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       # taz.de -- Ausstellung in der Waldstadt Wünsdorf: Götterfunken feuertrunken
       
       > Buddhismus kontra Leninismus: Bettina WitteVeens Kunstinstallation in
       > Wünsdorf verbindet Film, Foto, Video und Skulpturen.
       
   IMG Bild: Still aus dem Film „Götterfunken“, der Tanzszenen mit abstrakten Filmbildern gegenschneidet
       
       Die Besucher*innen ihrer Ausstellung in der Verbotenen Stadt Wünsdorf,
       wünscht sich die Künstlerin Bettina WitteVeen, sollten sich den Film, den
       sie zu Beginn des Rundgang sehen, an dessen Ende noch einmal anschauen.
       Denn damit vollzögen sie die gleiche gedankliche Bewegung, die den Film
       kennzeichnet, nämlich die eines wiederkehrenden Zyklus.
       
       Bettina WitteVeen, die in New York lebt und arbeitet, ist Buddhistin. Das
       ist deshalb erwähnenswert, weil die Lehre des Buddha ihre künstlerische
       Arbeit maßgeblich prägt. Die große Frage des Buddhismus nach der
       Überwindung oder Vermeidung von Leid bildet denn auch den Hintergrund ihrer
       aktuellen Ausstellung. Darin verbindet sie Film, Fotografie,
       Videoinstallation und skulpturale Elemente zu einer ortsspezifischen
       Installation, in der sie die ethischen Grenzen im Bereich der militär- und
       nanotechnologischen Forschung und der künstlichen Intelligenz hinterfragt.
       
       Damit ist sie in Wünsdorf am rechten Ort. Einst eine preußische
       Militärgarnison und ab 1934 Heeressportschule der Wehrmacht, diente die
       weitläufige Einrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg dem sowjetischen
       Oberkommando der Westgruppe. Bis die Truppen 1994 abzogen, lebten hier
       teils bis zu 70.000 sowjetische Militärangehörige, die prinzipiell täglich
       mit Zug nach Moskau fahren konnten. Für DDR-Bürger war das Areal
       Sperrgebiet, daher der Name „Verbotene Stadt“.
       
       Jetzt, im Frühsommer, ist die verlassene Anlage ein einziges Idyll. In der
       Mittagszeit herrscht eine unglaubliche Ruhe, nur vom Summen der Bienen und
       Hummeln untermalt, die sich in den Gräsern tummeln, die überall ungehindert
       wachsen, wobei sich auch ein paar Rosenbüsche darunter verirrt haben.
       Gerade diese Impression ist ein wichtiger Teil von Bettina WitteVeens
       Installation mit dem zugegebenermaßen etwas schwerfälligen Titel
       „Götterfunken feuertrunken der Erlkönig: whiteout“.
       
       Denn die Landschaft, die in ihren Ausstellungen fotografisch oder filmisch
       immer eine Rolle spielt, bleibt jetzt außen vor. Sie ist reales Bild,
       dessentwegen die Künstlerin ihre Ausstellung ganz bewusst in den Juni
       gelegt hat. Natürlich ist es jetzt ein Vergnügen, aus der Sonne in den
       kühlen Theatersaal zu gehen, wo „Götterfunken“ läuft.
       
       Für diesen Film kompiliert Bettina WitteVeen kurze Filmclips von
       Tanzszenen, die sie mit abstrakten Filmbildern zwischen schneidet. Sie
       zeigen eigentlich einen nächtlichen Tanz mit Feuerfackeln, von dem nur die
       Götterfunken des bewegten Lichts sichtbar werden: Als Abstraktion all der
       anderen rituellen Tempel-, Kreisel- und Hüpftänze, die WitteVeen auf ihren
       Reisen nach Butan, Kambodscha, Sri Lanka, Indonesien, Kuba aber auch ins
       Dakota Indianerreservat in den USA gefilmt hat.
       
       Die ebenso poetische wie rhythmisch faszinierende, tontechnisch perfekte
       Montage ist eine Feier des Lebens, das die Bilder, die die Künstlerin in
       der verlassenen Schwimmhalle des Komplexes installiert hat, dann als fragil
       und gefährdet thematisieren. Zunächst zeigt je eine schwarz-weiße Fototafel
       die chemische Struktur der Kampf- und Giftstoffe Soman, Anthrax, Zyklon B,
       Napalm und Agent Orange, wobei ein kurzer Text ihre Entstehungsgeschichte
       und ihre dokumentierte Verwendung erläutert, überschrieben mit Fragen der
       Künstlerin.
       
       Anschließend stößt man auf weitere S/W-Fototafeln, die einerseits Schwärme
       von Stechfliegen zeigen und andererseits die geordnete Formation
       künstlicher Minidrohnen. Sie sollen in künftigen Guerillakriegen in den
       Megastädten dieser Welt eingesetzt werden. Sie sind nicht größer als eine
       Biene, der sie ähneln können, und sollen per Ortungstechnologie, auch
       Gesichtserkennung, ausgewählte Zielpersonen stechen und ihnen dabei einen
       tödlichen Kampfstoff injizieren.
       
       Wer sind die Wissenschaftler, die sich solche Dinge ausdenken? Wie defekt
       ist ihre Psyche, wenn sie quasi gewissenslos solche Mordinstrumente
       entwickeln? Das sind die Fragen der Videoinstallation am Grund des
       Schwimmbeckens, die den jungen Robert Oppenheimer, als Leiter des
       Manhattan-Projekts einer der Väter der Atombombe, in einem kleinen Foto
       zeigt und daneben den gealterten Mann, der seine Forschung beklagt.
       
       Schwarze quadratische Spiegelscheiben, je zwei übereinander montiert,
       werfen einem das eigene Bild zurück beim Versuch, um das Becken zu gehen,
       was sie verhindern. Diese schwarzen Quadrate der Selbsterkenntnis sind
       stets Bestandteil von Bettina WitteVeens Ausstellungen.
       
       „Götterfunken feuertrunken der Erlkönig: whiteout“ nimmt durch die sparsame
       und sehr präzise Hängung der Arbeiten bis dahin unbedingt für sich ein. Das
       freilich gilt nicht für die Intervention an der Leninstatue, die unversehrt
       vor dem Hauptgebäude Stellung hält.
       
       Die 26 Tonnen schwarzer Teer, die die Künstlerin und ihr Team um die Statue
       herum aufgeschüttet haben, die sich dort wölben und teils mit tiefen Rissen
       brechen, hätten jederzeit klargemacht, welches Leid Lenin und die
       Kommunistische Partei nach der erfolgreichen bolschewistischen Revolution
       in Russland zu verantworten haben.
       
       Leider umgibt WitteVeen die Statue mit Fotografien von den Grausamkeiten,
       mit Zahlen und Stacheldraht. Und aus dem verstörenden Bild eines in
       schwarzem Teer womöglich versinkenden Lenin wird unversehens
       Volkshochschule. Was es umso mehr nahelegt, noch einmal den wunderbaren
       „Götterfunken“-Film zu sehen, als bleibenden Eindruck.
       
       17 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
   DIR zeitgenössische Kunst
   DIR Installation
   DIR Berlin Biennale
   DIR Kunst
       
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