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       # taz.de -- Vollgeld-Initiative in der Schweiz: Die Banken entmachten
       
       > Eine Vollgeld-Reform würde Geld- und Finanzsystem trennen. Der Gewinn aus
       > der Geldschöpfung ginge an die Allgemeinheit. Die Schweiz entscheidet.
       
   IMG Bild: Noten und Münzen machen heute nur noch 10 Prozent der Geldmenge aus
       
       Der Schweizer Bankenverband läuft gerade Sturm gegen eine Volksinitiative
       zur Reform des Geldsystems, die am 10. Juni von der Bevölkerung abgestimmt
       wird. 144.000 Bankangestellte erhielten eine zweiseitige Liste von
       Argumenten – gegen die „Vollgeld-Reform“. Diese zielt auf eine Reform des
       Geldschöpfungsprozesses, die international immer mehr Anhänger gewinnt:
       Alles Geld soll von der öffentlichen Zentralbank ausgegeben werden – als
       Geschenk an Staat und BürgerInnen oder als Kredit an die Geschäftsbanken.
       
       Nanu, ist das denn heute nicht schon genau so? Einer Umfrage in
       Großbritannien zufolge sind 84 Prozent der Bevölkerung fest dieser Meinung,
       90 Prozent lehnen eine Reform ab, die das Recht auf Gelderzeugung den
       privaten Geschäftsbanken überlassen würde. Was die Befragten nicht wussten:
       Das ist heute der Fall. Aber wie kann das sein, wenn schon im 19.
       Jahrhundert eigens Zentralbanken geschaffen wurden, um das Monopol der
       Geldausgabe auszuüben – weshalb sie auch Notenbanken heißen?
       
       Der Grund: Bargeld – Noten und Münzen – machen heute nur noch rund 10
       Prozent der Geldmenge aus, die wir als Zahlungsmittel verwenden. Fast 90
       Prozent des Geldes ist „unbar“ und nur auf Girokonten verbucht. Letzteres
       kommt zu 100 Prozent von den Geschäftsbanken – und nicht von der
       Zentralbank, wie die Mehrheit glaubt.
       
       Wie schaffen die Geschäftsbanken „Giralgeld“? Indem sie einen Kredit
       vergeben. Anders, als viele Menschen glauben, ist „Sparen“ nicht die
       Voraussetzung für die Kreditvergabe, sondern Kredite werden grundsätzlich
       „aus dem Nichts geschaffen“, indem eine Forderung gegen die KreditnehmerIn
       auf der Aktivseite der Bankbilanz gebucht wird und auf der Passivseite ein
       gleich hohes Guthaben auf dem Girokonto der KreditkundIn. Wird der Kredit
       verwendet (etwa für den Kauf eines Autos), wird der Geldbetrag zwar vom
       Girokonto überwiesen, auf das Konto der AutohändlerIn, doch wenn diese – um
       es einfach zu halten – das Geschäftskonto bei der gleichen Bank hat, muss
       die Bank den Kredit nicht weiter „refinanzieren“. Die Bankbilanz hat sich
       durch den Kredit aber „verlängert“, die Geldmenge ist gewachsen:
       Geldschöpfung, wie sie heute üblicherweise funktioniert.
       
       Die „Refinanzierung“ des Kredits erfolgt über Sichtguthaben auf Girokonten.
       Diese sind sehr gering oder gar nicht verzinst, womit die Bank mit Krediten
       ein günstiges Geschäft machen kann – günstiger jedenfalls, als wenn sie
       sich die Kreditsumme zuerst von Sparern, einer anderen Bank oder der
       Zentralbank leihen müsste. Die Differenz – Zinsen für Girokonten versus
       Zinsen für Sparkonten oder Interbankenkredite – sind der
       „Geldschöpfungsgewinn“ für private Geschäftsbanken. In Summe sind es viele
       Milliarden und eine Erklärung für die überdurchschnittliche Profitabilität
       des Bankensektors.
       
