU so einen Schmarrn?
       
       Am 24. April 2018 entschied die Staatsregierung, dass ab Anfang Juni in den
       Eingangsbereichen aller Landesbehörden des Freistaates Bayern gut sichtbar
       ein Kreuz hängen solle, als „Bekenntnis zur Identität“ und „kulturellen
       Prägung Bayerns“. Das Kreuz, so Ministerpräsident Markus Söder, sei „nicht
       ein Zeichen einer Religion“, es stehe für elementare Werte wie
       Nächstenliebe, Menschenwürde und Toleranz. Söder hängte dann gleich am
       Eingang der Staatskanzlei ein Kreuz auf, gesegnet durch den früheren
       Kardinal von München, Friedrich Wetter. Überall waren Kameras. Söder sah
       dabei ein bisschen wie ein Vampirjäger aus, warf ihm später der ebenfalls
       gläubige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann,
       vor.
       
       Ziemlich viele Leute nördlich des Frankenwaldes und westlich der Donau
       fragen sich: Warum macht die CSU schon wieder so einen Schmarrn?
       
       Peter Gauweiler lässt sich ein bisschen Zeit, bevor er darauf antwortet.
       
       „Angenommen, ein Reporter der taz wechselt in die Politik“, sagt Gauweiler,
       er war mal CSU-Abgeordneter, bayerischer Umweltminister und Leiter der
       Münchner Sicherheits- und Ordnungsbehörde. „Und will Bürgermeister werden,
       in seiner Heimat, mit einem emanzipatorisch durchsäuerten Programm.“ Das R
       in „emanzipatorisch“ grummelt. „Wenn er es geschafft hat, dann hängt er vor
       dem Rathaus eine Regenbogenfahne auf. Das ist euer Zeichen.“
       
       Pause. Gauweiler grinst.
       
       „Ich fände das irgendwie großartig! Einerseits. Andererseits würde ich mich
       trotzdem aufregen und mein Kreuz dagegen halten. Aber solche gefühlsstarken
       Reaktionen machen den Menschen zum Menschen. Des san wir halt.“
       
       Peter Gauweiler ist 68 Jahre alt, seit 2015 sitzt er nicht mehr im
       Bundestag. Er hat nichts zu verlieren, und er hatte nie Probleme, sich mit
       seiner Partei anzulegen. Aus seiner Zeit bei der Münchner Stadtverwaltung
       nahm er einen CSU-typischen Ruf als Law-and-Order-Politiker mit,
       kritisierte aber auch den Bundeswehreinsatz im Kosovo, klagte gegen den
       Vertrag von Lissabon und hatte 2009 mit Oskar Lafontaine einen
       Links-rechts-Renegaten-Bierzeltauftritt am Münchner Nockherberg.
       
       ## Reflexe in Bayern und in Preußen
       
       Was ist mit der Trennung von Staat und Kirche? Gauweiler spricht über
       „deklaratorische Festlegungen des Staates“: Osterferien. Weihnachtsferien.
       Schutz der Feiertage. Tanzverbote an Karfreitag und Karsamstag. „Diese
       Prägung gehört zur gesellschaftlichen Grundordnung“, sagt Gauweiler. „Und
       eine politische Formation wie wir wird gewählt, um dieses Prinzip zu
       verteidigen, wenn es schwach wird.“
       
       Gauweiler sieht wirklich so aus, wie man ihn von Karikaturen kennt:
       Schnauzer, mächtige Augenbrauen, die sein Gesicht in zwei Hälften teilen,
       Trachtenjanker. Er trägt fliederfarbene geriffelte Socken. Aus dem Fenster
       seines Büros sieht man den Bayerischen Hof, auf dem Fensterbrett steht ein
       Foto von Leo Kirch, den Gauweiler im Prozess gegen die Deutsche Bank
       vertreten hat.
       
       Gauweiler, als begnadeter Populist bekannt, freut sich über die Diskussion
       über Söders Kreuzerlass. Endlich mal wieder ein großes innenpolitisches
       Thema. Keine Baustellendiskussion, sondern die großen Fragen: „Woher? Und
       vielleicht auch: wohin?“
       
       Wie immer, wenn in Bayern Wahlkampf ist, beschäftigte das bald die ganze
       Republik. Söder hatte sein Kreuz gerade erst aufgehängt, als er in der
       Frankfurter Rundschau zum „Kreuzzügler“ erklärt wurde und Twitter-Nutzer
       auf einem Foto das Kreuz in Söders Händen durch einen Dildo, Joint oder
       Lauch ersetzten. Man konnte beinahe in Echtzeit einen antibayerischen
       Reflex außerhalb Bayerns beobachten und einen darauf folgenden
       antipreußischen Reflex in Bayern. So weit, so kalkuliert.
       
