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       # taz.de -- Wolfgang Seibert über Chabad-Bewegung: „Uns war klar, dass sie missionieren“
       
       > Dem Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Pinneberg bereitet der wachsende
       > Einfluss der orthodoxen Chabad-Bewegung Unbehagen.
       
   IMG Bild: Der Rabbiner Shlomo Bistritzky bei einer Prozession der Chabad-Bewegung im Jahr 2010
       
       Hinweis: [1][Wolfang Seibert wurde vom Amtsgericht Itzehoe] wegen
       „gewerbsmäßiger Veruntreuung“ verurteilt. 
       
       taz: Herr Seibert, Hamburgs Landesrabbiner, der der orthodoxen
       Chabad-Bewegung angehört, hat fünf Rabbiner ausgebildet und am Mittwoch
       ordiniert. Was bedeutet das für die jüdische Community? 
       
       Wolfgang Seibert: Für uns als liberale Juden bedeutet es gar nichts. Ich
       habe aber insgesamt Probleme mit Chabad.
       
       Inwiefern? 
       
       Ich finde es schwierig, wenn Gruppen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft
       denken, sie hätten als einzige die richtige Lehre und als einzige das
       Judentum richtig verstanden. Ich finde auch problematisch, dass sie in
       jüdischen Gemeinden missionieren oder sogar versuchen, jüdische Gemeinden
       komplett zu übernehmen, was ihnen teilweise schon gelungen ist.
       
       Wo zum Beispiel? 
       
       In Hamburg mit Shlomo Bistritzky als Landesrabbiner ist das bereits der
       Fall, und es gibt das auch in anderen Gemeinden. Es gibt aber auch
       Gemeinden, die sich heftig dagegen wehren – Düsseldorf und Frankfurt zum
       Beispiel. Außerdem finde ich problematisch, dass Chabad – und die haben
       sehr viel Geld – Leute anlocken, indem sie sie zum Essen einladen und
       solche Dinge. Ich kenne viele Leute, die sagen: „Wir gehen zu Chabad, weil
       die so super Essen haben.“
       
       Wie verlaufen die Gottesdienste von Chabad? 
       
       Sie werden in einem rasend schnellen Tempo auf Hebräisch abgehalten, sodass
       kein Mensch versteht, was da passiert.
       
       Würden Sie Chabad als Sekte bezeichnen? 
       
       Von ihrem Verhalten her haben sie zumindest etwas Sektenähnliches. Ich habe
       allerdings Schwierigkeiten damit, irgendwen als Sekte zu bezeichnen, weil
       ich den Begriff teilweise als abwertend verstehe.
       
       Seit wann ist Chabad in Europa so aktiv? 
       
       Genau kann ich es nicht sagen. Ich jedenfalls habe sie zum ersten Mal vor
       zehn, 15 Jahren kennen gelernt. Damals sind sie ganz massiv mit sehr vielen
       Chabad-Rabbinern hier nach Deutschland gekommen.
       
       Haben Sie persönlich Erfahrung mit Chabad-Rabbinern? 
       
       Wenig. Es gab mal das Angebot von Herrn Bistritzky, in unserer Pinneberger
       jüdischen Gemeinde einen Gottesdienst abzuhalten. Das haben wir abgelehnt,
       weil uns klar war, dass Chabad missioniert.
       
       Aktiv? 
       
       Ja. Sie gehen auf die Menschen zu und versuchen sie zu überzeugen. Dabei
       ist diese Verhaltensweise im Judentum eigentlich verpönt. Es gibt ein
       Missionsverbot.
       
       Wofür steht Chabad im Detail? 
       
       Ich weiß nur, dass sie ultraorthodox sind und dass sie – wie andere
       orthodoxe Juden auch – auf den Messias warten. Für mich allerdings ist so
       ein Warten auf den Messias als Person irrational. Wir liberale Juden hoffen
       eher auf messianische Zeiten, die der Ankunft des Messias vorausgehen
       sollen.
       
       Das bedeutet? 
       
       Dass es keine Kriege mehr gibt, Menschen gleichberechtigt leben und überall
       Harmonie und Gerechtigkeit herrschen.
       
       Bildet Chabad in der weltweiten jüdischen Community die Mehrheit? 
       
       Nein. Es gibt auch sehr viele orthodoxe Juden, die Chabad ablehnen. Es ist
       in der Tat sehr schwierig, mit Chabad klarzukommen: Sie sind so überzeugt
       von ihrer Sicht, dass sie Argumenten nicht zugänglich sind.
       
       Wie beurteilen Sie die interne Demokratie von Chabad und deren Umgang mit
       Kritikern? 
       
       Über die interne Demokratie kann ich wenig sagen; aber ich hege Zweifel.
       Und bei Kritikern aus den eigenen Reihen wird schnell behauptet, dass sie
       das Judentum nicht verstünden und keine richtigen Juden seien.
       
       Sie waren eine Zeit lang Delegierter im Zentralrat der Juden. Wie steht der
       zu Chabad? 
       
       Der Zentralrat ist ambivalent, aber tendenziell eher ablehnend. Dieses
       Gremium hat sich sehr oft mit dem Einfluss befasst, den Chabad zu bekommen
       versucht, aber ich darf aus diesen vertraulichen Sitzungen keine Details
       erzählen.
       
       Der frühere israelische Oberrabbiner Jonah Metzger galt als Chabad-nahe.
       Bildete er eine Ausnahme unter Israels Oberrabbinern? 
       
       Ich sehe das nicht als Ausnahme. Auch der jetzige Oberrabbiner Izchak Josef
       ist ultraorthodox, und es wird gesagt, dass er sehr Chabad-nahe sei. Er war
       ja auch jüngst bei der Hamburger Ordination anwesend.
       
       Dabei gibt es bereits zwei Rabbiner-Ausbildungsstätten in Deutschland: das
       liberale Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam und das orthodoxe Berliner
       Rabbinerseminar. 
       
       Ja. Und beide kann man – völlig zu Recht – nur mit abgeschlossenem
       Hochschulstudium besuchen.
       
       Dann wäre Hamburg das dritte Rabbinerseminar deutschlandweit. 
       
       Ja, ich war sehr überrascht, dass Chabad hierzulande jetzt Rabbiner
       ausbildet.
       
       Erlaubt ist es ja. Jede Chabad-Gemeinde könnte Rabbiner ausbilden. 
       
       Ja. Und das wiederum könnte dazu führen, dass man irgendwann gar nicht mehr
       auf andere Rabbis zurückgreifen kann.
       
       Zwei der frisch ordinierten Rabbis gehen in die jüdischen Gemeinden Lübeck
       und Flensburg. Wie beurteilen Sie das? 
       
       Ich würde sagen, dass da durchaus eine Ausdehnung des Machtbereichs
       dahinter steht. Chabad bekommt mehr Einfluss – auch im orthodoxen
       Landesverband Schleswig-Holstein. Der umfasst die Gemeinden Kiel, Lübeck,
       Flensburg, wovon zwei jetzt unter Chabad-Einfluss stehen.
       
       Warum bekümmert Sie das? 
       
       Weil Teile der Community immer orthodoxer werden. Chabad versucht die
       Menschen zu einem Leben zu drängen, das man gar nicht führen kann. Die
       Anforderungen, die an Ultra-Orthodoxe gestellt werden – koscher leben, sich
       genau nach den jüdischen Gesetzen richten – sind im normalen Alltag gar
       nicht umsetzbar. Das könnte irgendwann zur Entstehung einer
       Parallelgesellschaft führen.
       
       30 May 2018
       
       ## LINKS
       
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   DIR Petra Schellen
       
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