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       # taz.de -- Hitzewelle in Berlin: Echt heiß hier!
       
       > Berlin schwitzt bei Temperaturen über 30 Grad – der Mai ist extrem warm.
       > Was bedeutet das für die Wasserversorgung und für die Natur?
       
   IMG Bild: Einfach mal abtauchen: Ab Samstag sind (fast) alle Sommerbäder endlich geöffnet
       
       Glücklich, wer jetzt im Büro keinen Dresscode zu befolgen hat und morgens
       mit kurzen Hosen auf dem Fahrrad noch ein wenig Frische tanken kann bevor
       man am Schreibtischstuhl festbackt: Der Mai in Berlin ist heiß gewesen,
       laut Deutschem Wetterdienst war es bundesweit der heißeste seit 1889, und
       Berlin war mit einem Temperaturdurchschnitt von 17,9 Grad Celsius das
       wärmste Bundesland. Mehr heiße Tage – als „heißen Tag“ definiert das
       Umweltbundesamt jeden Tag mit über 30 Grad Celsius –, sind in Zeiten des
       Klimawandels ganz normal, beruhigt die Behörde. Tatsächlich kriegen die
       BerlinerInnen von der laufenden Klimakatastrophe (noch) nicht viel mit, zum
       Beispiel kommt immer noch Wasser aus dem Hahn. Im Kreis Stade in
       Niedersachsen sah das Dienstag anders aus: Dort konnten die Wasserwerke die
       Nachfrage nicht mehr bewältigen.
       
       Kann in Berlin nicht passieren, versichert Stephan Natz, Sprecher der
       Berliner Wasserbetriebe. Die Lage an den (gestauten) Flüssen Spree und
       Havel sorge für einen natürlichen Nachschub an Trinkwasser. 650 Brunnen
       betreiben die Wasserbetriebe laut Natz entlang der Flüsse, zwischen 30 und
       170 Meter reichen sie ins Erdreich hinunter. Von dort unten werde das
       Flusswasser, versickerndes Regenwasser ist auch darunter, langsam durch
       eine Schadstoffe filternde Kies-Sand-Schicht nach oben gepumpt. Das Ganze
       dauere zwischen zwei Monaten und zwei Jahren. Zwei Drittel der Berliner
       Trinkwasser werde so gewonnen, ein Drittel ist natürliches Grundwasser.
       
       Wenn da ein paar heiße Tage mal ein bisschen heißer sind, merke man das
       also „gar nicht“, sagt Natz. Ein Rasensprengerverbot wie in Stade, sagt
       Natz, hätten die Berliner deshalb auch nicht zu befürchten – der
       Kleingarten wird's noch einmal überleben. Das gelte auch für den Wald, sagt
       Derk Ehlert, Sprecher bei der Senatsverwaltung für Umwelt. Im Moment
       könnten die Bäume noch genügend Wasser aus dem Boden ziehen, immerhin rund
       800 Liter seien das täglich für eine ausgewachsene Eiche. Allerdings könne
       es sein, dass man in zwei Jahren die Spätfolgen dieses heißen Monats Mai
       besichtigen kann: Die Bäume würden weniger austreiben als sonst, könnten
       also auch weniger Fotosynthese betreiben und so weniger Nährstoffe
       einlagern. Schlecht fürs grüne Blätterdach in den kommenden Jahren.
       
       In der Innenstadt haben derweil die Grünflächenämter schwer zu tun: Das
       Pumpwerk am Landwehrkanal, das die Beregnungsanlagen im Tiergarten
       versorgt, sei „am Limit“, heißt es aus Mitte. Der Rasen werde aber trotz
       „intensivster Wässerung“ bereits gelb. Gehe es so weiter, müssten die
       Grillgebiete geschlossen werden: Brandgefahr.
       
       Vielleicht fährt man ohnehin besser schnell an die Seen. Denn die
       Blaualgen kommen dieses Jahr früher, warnt Silvia Kostner vom Landesamt
       für Gesundheit, die die Wasserqualität der Berliner Seen überwacht.
       Momentan habe man noch nichts zu befürchten: Weil es im Frühjahr lange kühl
       war, seien die gefährlichen Blaualgen noch nicht weit gediehen. Also: am
       besten jetzt raus an die Seen, in ein paar Wochen haben die Algen den
       Rückstand wettgemacht.
       
       Zum Glück haben bis dahin aber auch wirklich alle Sommerbäder auf: Bisher
       sind von den 26 Freibädern nur 17 geöffnet – am Samstag kommen noch sieben
       dazu, unter aneren die Freibäder Pankow, Wuhlheide und Humboldthain. Warum
       so spät? „Ostern lag noch Schnee,“ sagt Bädersprecher Matthias Oloew. Der
       späte Wintereinbruch habe die Reparaturarbeiten verzögert.
       
       Ach so, die Wetteraussichten: Es bleibt – heiß.
       
       Echt heiß, der Mai. Und was machen die BerlinerInnen? Erinnern sich an
       Hitzefrei, freuen sich über die kühle Parterrewohnung – und selbst in der
       Justizverwaltung zieht der Pressesprecher unterm Schreibtisch jetzt die
       Schuhe aus. Kleine Geschichten aus der heißen Stadt. 
       