       Sicher rechnete die CSU auch mit der Zustimmung der Kirche. Als das
       Bundesverfassungsgericht 1995 Teile der bayerischen Grund- und
       Volksschulordnung für nichtig erklärte, die vorschrieben, dass Kreuze in
       Klassenzimmern zu hängen hatten, organisierte die katholische Kirche eine
       Demo. Mehr als 25.000 Menschen versammelten sich auf dem Münchner
       Odeonsplatz, Bauern, Handwerker, fünfzehn katholische Bischöfe, Nonnen und
       Priester, viele hatten Holzkreuze dabei. Ihr Motto: „Das Kreuz bleibt“.
       Ministerpräsident Edmund Stoiber und fast das halbe Kabinett waren auch
       dabei.
       
       ## Die Kirche wehrt sich
       
       Der Beschluss aus Karlsruhe änderte wenig, die Kreuze in bayerischen
       Schulen blieben. In Gerichtssälen hängen ebenfalls welche, wenn auch nicht
       vom Gesetz vorgeschrieben.
       
       2018, nach dem Kreuzerlass von Markus Söder, ist die Kirche kritischer.
       Die erste christliche Stimme, die sich in die Debatte einklinkte, war die
       des Würzburger Hochschulpfarrers Burkhard Hose. Er schrieb einen offenen
       Brief an Markus Söder und veröffentlichte ihn auf Facebook: „Ich bitte Sie
       eindringlich: Beenden Sie den Missbrauch des Christlichen und seiner
       Symbole als vermeintliches Bollwerk gegen den Islam.“ Ein paar Tage später
       sagte Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
       und damit der oberste Katholik Deutschlands, in einem Interview: „Es steht
       doch dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeutet.“ Es sei nie
       das Symbol für ein bestimmtes Land oder eine Kultur.
       
       Peter Gauweiler spielt die Entfremdung zwischen der CSU und der Kirche
       herunter: „Diese Aktion von Markus Söder hat die Verbindung mit der
       Basiskirche wahnsinnig gestärkt.“ Gauweiler, sehr braun gebrannt übrigens,
       erzählt von einem Ausflug Anfang Mai nach Bichl bei Bad Tölz; dort trafen
       sich die Gebirgsschützenkompanien. Er zeigt Fotos auf seinem Handy. Reihe
       hinter Reihe hinter Reihe von Trachtlern, 4.500 Leute waren da, der Himmel
       mehr blau als weiß, und der Bischof von Augsburg hielt eine Rede, in der er
       sich sehr bedankte bei Markus Söder für den Kreuzbeschluss. Riesenbeifall,
       sagt Gauweiler.
       
       Er glaubt, die Kritik der Kirche kam nur von vereinzelten, mächtigen
       Stimmen. Die Mehrheit sei für den Kreuzerlass. Doch selbst in der CSU war
       Söders Vorstoß umstritten: Marion Kiechle, die neue
       Wissenschaftsministerin, sagte drei Tage nach Söders Verkündigung in einer
       Talkshow: „Ich fand das jetzt keine besonders kluge Idee.“ Einen Tag
       später gab sie eine Erklärung ab: Sie stehe klar zum Beschluss des
       Kabinetts.
       
       Gauweiler sagt: „Zu der Sache mit dem Kreuz, da rät einem eine Werbeagentur
       ja nicht zu. Das hat eine gewisse Tapferkeit erfordert. Das war alte
       Schule. Ganz alte Schule. Und wer Mut hat, der macht auch Mut.“
       
       ## Finden die Bayern das wirklich gut?
       
       Ein paar Tage nach Söders Kreuzerlass ließ der Bayerische Rundfunk die
       bayerischen Bürger befragen: Wie finden Sie das Kreuz in Behörden? 56
       Prozent fanden das gut. 38 Prozent schlecht. Deutschlandweit fanden es 64
       Prozent schlecht.
       
       Warum finden die Bayern das so gut? Oder: Finden die Bayern das wirklich so
       gut?
       
