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       # taz.de -- Dokumentarfilm über saudische Poetin: Verse gegen Fatwa
       
       > „The Poetess“ von Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff portätiert die
       > saudische Dichterin Hissa Hilal. Und zeichnet ein widersprüchliches Bild
       > von ihr.
       
   IMG Bild: Wehmütig erzählt Hissa von der Familie, einem Beduinen-Stamm, der mit Kamelen in der Wüste lebte
       
       Vielleicht haben wir uns zu früh gefreut. Darüber, dass sich Saudi-Arabien
       modernisiert. Dass Frauen ab Juni [1][Auto fahren dürfen], es keine
       [2][Sittenpolizei] mehr gibt, die „unpassend“ gekleidete Frauen jederzeit
       verhaften konnte, und dass Frauen nun – theoretisch – ohne Erlaubnis eines
       Mannes reisen und Geschäfte eröffnen dürfen.
       
       „Frauen und Männer sind gleichberechtigte Wesen“, hat [3][Kronprinz
       Mohammed bin Salman] kürzlich gesagt. Dieser Satz ist keine
       Selbstverständlichkeit, kommt er doch aus dem Mund von einem
       Regierungsoberhaupt eines der konservativsten Länder weltweit.
       
       Kurze Zeit später wurden sechs saudi-arabische [4][Aktivistinnen und ihre
       Anwälte verhaftet.] Der Vorwurf? Verrat, Spionage, Zusammenarbeit mit
       ausländischen „Agenten“. Im schlimmsten Fall droht ihnen der Tod. Eine der
       Angeklagten ist erst 28. Sie hatte sich schon vor Langem gegen das
       Fahrverbot für Frauen ausgesprochen – was nun ohnehin der Vergangenheit
       angehören soll.
       
       Ähnlich widersprüchlich ist der Dokumentarfilm „The Poetess“ von Stefanie
       Brockhaus und Andreas Wolff. Er erzählt die Geschichte von Hissa Hilal,
       einer 51-jährigen Saudi-Araberin, die es 2010 als erste Frau ins Finale des
       Fernsehwettbewerbs „The Million’s Poet“ schaffte.
       
       Die von der Regierung von Abu Dhabi finanzierte Fernsehshow erfreut sich
       großer Beliebtheit: 75 Millionen sehen zu. Sie dient dem Zweck, die
       Tradition der Beduinen-Dichtung „Nabati“ aufrechtzuerhalten, klassische
       arabische Heldengesänge. Das Preisgeld? Eine Million US-Dollar.
       
       ## Sie kann ihre Verse nicht lesen
       
       In „The Poetess“ sieht man Mitschnitte aus der Sendung: Vier Männer, alle
       in eine weiße „Dischdascha“ gekleidet mit rot-weiß karierter Kopfbedeckung,
       betreten selbstsicher die Bühne und strahlen in die Kameras. Mit einigem
       Abstand folgt eine komplett in Schwarz gehüllte Gestalt. Ihre Schritte sind
       unsicher, als könne sie jederzeit stolpern. Kann sie auch: Hissa sieht so
       gut wie nichts, sogar ihre Augen sind verhüllt. Das war die Bedingung,
       unter der ihre Familie und ihr Mann sie haben auftreten lassen.
       
       Irgendwann platzt ihr der Kragen, Backstage natürlich. „Ich kann ja nicht
       mal meine Verse richtig lesen.“ Sie entschließt sich, von der Burka auf den
       Nikab umzusteigen, der ihre Augen freilässt. „Klar würde ich mich nicht
       verschleiern, wäre ich in einem anderen Land zu Hause“, sagt sie im Film.
       „Die Leute hielten mich doch für bescheuert.“
       
       Wehmütig erzählt sie von ihrer Familie, einem Beduinen-Stamm, der mit
       Kamelen in der Wüste lebte, bis sie vier war. Damals seien die Frauen stark
       und gleichberechtigt gewesen. „Der Schleier diente lediglich dem Schutz vor
       der Sonne und vor möglichen Angriffen fremder Männer.“
       
       Hissa prangert die Unterdrückung von Frauen in ihren Gedichten an. Sie
       dichtet, seit sie zwölf ist – gegen den Widerstand der männlichen
       Familienmitglieder. Anfangs unter Pseudonym, mittlerweile unter ihrem
       Klarnamen. Sie ist Autodidaktin. Für das ersehnte Literaturstudium fehlte
       das Geld. Von ihrem ersten Honorar kaufte sie sich ein Faxgerät, um ihre
       Gedichte an Magazine senden zu können.
       
       ## Morddrohungen für ihre Kritik
       
       Hissa hat vier Töchter; ihr Mann ist ebenfalls Dichter und unterstützt sie
       „sehr“, wie er im Film erzählt. Dennoch brauchte es vier Staffeln, bis er
       ihr erlaubte, teilzunehmen.
       
       Publikum und Jury sind begeistert von Hissa und ihren feministischen
       Appellen in Versform. Bis sie sich in einem weiteren Gedicht gegen
       religiösen Fundamentalismus und einen bestimmten Geistlichen ausspricht.
       Dieser hatte kurz zuvor eine Fatwa erlassen, in der er die Todesstrafe
       forderte für all die, die zur „Vermischung der Geschlechter“ beitrügen.
       Hissa erhielt Morddrohungen. Ein User fragte in einem Forum nach ihrer
       Adresse.
       
       Gewonnen hat sie nicht. „So weit sind wir noch nicht.“ Immerhin wurde sie
       Dritte. Dem Spiegel sagte sie, teilgenommen habe sie nur, weil sie das Geld
       für eine OP gebraucht habe. Für ihre jüngste Tochter, die nicht sprechen
       konnte. Diese Information unterschlägt der Film. So wie vieles Biografische
       unklar bleibt.
       
       Einiges hätte man Hissa in Kürze fragen können. Zur Premiere wollte sie
       nach Deutschland reisen. Nun hat sie abgesagt. „Aus Sicherheitsgründen“,
       schreibt der Filmverleih.
       
       31 May 2018
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Wagner
       
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