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       # taz.de -- Streit um den Camembert: Ist doch alles Käse
       
       > Den Original-Camembert soll es künftig auch ohne Rohmilch geben. Das regt
       > eine Reihe von Sterneköchen auf und löst einen Shitstorm aus.
       
   IMG Bild: Käse ist nicht gleich Käse
       
       Es ist der gute, alte Grundkonflikt: Panscher gegen Puristen. In Frankreich
       soll jetzt ein in der Käserei traditionell verbreitetes Reinheitsgebot
       fallen und den klassischen Weichkäse aus der französischen Provinz auch mit
       pasteurisierter Milch herstellbar machen. Ein Frevel!, sagen also die einen
       – besonders in der französischen Szenekochszene rüsten sich prominente
       Namen bereits zum Shitstorm – eine lange fällige Vereinfachung der
       Produktionsprozesse, finden hingegen die anderen.
       
       Tatsächlich ist das mit dem Käse nicht so einfach. Den Camembert zum
       Beispiel gibt es schon länger in zwei Kategorien – als Camembert de
       Normandie AOC genießt er den Rang einer geschützten Herkunftsbezeichnung
       und darf bislang nur in der Normandie und ausschließlich mit Rohmilch
       hergestellt werden. Ist der Käse aber nur ein gewöhnlicher Camembert ganz
       ohne Herkunftsnachweis, darf er eh schon daherkommen wie er möchte.
       
       Darüber hinaus ist es mit der marienhaften Reinheit sowieso so eine Sache.
       Die ursprünglichen Fettbomben aus dem normannischen Kaff waren nämlich
       zuerst klein und bräunlich. Und ähnlich wie beim Bier, dessen Deutsches
       Reinheitsgebot im Zuge der Globalisierung noch im ausgehenden letzten
       Jahrtausend fiel, ist auch beim Käse die Reinheit eher eine Schimäre als
       die reine Wirklichkeit. Wie viele ungenannte Zutaten sorgten denn bislang
       für den nussigen Geschmack dieses mit Edelschimmel bearbeiteten Weichkäses?
       Weiß man das wirklich so genau? Respektive will man das überhaupt wissen?
       
       Allein das Wort Edelschimmel ist doch recht eigentlich ein Oxymoron, also
       ein Widerspruch in sich. Ganz davon abgesehen, dass es in Bayern gute Sitte
       ist, die sterblichen Überreste eines „überfälligen“ (!) Camemberts mit
       reichlich Gewürzen und Zwiebeln zu versehen, um das scheußliche
       Ammoniak-Aroma zu übertünchen, und das ganze dann als „Obazda“ zu
       servieren. Man isst also Schimmel, schlecht gewordene, geronnene Milch, die
       dann noch einmal schlecht wird.
       
       Es ist doch wie bei anderen mit reichlich Identitätspolitik überladenen
       Kulturprodukten unserer Zeit: So etwas wie die „reine Lehre“, wie sie von
       Puristen stets angemahnt wird, gibt es im Grunde gar nicht. Alles ist schon
       irgendwie eine Vermischung (insofern könnte man Pferdezüchtern auch
       Rassismus vorwerfen, aber das ist ein anderes Thema). Und nur so entsteht
       auch Neues: Indem man das bereits Vorhandene mit etwas anderem mischt.
       
       Das müssten auch Starköchinnen wie Anne-Sophie Pic oder Sébastien Bras
       wissen. Die behaupten zwar, der Camembert de Normandie werde seinen
       Charakter verlieren und eine „vulgäre weiche Paste ohne Geschmack“ werden.
       Und doch steckt hinter dem Wunsch nach Rohmilch nicht viel mehr als eine
       überkommene Marketingstrategie, die den fülligen Sattmacher am Ende auch
       nicht besser macht. Und schließlich wäre es an den Spitzenköchen, eben
       jenen Rohmilchvariante weiter zu verbreiten – als Möglichkeit unter vielen.
       Alles andere ist doch Käse.
       
       29 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Hamann
       
       ## TAGS
       
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