       Der Wortlaut der Umfrage im Bayerischen Rundfunk lautete: „In Bayern soll
       künftig im Eingangsbereich jeder Landesbehörde ein Kreuz als Symbol
       bayerischer Identität und Lebensart angebracht werden. Finden Sie das gut
       oder nicht gut?“
       
       Man kann zwei Dinge darunter verstehen. Erstens: Schön, dass da ein Kreuz
       hängt. Zweitens: Super, dass der Söder unser Symbol aufhängt. Es wird viele
       Christen geben, die sich freuen, dass Kreuze auf- statt abgehängt werden,
       die aber den Wahlkampfmove von Markus Söder ablehnen. Und es wird viele
       Leute geben, die das Kreuz an sich wenig interessiert, die sich aber über
       den Akt des schwungvollen Aufhängens freuen, weil da ja ihr Abendland
       verteidigt wird. Dazu passt eine Umfrage aus Österreich: Dort wollten 80
       Prozent der Befragten, dass Österreich ein christliches Land bleibt. 7
       Prozent gehen regelmäßig in die Kirche, einer von drei Christen glaubt an
       die Auferstehung. Dazu passt auch das Kreuz in seiner Dresdner Variante,
       schwarz-rot-gold gestrichen, das besonders an Montagen gesichtet wird, wenn
       Pegida demonstriert.
       
       Michael Brenner sitzt in seinem Büro im Historischen Institut der
       Ludwig-Maximilians-Universität München. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich
       mich noch einmal mit einem Kreuzerlass beschäftigen muss“, sagt er.
       
       Brenner ist Professor für Jüdische Geschichte und schrieb 2002 einen
       Artikel für die Süddeutsche Zeitung. Damals gab ein bayerisches Gericht
       einem Lehrer recht, der mit einem Kreuz im Klassenzimmer nicht unterrichten
       wollte. Jetzt hat Brenner wieder einen Artikel geschrieben. An seiner
       Argumentation hat sich nicht viel geändert, sagt er.
       
       ## Ein Zeichen der Ausgrenzung
       
       Michael Brenner ist bayerischer Jude. Er wuchs in Weiden in der Oberpfalz
       auf, dem ersten größeren Ort hinter der tschechischen Grenze, wo
       amerikanische Soldaten seinen Vater, der aus Polen geflohen war, aus dem
       Jeep geworfen hatten. Auf dem Gymnasium in Weiden gab es damals fünf
       Klassen. In vieren davon waren ausnahmslos Katholiken. In der fünften waren
       die Protestanten untergebracht und die vier Schüler, die nirgends
       reinpassten: ein neuapostolischer Christ, ein iranischer Muslim, ein
       Atheist – und Michael Brenner.
       
       Im Klassenzimmer hing selbstverständlich ein Kreuz. Brenner sagt, damals
       als Kind sei ihm das nicht so klar gewesen, aber später doch: Natürlich war
       das Ausgrenzung. „Im öffentlichen Raum sollte sich jeder gleichbehandelt
       fühlen“, findet Brenner. „Inzwischen ist es ja gar keine so kleine
       Minderheit mehr, die nicht christlich ist. Da gehört es zum Respekt dazu,
       in der Öffentlichkeit keine christlichen Symbole zur Schau zu stellen.“
       
       Brenner, der eigentlich sehr kontrolliert spricht und gestikuliert, sagt
       etwas fassungslos: „Ich dachte wie viele, dass die Tendenz in eine andere
       Richtung geht. Dass man vielleicht in Gerichtssälen die Symbole der
       dominanten Religion abhängt und nicht noch in zusätzlichen Räumen Kreuze
       aufhängt. Schon aus demografischen Gründen.“
       
       Noch ist die Hälfte der Bevölkerung in Bayern katholisch, 20 Prozent sind
       evangelisch. Doch jedes Jahr treten in Bayern 70.000 Menschen aus einer der
       beiden großen Kirchen aus. Wie christlich ist Bayern?
       
       ## Und Jesus surft aus der Kirche
       
       An Christi Himmelfahrt, anderswo als Vatertag bekannt, haben sich 250
       Besucher in der Kirche „Mariä Geburt“ in Anzing im Münchner Umland
       versammelt. Hinten sitzen Rentner, vorne Familien. Zwischen den Holzbänken
       im Gang steht auf einem Podest eine Jesusfigur. Die rechte Hand segnet, die
       linke Hand hält einen Stab, der in ein Kreuz mündet. Am Heiligenschein ist
       eine Öse befestigt, daran hängt ein Stahlseil.
       
       Der Pfarrer liest aus der Apostelgeschichte: Jesus verkündet den Jüngern,
       dass der Heilige Geist auf sie herabkommen werde. „Und als er dies gesagt
       hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf
       von ihren Augen weg.“
       
       Das Seil spannt sich, die Jesusfigur kippt und steigt langsam auf. Jesus
       kreist gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse. Auf seinem Sockel sieht
       er ein bisschen aus wie einer der Surfer vom Münchner Eisbach, zwanzig
       Kilometer weiter westlich.
       
