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       # taz.de -- Film „Auf der Suche nach Oum Kulthum“: Spiel mit magischen Oberflächen
       
       > Ihr Thema ist die Spaltung: Im Spielfilm „Auf der Suche nach Oum Kulthum“
       > der Künstlerin Shirin Neshat reagieren Bilder auf Bilder.
       
   IMG Bild: Gespiegelt: Ghada (Yasmin Raeis) schlüpft im Film in Rolle und Roben der jungen Oum Kulthum
       
       Mitra (Neda Rahmanian) durchläuft ihren eigenen Film, während sie an einem
       Film arbeitet, der ebenfalls der ihrige ist. Bei beidem darf ihr zugesehen
       werden. Dabei erscheint zunächst alles wie eine Vision: Eine Dame in grünem
       Kleid schreitet eine Treppe empor, Mitra folgt ihr, als hätte sie einen
       gigantischen Smaragd erblickt.
       
       Szenenwechsel. Mitra ist in eine Vergangenheit geworfen (die Bilder
       entfärben sich), geistgleich beobachtet sie den Moment, in dem einem
       Mädchen ein Turban um den Kopf gelegt wird. Die Puppe, die es eben noch in
       der Hand gehalten hat, wird von zwei Männern fortgerissen. Bald darauf ist
       Gesang zu hören. Gebannt stehen die Menschen vor der Bühne und lauschen dem
       Kind in Knabengestalt.
       
       Es ist die Geschichte der Sängerin Oum Kulthum, die Regisseurin Shirin
       Neshat gleich in die ersten Minuten von „Looking for Oum Kulthum“ flicht.
       Zwar nicht sehr ausführlich (nur dem Gesang, und um ihn geht es ja auch,
       widmet sie eine lange Einstellung), aber doch eindeutig genug.
       
       Was der Film ausspart, ist dies: Im Ägypten der Jahrhundertwende wird ein
       Mädchen in ärmliche Verhältnisse geboren, dessen Vater, ein Imam, sich
       einen Nebenverdienst als Koranrezitator auf Festen ersingt. Oum Kulthum
       geht mit ihm und internalisiert Worte und Melodien. So gut, dass man
       beginnt, sie an seiner Stelle vor die Leute zu schicken. Dass es sich um
       eine Sängerin und keinen Sänger handelt, darf niemand erfahren.
       
       Das Wesen im grünen Kleid hingegen ist die, die aus dem Mädchen
       hervorgegangen ist: Oum Kulthum der Star, die Diva, die Maria Callas der
       arabischen Welt. Und irgendwo in dieser Klammer, da schwebt Mitra, davon
       handelt ihr Film, der das Leben Oum Kulthums erzählen soll, von dem sie so
       sehr fasziniert ist. Ihre eigene Erzählung, das eigene Leben, ereignet sich
       natürlicherweise parallel zu den Dreharbeiten, und Shirin Neshat ist an ihm
       mindestens genauso interessiert wie an dem Oum Kulthums, für die sie,
       ähnlich wie Mitra, eine Obsession entwickelt hat.
       
       ## Ein gesplitteter Film
       
       „Looking for Oum Kulthum“ wird damit gewissermaßen auch zu einem
       gesplitteten Film, der an die Videoinstallationen Neshats denken lässt.
       
       An „Turbulent“ von 1998, für den Neshat auf der Biennale di Venezia
       ausgezeichnet wurde und der auf zwei Leinwänden jeweils eine
       Gesangsperfomance präsentiert – eine von einem Mann, die andere von einer
       Frau. Oder an „Soliloquy“ (1999), abermals auf zwei Leinwänden, auf denen
       zunächst eine einander verwandte Anordnung zur Darstellung kommt, bis sich
       das Geschehen ändert, dann wieder annähert und so weiter. Ein Tanz, der
       manchmal gemeinsam vollführt wird und dann wieder getrennt.
       
       Beide Arbeiten haben etwas Geschmeidiges, das auch „Women Without Men“ zu
       eigen ist, Neshats erstem Spielfilm von 2009, für den sie ebenfalls in
       Venedig prämiert wurde, dieses Mal allerdings bei den Filmfestspielen.
       
       ## Ihr Thema ist das Gegensätzliche
       
       Shirin Neshat sagt, in „Women Without Men“ sei es ihr unter anderem um den
       Kontrast zwischen Schönem und Hässlichem gegangen, oder auch um Fragilität
       und Stärke. Neshats Thema ist das Gegensätzliche, aber mehr noch die
       Spaltung. Sie selbst empfindet sich als eine Gespaltene. Geboren und
       frühsozialisiert in Iran, dann mit der Familie in die USA ausgewandert, wo
       sie, ein wenig wie das Mädchen Oum Kulthum, die Lieder des Westens in sich
       aufnahm.
       
       Neshat behauptet von sich, sie habe gelernt, eine vollständige Westlerin zu
       sein, aber auch eine Ostlerin. Zwischen beiden Welten navigiert sie. Und
       das versucht auch Mitra, mit der Neshat die Herkunft teilt sowie ein
       professionelles Arbeitsleben fernab des Iran.
       
       Mitra ist seit sieben Jahren nicht in dem Land gewesen, wo sie einen
       14-jährigen Jungen zurückgelassen hat. Einen Pubertierenden, der ihr, just
       auf dem Filmset, beginnt, wütende Nachrichten zu schicken und schließlich
       verschwindet. Es ist der Dreh, der Mitras vorläufigen Karrierehöhepunkt
       markieren sollte – und alles läuft schief. Die Schauspieler mokieren sich
       zudem über die einseitige Rezeption Oum Kulthums, die von Mitra als Ikone
       gelesen wird, welche auf dem Weg nach oben ihre Wurzeln aufgab.
       
       ## Vehemente Härte
       
       Mitra spiegelt sich in der Sängerin, wie sich Neshat in Mitra spiegelt.
       „Now she can’t allow anything to distract her!“, erklärt Mitra
       Schauspielerin Ghada (Yasmin Raeis) mit vehementer Härte, die in Rolle und
       Roben der jungen Oum Kulthum geschlüpft ist. Doch nur, weil man nicht
       erlaubt, gestört zu werden, heißt das nicht, dass es nicht trotzdem
       passieren kann, passieren soll.
       
       Spiegel. Natürlich versteht Shirin Neshat, dass jene magischen Oberflächen
       prompt mit einem anderen Bild reagieren müssen, wenn sich das, was vor
       ihnen steht, verändert. Wenn eine neue Version vor ihn getreten ist, ein
       neuer Star, eine neue Frau, eine neue Regisseurin. Es ist Neshats
       Verständnis für diese fundamentalen, fast banalen Zusammenhänge, die den
       erzählerischen und visuellen Fluss ergeben. Es macht, dass ihre Arbeiten in
       einen selbst einzufließen scheinen.
       
       7 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolin Weidner
       
       ## TAGS
       
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