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       # taz.de -- Architekturfestival Make City: Stadt anders machen lernen
       
       > Zum zweiten Mal findet in Berlin Make City statt. Das Motto des
       > 18-tägigen Veranstaltungsmarathons lautet „Stadt neu gemischt“. Kuratorin
       > Ferguson will zivilen Kapitalismus.
       
   IMG Bild: Die Stadt der Zukunft als Wimmelbild
       
       Es muss schon ein ganz besonderes Ereignis sein, wenn Ada Colau, ehemalige
       Stadtaktivistin und seit 2015 Bürgermeisterin Barcelonas, und Sadiq Aman
       Khan, das erste muslimische Stadtoberhaupt Londons, nach Berlin reisen,
       ohne vom Regierenden Bürgermeister eingeladen worden zu sein. Dennoch
       werden beide am Donnerstag in der Stadt sein – und mit Bausenatorin Katrin
       Lompscher (Linke) und weiteren Gästen das zweite Make City Festival
       eröffnen. Das Thema des 18-tägigen Events lautet schlicht und ergreifend
       „Stadt neu gemischt“.
       
       Das Motto räumt gleich mit zwei lieb gewonnenen Gewohnheiten von
       Architektinnen und Stadtplanern auf. Das alte Leitbild der „durchmischten
       Stadt“ ist in Berlin längst weggentrifiziert. Man wohnt wieder unter sich,
       die Wohlhabenden brauchen dazu nicht einmal Gated Communities, weil sie
       längst ganze Viertel erobert haben. Der Rest kämpft um seine Nischen und
       hofft auf (politische) Wunder.
       
       Eine neue Mischung aber ist möglich, sind die Macherinnen und Macher von
       Make City überzeugt und verbreiten eine Aufbruchstimmung, die angesichts
       der Mietenexplosion erstaunlich ist. „Berlin wird derzeit überall neu
       gemischt, überall wechseln die Szenen, die Akteure“, sagt Francesca
       Ferguson, die als künstlerische Leiterin bereits das erste Make City
       Festival vor drei Jahren auf die Beine gestellt hat. Berlin ist für
       Ferguson die Stadt des „Zivilkapitalismus“.
       
       Alternative Projektentwickler, gemeinwohlorientierte Bauherren, neue
       Kooperationen mit der öffentlichen Hand, Partizipation, gutes Geld: Das
       sind die Zutaten, aus denen dieser zivile Kapitalismus für Ferguson gemacht
       ist – und denen das Architekturfestival dient. Als „Plattform für
       Entwickler, Planer, Bauherren, Verwaltung, Politik, Genossenschaften,
       Kultureinrichtungen“, wie es Ferguson nennt.
       
       Nanni Grau teilt diesen Optimismus. „Das erste Festival hat Spuren
       hinterlassen“, sagt die Architektin des Büros Hütten & Paläste. „All das,
       was wir und andere machen, ist plötzlich sichtbar geworden“. Viele
       Netzwerke seien damals entstanden, auf die man seitdem zurückgreifen könne.
       „Über viele Jahre haben wir ein Gegeneinander erlebt. Jetzt gibt es ein
       Miteinander.“
       
       Natürlich hat das auch mit dem Bauboom zu tun, der nicht nur den
       etablierten Vertretern der Zunft dicke Auftragsbücher beschert, sondern
       auch jungen Architektinnen und Architekten. Die wollen nun auch von den
       Erfahrungen der Älteren profitieren. Eine „riesige Universität“ nennt Nanni
       Grau deshalb Make City. Selbst das Büro von Grau ist nun aufgefordert,
       experimentelle Lösungen für den Bau von sogenannten schwierigen
       Grundstücken zu suchen.
       
       Oft geht es dabei um die Erdgeschosse, sagt Grau. Sie nennt sie die
       „Schnittstellen des Gebäudes zur Stadt“. Lange Zeit haben Investoren keine
       Gewerberäume gebaut, weil die Käufer von Eigentumswohnungen nicht gestört
       werden wollen. Aber auch Wohnungsbaugesellschaften tun sich schwer mit
       Gewerbe und Läden. Viele Architekten jedoch weigern sich inzwischen,
       Erdgeschosswohnungen zu bauen. Sie wollen wieder mehr Mischung von Wohnen,
       Arbeiten und Einkaufen. „Solche Haltungen entwickeln sich gerade“, ist Grau
       überzeugt.
       
       Im Programm von Make City nehmen die Erdgeschosse, aber auch Gewerbeflächen
       breiten Raum ein. Ein Beispiel ist das Metropolenhaus am ehemaligen
       Blumengroßmarkt, das über seine Erdgeschosszone das gesamte Quartier in der
       Südlichen Friedrichstadt aktivieren möchte. Dem Thema Gewerbe nähert sich
       das Haus vor allem temporär. Die Flächen werden nur zeitlich begrenzt
       vergeben.
       
       Unterstützung bekommt Make City dabei auch von der Architektenkammer
       Berlin. Präsidentin Christine Edmaier betont, dass in Berlin keine reinen
       Wohngebiete mehr gebaut werden dürften. „Wir brauchen urbane Gebiete neuen
       Typs“, fordert Edmaier. Selbstverständlich müssten sich in den
       Erdgeschossen Gewerbeflächen befinden. Das Festival an sich findet sie die
       ideale Ergänzung zum Tag der Architektur, den die Kammer ausrichtet.
       „Berlin hat ein Film- und Theaterfestival.“ Mit Make City sei nun ein
       Festival für Architektur und Stadtentwicklung dazugekommen.
       
       Für Francesca Ferguson geht es bei Make City aber nicht nur ums Bauen,
       sondern ums Große und Ganze. Vor allem die Kreislaufwirtschaft ist ihr
       wichtig. Wie können Baumaterialien recycelt werden? Wie lässt sich die
       Lebensmittelproduktion nachhaltig organisieren? „Die Ernährungswirtschaft
       ist ein wichtiges stadtentwicklungspolitisches Thema“, ist Ferguson
       überzeugt und verweist auf den „Urban Food Policy Pact“, den mehr als 160
       Metropolen in Mailand unterschrieben haben.
       
       In Berlin soll dieses Thema vor allem im Großmarkt an der Beusselstraße
       einen Ort haben. Die Markthalle Neun will dort wieder den „Bauch der Stadt“
       entstehen lassen, betont Markthallen-Betreiber Florian Niedermeier: „Wir
       wollen die Lebensmittelproduktion und die Menschen, die tagtäglich für
       unser Essen arbeiten, wieder zurück in die Stadt holen.“ Beim Senat hat
       Niedermeier bereits das Konzept Großmarkt 9.0 eingereicht.
       
       Nicht mehr und nicht weniger als die Diskussion über einen neuen
       Stadtvertrag hat Kuratorin Francesca Ferguson vor Augen. Zwischen den neuen
       Akteuren des Bauens, der Partizipation, der Entscheider. Gleichzeitig warnt
       sie vor zu hohen Erwartungen. „Wir geben hier keine Antworten, sondern die
       Möglichkeit sich auszutauschen.“ Zum Beispiel auch über neue
       Finanzierungsmodelle, bei denen private und öffentliche Akteure
       zusammenarbeiten. Dass das Eckwerk der Holzmarktgenossenschaft vor dem Aus
       steht, so Ferguson, sei da natürlich ein Rückschlag.
       
       11 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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