       Es ist ganz still in der Kirche, alle schauen hoch. Oben, durch ein Loch im
       Kirchenschiff, sieht man einen Arm, der eine Kurbel dreht. Es quietscht, es
       riecht nach Weihrauch. Nach drei Minuten ist Jesus aufgefahren, die
       Gemeinde singt: „Christ ist erstanden von der Marter alle.“
       
       Nach der Predigt sagt der Pfarrer, er finde es schön, dass jetzt Kreuze in
       Behörden hängen sollen. Das bewahre die christlichen Werte. Auch wenn die
       Begründung von Söder falsch sei. Obwohl so ein echtes
       Himmelfahrtsaufziehen, eine barocke Tradition, wie sie es in Bayern nur
       noch ganz selten gibt, natürlich schon lockt, hat auch seine Gemeinde zu
       kämpfen. Glauben ist nicht mehr selbstverständlich.
       
       ## „Jesus war ein Freak“, sagt der Hergottschnitzer
       
       In ihrer Geschichte holte die CSU das Kreuz immer dann heraus, wenn sie
       sich bedroht fühlte. Zur Gründungszeit sah sie es als historische Aufgabe
       Bayerns, Deutschland vor dem Abgleiten in Gottlosigkeit und Sozialismus zu
       schützen. In den Neunzigern, als das Bundesverfassungsgericht die
       Schulkreuze abhängen lassen wollte, kämpfte sie gegen den Wertewandel. Sie
       machte die Kreuzfrage zur Kulturfrage: Christlich-abendländische Tradition
       oder Multikulti? Dieses Thema spielt sie seitdem in Variationen, oft unter
       dem Begriff „Leitkultur“. Das Kreuz ist für sie ein Abwehrsymbol. Es fasst
       etwas, von dem viele Leute befürchten, dass es verloren geht.
       
       Am Haus von Hubert Janson im Chiemgau hängt ein Jesus. Ohne Kreuz. „Ich
       wollte ihn befreien“, sagt Janson. Er ist das, was man in Bayern einen
       Herrgottschnitzer nennt und überall sonst einen Holzbildhauer. Er schnitzt
       Maibaumfiguren, verziert Bauernmöbel und zimmert Feldkreuze, Wandkreuze,
       Grabkreuze. Er sagt: „Jesus war ein Freak. Ein Revoluzzer. Ein tolles
       Vorbild.“
       
       Janson, ein sanfter, braun gebrannter kleiner Mann, lebt sein Leben lang im
       Chiemgau, ein paar Kilometer vom Chiemsee entfernt. Sein Vater, ein
       Donauschwabe, kam nach dem Krieg als Flüchtling aus Ungarn. Janson wuchs
       als drittes von fünf Geschwistern auf, der Vater Schreiner, beide Brüder
       Schreiner; Hubert, machst was anderes, wirst Holzbildhauer.
       
       Janson ging in die Lehre nach Niederbayern. Damals, in den Achtzigern,
       waren Kopiermaschinen ziemlich angesagt, Kreuze gingen in Serienproduktion.
       Janson machte die Fransen an den Rohlingen weg und arbeitete Details ein.
       
       Mit 20, wieder zurück im Chiemgau, trat er aus der Kirche aus, eine
       heimliche Rebellion. Doch die Gemeindemitarbeiterin erzählte es dem
       Bürgermeister, und als der mal beim Essen bei den Jansons war, fragte er
       plötzlich: „Hubert, warum bist du denn ausgetreten?“ Der Vater, als
       Flüchtling sein Leben lang bemüht um Anpassung, drohte mit Enterbung.
       
       ## Die CSU, eine „Polarisierungsfirma“
       
       Heute macht Janson vielleicht zehn Kreuze pro Jahr, ein kleines dauert eine
       Woche, ein großes vier. Vor allem Bauern bestellen bei ihm, Feldkreuze. Für
       sie sind es Symbole der Zugehörigkeit. Und der Dankbarkeit. Wenn das Haus
       umgebaut wurde. Wenn der neue Stall fertig ist. Janson versteht dieses
       Denken. Er hat gerade zusammen mit anderen ein altes Bauernhaus renoviert.
       Gut geglückt ist das, zum Dank wird er zwei Kastanien pflanzen und mit
       seiner Frau nach Altötting pilgern.
       