       ## Hitzefrei früher und heute
       
       Früher war zwar nicht alles besser, aber eines doch: Es gab noch Hitzefrei
       in der Schule. Als SchülerInnen lauschten wir an heißen Tagen in der großen
       Pause deshalb auf ein Knacken in den Schulhoflautsprechern, dem dann die
       etwas heisere Stimme des Schulleiters folgen würde: Angesichts der in den
       Klassenräumen festgestellten Temperaturen werde der Unterricht nach der
       vierten Stunde beendet. Vielleicht sagte er auch noch mehr, aber das ging
       stets im Gejohle unter. Ich raste dann durch die Felder mit dem Rad nach
       Hause, warf die Schultasche mit Schwung über die Gartenhecke und fühlte
       mich nie freier als bei Hitzefrei. Ich bin in Nordrhein-Westfalen zur
       Schule gegangen, dort gibt es immer noch Hitzefrei. In Berlin, wo mein Sohn
       zur Schule geht, seit 2008 nicht mehr. Die Kinder können lediglich auf
       „verkürzten Unterricht“ hoffen, dann ist die Stunde nur noch 30 statt 45
       Minuten lang. Nachmittags rennt er im Schulhort, der kein Hitzefrei kennt,
       um den Rasensprenger herum und hat vermutlich viel Spaß. Und was daran ja
       definitiv besser ist als früher: Man geht davon aus, dass die Mutter um 12
       Uhr nicht hinter der Gartenhecke steht und die Schultasche fängt, sondern
       im Büro ist. Aber, Mann, wie cool war damals: Hitzefrei! Anna Klöpper
       
       ## Barfuß am Schreibtisch
       
       So ungerecht ist die Welt: Die Knackis bekommen kein Hitzefrei, aber die
       MitarbeiterInnen der Senatsverwaltung für Justiz. In einer behördeninternen
       Rundmail teilte die Staatssekretärin mit, jeder und jede könne am Dienstag
       um 14.00 Uhr gehen – „wenn es die Arbeit zulässt“. Wie oft das geschah,
       vermochte Justizsprecher Sebastian Brux nicht zu sagen. „Wir erheben das
       nicht.“ Brux selbst nimmt sich zurzeit die Freiheit, barfuß am Schreibtisch
       zu sitzen. Obenherum ist er wie immer picobello mit Anzug bekleidet. Kurze
       Hosen im Dienst? Für Brux undenkbar. Und die Knackis? Denen steht das
       natürlich frei. Noch seien die alten Gemäuer nicht so aufgeheizt, dass
       weitere Maßnahmen erforderlich seien, sagt der Justizsprecher. Dauere die
       Hitze an, würden die Aufschlusszeiten der Zellen verlängert und es werde
       mehr Wasser gereicht. „Brot und Wasser“ ist das Synonym für sitzen. Aber
       schwitzen? Bei seinem Amtsantritt hatte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne)
       angekündigt, die Knackis sollten besser „schwitzen statt sitzen“. Nun tun
       sie beides. Plutonia Plarre
       
       ## Kühl in Parterre
       
       Was für eine Wohltat! Als Parterrebewohnerin eines Altbaus empfinde ich die
       Hitze als gerechten Ausgleich. Im Winter ist meine Bude selbst dann kaum
       warm zu kriegen, wenn ich die Heizkosten ins Unermessliche treibe. Im
       Zweifelsfall bedeutet das frieren. Dafür habe ich jetzt die Nase vorn.
       Während die Mieter in den oberen Stockwerken ihre Fenster tagsüber strikt
       geschlossen halten und fast ersticken, stehen bei mir die Flügel
       sperrangelweit offen. Eine wohlige Temperatur, weit davon entfernt,
       schlaflose, schweißgebadete Nächte zu bereiten, durchzieht meine Gemächer.
       Ich heize schon mal für den Winter vor!
       
       Luise K., 58, lebt in einer Parterrewohnung in einem Altbau in Schöneberg
       (Protokoll: plu) 
       
       ## Wasser aus dem Hahn
       
       Ich war gerade zu Besuch in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt in
       Griechenland. Das war ziemlich unentspannt. Die ganze Stadt stank
       erbärmlich nach Pisse und Scheiße. Denn es gab kein Wasser. Nirgendwo.
       Heftige Regengüsse hatten die Kanalisation außer Gefecht gesetzt.
       Vielleicht steckten auch Pläne der griechischen Regierung dahinter, die
       Wasserwerke zu privatisieren. Den Hahn aufdrehen, und Wasser kommt raus, in
       meinen Augen ist das ein Menschenrecht. Aber es ist keine
       Selbstverständlichkeit. Dran muss ich immer denken, wenn ich hier in Berlin
       jetzt unter die Dusche gehe. Die Hitze ist übrigens super.
       
       Augustin J., 32, Fußballer (Protokoll: plu) 
       
       ## Bei Hitze ohne Mütze
       
       Hitzefrei gibt es bei der Polizei nicht. Aber das Tragen der Dienstmütze
       darf gelockert werden, wenn es der Vorgesetzte erlaubt. Die Wasserwerfer
       kommen auch mal sinnvoll zum Einsatz: Bei großer Trockenheit werden damit
       die Straßenbäume bewässert. (plu)
       
       31 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
   DIR Plutonia Plarre
       
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