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       # taz.de -- Schauspielhaus in Stuttgart: Diffuse Missstimmung
       
       > Obwohl sein Vertrag als Intendant in Stuttgart noch bis 2021 läuft,
       > verlässt Armin Petras das Schauspielhaus bereits zum Spielzeitende.
       > Gründe gibt es viele.
       
   IMG Bild: Verlässt Stuttgart vorzeitig: Armin Petras bei einer Pressekonferenz im April
       
       Dass sie sich nicht mit ihm auseinandergesetzt hätten, kann man den
       Stuttgartern nicht vorwerfen. Das Problem liegt wohl eher in ihrer Annahme,
       er habe sich nicht genügend mit ihnen auseinandergesetzt. Die Rede ist vom
       Intendanten des baden-württembergischen Staatsschauspiels auf der einen und
       den Zuschauern auf der anderen Seite.
       
       Nun kann man zwar nicht behaupten, dass in den fünf Jahren der Stuttgarter
       Intendanz von Armin Petras der eiserne Vorhang zwischen der Bühne und dem
       Zuschauerraum runtergegangen sei. Es kam seit 2013 aber zu
       Entfremdungserscheinungen zwischen der künstlerischen Leitung und einem
       ziemlich sachkundigen Publikum, das seit der Intendanz von Claus Peymann
       (1974 bis 1979) davon ausgeht, ihr Staatsschauspiel sollte auf jeden Fall
       zu den wichtigsten Bühnen der Republik zählen. Andererseits sind die
       Stuttgarter Schwaben und das bedeutet: Sie überprüfen sehr genau, was sie
       für ihr Geld bekommen.
       
       Jetzt, da Armin Petras’ Intendanz in der
       baden-württembergische-Landeshauptstadt zum Ende der Saison vorzeitig
       endet, sieht es so aus, als habe man es mit einem merkwürdigen Irrtum der
       Wechselgeschichten an der Spitze großer deutschsprachiger Bühnen zu tun.
       Mit dem Desaster, das der belgische Kurator und Theaterwissenschaftler
       Chris Dercon nach nur wenigen Monaten an der Berliner Volksbühne
       hinterlassen hat, ist der frühzeitige Abschied von Armin Petras zum Ende
       dieser Spielzeit auf keinen Fall zu vergleichen. Und auch nicht mit
       Matthias Lilienthals Nichtverlängerung an den Münchner Kammerspielen.
       Dercon wollte die Volksbühne in ein Crossover-Bespieltheater ohne festes
       Ensemble umfunktionieren, Lilienthal will das traditionelle
       Repertoiretheater für internationale Koproduktionen durchlässig machen.
       
       Petras dagegen steht für ein Ensemble- und Repertoiretheater, das die Welt
       durchleuchtet, indem es Geschichten erzählt. Das hat er schon getan, als er
       noch die Experimentierbühne „Schmidtstraße“ des Frankfurter Schauspiels
       (2002 bis 2006) und das Berliner Gorki Theater (2006 bis 2013) leitete.
       
       Zum Geschäftsmodell des 54-Jährigen gehört allerdings auch, dass er an
       anderen Theatern inszeniert und diese Inszenierungen später im eigenen Haus
       zeigt. In Berlin funktionierte das. Der Intendant reiste und inszenierte,
       etablierte sich als Opernregisseur und schrieb unter dem Namen Fritz Kater
       Theaterstücke, die er häufig selbst zur Uraufführung brachte. Das
       Hauptstadtpublikum interessierte sich nicht sonderlich dafür, ob der Chef
       anwesend ist oder nicht. In Stuttgart dagegen änderte sich das. Zu Beginn
       wurde der Neue aus Berlin noch überschwänglich empfangen und die
       künstlerische Leitung des Hauses bedankte sich, indem sie ein äußerst
       spielfreudiges Ensemble zusammenstellte und ganz unterschiedliche
       Regisseure nach Stuttgart holte.
       
       ## Prädikat „bemerkenswert“
       
       Das reichte von Jan Bosse, der sprachmächtige Klassiker über die Auslotung
       von Figuren erhellt, bis hin zu einem Regisseur wie Sebastian Hartmann, der
       im April 2015 mit einer Bühnenadaption des Clemens-Meyer-Romans „Im Stein“
       eine in Richtung Performance tendierende Uraufführung ablieferte, die das
       Prädikat „bemerkenswert“ verdient. Einen der größten Erfolge konnte das
       neue Stuttgarter Schauspiel gleich mit der Eröffnung im Oktober 2013
       feiern. Der Regie-Newcomer Robert Borgmann hatte auf Tschechows „Onkel
       Wanja“ mit einer bildgewaltigen Überformung des Textes reagiert. Die
       Inszenierung reiste zum Berliner Theatertreffen, Peter Kurth spielte den
       Wanja und wurde zum Schauspieler des Jahres gewählt.
       