       Angenommen, das Landratsamt ruft bei Janson an und fragt nach einem
       Holzkreuz für den Eingangsbereich. Dann würde er sagen: „Sollen’s woanders
       machen lassen. Christen brauchen das nicht, was der Söder gemacht hat.“ Für
       ihn ist der Kreuzerlass billig, zum Schämen. Die CSU nennt er eine
       „Polarisierungsfirma“.
       
       Ein paar Kilometer von Jansons Haus entfernt steht ein Feldkreuz unter
       einer einzelnen Linde. Janson hat es vor ein paar Jahren restauriert. Wenn
       er in der Gegend ist, hält er manchmal an. Ihn freut, dass jemand ein Kreuz
       an den Wegesrand stellt. Es zeigt, dass sich wer kümmert. „Das prägt unsere
       Heimat“, sagt er.
       
       Das Kreuz ist aus Eiche, überdacht, verzinktes Blech mit Grünspanimitat,
       Kupfer wird oft geklaut. Jesus hat die Augen geschlossen, die Brauen
       sorgenvoll. Eine Raupe klettert über seinen Körper.
       
       Janson fährt weiter, am Kreuz vorbei zum Bauernhaus von Horant Hohlfeld;
       der ließ das Feldkreuz aufstellen. Hohlfeld, ein großer, schlaksiger
       Rentner mit Basecap und dichtem grauem Haar, steht vor dem
       Werkzeugschuppen. Seine Arbeitshose, eine alte Armani-Jeans, ist voll mit
       Staub und Sägemehl.
       
       Janson und Hohlfeld reden, auch über das restaurierte Feldkreuz. „Das war
       sauteuer, Hubert“, sagt Hohlfeld.
       
       ## Janson hat eine Theorie
       
       Zum Einzug schenkte ein Nachbar ihm einen Baum, die Linde. Und Hohlfeld
       dachte: Da muss ein Kreuz dazu. Ein Bekannter hatte noch ein Feldkreuz auf
       dem Speicher liegen, rund 150 Jahre alt.
       
       „Ich liebe mein Kreuzchen“, sagt Hohlfeld. „Einen tollen Kopf hat der
       Jesus, er hat Würde.“ Immer wenn Hohlfeld seine Einfahrt passiert, schaut
       er das Kruzifix an und denkt: „Hallo, ich bin zu Hause.“
       
       Hohlfeld kommt aus Köln, er hat sich im Filmgeschäft bis an die Spitze
       hochgearbeitet, ein Selfmademan. „Denn selbst muss der Freie sich
       schaffen“, zitiert er Wagners Walküre.
       
       Vor knapp zwanzig Jahren zog er in den Chiemgau, er möchte nie wieder weg.
       „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, sagt er. Die Leute selbstbewusst.
       Gläubig. Früher, erzählt er, haben sie hier den Hut vor jedem Kreuz
       abgenommen. Er selbst ist aus der Kirche ausgetreten.
       
       Und Söders Verordnung? Findet Hohlfeld gut. „Er steht ein für das, was
       wichtig ist.“ Aufregen kann er sich über Reinhard Marx, den Bischof aus
       München, der Söder kritisierte. Hohlfeld sagt: „Müssen wir jetzt zu jedem
       Kreuz einen Halbmond dazuhängen?“ Janson schweigt.
       
       Später, im Auto, sagt Janson, er hat da eine Theorie, warum die beiden sich
       so ähnlich und doch uneinig sind. „Ich bin hier verwurzelt, hab Freunde,
       Familie, Tradition. Ich brauch kein Kreuz, das mir Heimat gibt.“ Und
       Horant, sagt Janson, der ist nicht verwurzelt. Und jetzt greift er nach
       etwas.
       
       28 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Daum
       
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   DIR Debatte Kulturelle Grundwerte: Die Scheinfreiheit der Bibel
       
       Konservative betonen gern die christlichen Wurzeln. Dabei hat sich unsere
       Gesellschaft stark in Abgrenzung zum Christentum definiert.
       
   DIR Kommentar Marx zu Söders Kreuz-Pflicht: Das Kreuz in der Kirche lassen!
       
       Harte Worte des Obersten Deutschen Hirten – aber Marx spricht sie völlig zu
       Recht aus. Wenigstens die Kirchen wahren die Distanz zum Staat.
       
   DIR Debatte Söder und das Kreuz-Symbol: Heimat müsst ihr selbst machen
       
       Es gibt Widerstand gegen das bayrische Pseudo-Symbol für Heimat. Doch was
       muss passieren, damit solche Kämpfe in Zukunft unnötig werden?