       Hier setzen die Vorschläge für eine Geldreform an: Geld ist eine
       öffentliche Infrastruktur, deshalb sollte alles Geld, alle Zahlungsmittel,
       von der öffentlichen Zentralbank ausgegeben werden und der
       Geldschöpfungsgewinn der Allgemeinheit zugutekommen. Die wichtigsten
       Argumente:
       
       1. Mit der Reform würden Geldinfrastruktur (Ausgabe von Geld) und
       Finanzdienstleistung (Vergabe von Krediten) getrennt, das Geldsystem wäre
       öffentlich, das Finanzsystem überwiegend privat.
       
       2. Da Girokonten aus den Bankbilanzen ausgelagert würden, wären die auf
       ihnen geführten Guthaben nicht mehr ein Kredit der BankkundInnen an die
       Bank, sondern vollwertiges gesetzliches Zahlungsmittel im Besitz der
       BankkundInnen. Derzeit sind Girokontoguthaben weder gesetzliches
       Zahlungsmittel (das sind nur Zentralbanknoten und Münzen) noch im Besitz
       der KundInnen. Sie sind im Besitz der Bank und deshalb im Fall einer
       Insolvenz ausfallgefährdet.
       
       3. Banken erzeugen nach einer Vollgeldreform bei der Kreditvergabe nicht
       gleichzeitig Geld. Sie können nur noch dann Kredite vergeben, wenn sie
       zuvor Vollgeld (Zentralbankgeld) in Form von Sparanlagen des Publikums,
       Interbankenmarktkredite oder direkt von der Zentralbank organisiert haben.
       Volkswirtschaftlich würde der Zusammenhang zwischen Sparen und Investieren
       enger.
       
       4. Banken könnten nicht mehr via Geldschöpfung (Buchung eines Guthabens auf
       ein Girokonto) Wertpapiere ankaufen, seien es Aktien, Immobilien(derivate)
       oder Staatsanleihen. Banken müssen Vollgeld besitzen, bevor sie Wertpapiere
       kaufen können. Damit wird den Banken ein wichtiger „Hebel“ zur Aufblähung
       von Spekulationsblasen aus der Hand genommen.
       
       5. Dank der Reform könnten die prekären Staatsfinanzen in der Eurozone
       saniert werden. Einerseits im Zuge der Umstellung, in der die von den
       Geschäftsbanken geschöpfte Giralgeldmenge so umgebucht würde, als wäre sie
       ursprünglich von der Notenbank geschöpft worden. Der entgangene
       Geldschöpfungsgewinn könnte so im Nachhinein erzielt, von der Zentralbank
       an den Staatshaushalt ausgeschüttet und zur Reduktion der Staatsschulden
       verwendet werden (alternativ zur Senkung der Steuern). Darüber hinaus käme
       die Allgemeinheit Jahr für Jahr in den Genuss des Geldschöpfungsgewinns,
       wenn die Zentralbank zusätzliches Geld in Umlauf bringt, was den
       Staatshaushalt weiter spürbar entlasten könnte.
       
       Nicht ganz zufällig kam die EU-Kommission jüngst auf ähnliche Gedanken. Sie
       schlug vor, dass die Europäische Zentralbank zumindest die Hälfte des
       Gewinns aus dem Drucken von Banknoten in den EU-Haushalt leiten könnte. In
       der Finanzperiode 2021–27 wären das 56 Milliarden Euro. Der Zusammenhang
       zwischen Geldschöpfung und Staatshaushalt weckt also nicht nur in der
       Schweiz Interesse. Bisher haben sich die Parlamente in Island, Holland und
       Großbritannien mit der Vollgeldreform auseinandergesetzt. In der Schweiz
       läuft die gesamte Elite Sturm gegen das innovative „Experiment“. Möge es
       gelingen!
       
       9 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Felber
       
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