       Armin Petras selbst widmete sich Anfang 2014 Wilhelm Hauffs Märchen „Das
       kalte Herz“ und brachte mit dem Köhler Munk einen Frühkapitalisten auf die
       Bühne. Der Romantiker Hauff war Stuttgarter, Petras baute in seine Adaption
       des Märchens aus dem Jahr 1827 eine Volkstanzgruppe aus dem Nordschwarzwald
       ein. Mehr Hinwendung zu Stuttgart und Baden-Württemberg ist kaum möglich.
       Als derselbe Petras ein Jahr später an den Münchner Kammerspielen aber mit
       „Buch (5 ingredientes de la vida)“ den zu diesem Zeitpunkt neuesten
       Kater-Text zur Uraufführung brachte, kippte die Stimmung in Stuttgart. Dass
       die Koproduktion dann auch noch zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen
       wurde, der Olympiade für deutschsprachige Stücke, machte die Sache aus
       Stuttgarter Sicht nicht wirklich besser.
       
       Schließlich fand die Premiere nicht in der baden-württembergischen
       Landeshauptstadt statt, sondern an den Münchner Kammerspielen. Die
       Stuttgarter Premiere folgte erst einige Monate später. Roland Müller,
       Theaterredakteur der Stuttgarter Zeitung und wichtigster Multiplikator der
       Stimmungslage rund um das Staatsschauspiel, reagierte in seiner Besprechung
       der Münchner Uraufführung entsprechend empört: „Aber warum bloß wird dieses
       ‚opus magnum‘ in München uraufgeführt? Und nicht in Stuttgart, wo Armin
       Petras immerhin einen gut dotierten Arbeitsplatz als Intendant hat?“
       
       Spätestens zu diesem Zeitpunkt zog sich das Tief einer diffusen
       Missstimmung über dem Schauspielhaus zusammen. Armin Petras dachte aber
       wohl weiterhin, er könne das Stuttgarter Schauspiel leiten, wie er das
       Gorki-Theater geleitet hatte.
       
       Dabei hatte sich der Wind bereits gedreht. Es ging zunehmend um Stimmungen.
       Die Frage, wie einzelne Inszenierungen künstlerisch zu bewerten sind,
       rückte in den Hintergrund. Das war schon so, als Frank Castorf eine
       Patchwork-Adaption von „Tschewengur“ inszenierte, Andrei Platonows epischem
       Abgesang auf die russische Revolution, und die Stuttgarter mit der für ihn
       üblichen Überwältigungsorgien und Ermüdungsbädern mürbe spielte. Schon im
       Oktober 2015 ging es hauptsächlich um die Frage, ob Armin Petras lediglich
       seine eigene Agenda verfolgt und sich für das Stuttgarter Publikum gar
       nicht interessiert.
       
       Die künstlerische Leitung des Staatsschauspiels dagegen hätte wohl am
       liebsten jeden einzelnen Zuschauer gefragt: „Was sollen wir dir eigentlich
       noch bieten?“ Die Lage spitzte sich zu. Plötzlich wurde diskutiert, wie
       viele Zuschauer das Schauspiel noch an sich binden konnte. Konkrete
       Auslastungszahlen wurden allerdings nicht genannt und man konnte davon
       ausgehen, dass das Staatsschauspiel zwar Zuschauer und Abonnenten verloren,
       aber nie eine Demarkationslinie unterschritten hatte.
       
       ## Akzeptable Zahlen
       
       Das Gegenteil war der Fall: In einem Interview, das Armin Petras im
       November 2016 der Stuttgarter Zeitung gab, heißt es, der Tiefpunkt sei mit
       einer Auslastung von 74 Prozent erreicht worden, inzwischen nähere man sich
       aber wieder der Marke von 80 Prozent. Dass die Zuschauerzahlen am Ende
       zumindest akzeptabel waren, dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass
       der Verwaltungsrat der Stuttgarter Staatstheater den Vertrag des
       Schauspiel-Intendanten bis ins Jahr 2021 verlängert hatte. Kurz nach dem
       besagtem Interview kündigte Armin Petras allerdings doch seinen vorzeitigen
       Abschied an, der nun zum Ende dieser Spielzeit Wirklichkeit wird. Das kam
       für alle sehr überraschend und hat wohl auch damit zu tun, dass ein
       Theaterkünstler wie er nicht nur vom Verwaltungsrat geliebt werden möchte.
       
       Tatsächlich ausschlaggebend dürften aber die „persönlichen und familiären
       Gründe“ gewesen sein, die Petras selbst anführte. Dessen Familie lebt in
       der Nähe von Berlin und das ist von Stuttgart aus gesehen nicht gerade um
       die Ecke. Die Hansestadt Bremen, wo Armin Petras ab der nächsten Spielzeit
       als Hausregisseur arbeitet, liegt da geografisch schon etwas näher.
       
       28 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Berger
       
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