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       # taz.de -- Ausstellung über Bildjournalismus: Straßenschlacht statt Notunterkunft
       
       > In der Ausstellung „Delete“ zeigt das Hamburger Museum für Kunst und
       > Gewerbe Fotografien, die es nie in die gedruckten Magazine geschafft
       > haben.
       
   IMG Bild: 1969 in Nordirland fotografierte und dann nicht veröffentlichte Szene der Solidarität
       
       Wie landet eigentlich ein Foto in der Zeitung oder einem Magazin? Mit
       dieser Frage beschäftigt sich das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe in
       der Ausstellung „Delete“. Sie ist Teil des Programms der gerade eröffneten
       Triennale der Photographie und bis Ende November zu sehen. „Die Idee kam
       uns durch eine Reportage, für die der Fotograf Thomas Hoepker 1963 durch
       die USA reiste“, erzählt Sven Schumacher, der mit Esther Ruelfs, der
       Leiterin der Fotografiesammlung, die Ausstellung konzipierte.
       
       „Uns fiel auf, dass er in zahlreichen Bildern die Lebenssituation von
       Afroamerikanern einfing, dieses Thema aber in der gedruckten Strecke im
       Magazin ,Kristall' kaum eine Rolle spielte“, sagt Schumacher. Die Besucher
       können die gedruckte Reportage mit einem Teil von Hoepkers Kontaktbögen und
       nicht veröffentlichten Bildern vergleichen, dazu gibt es ein extra für die
       Ausstellung geführtes, aufschlussreiches 20-minütiges Interview mit dem
       Fotografen selbst. Er haben keinerlei Einfluss auf die Auswahl gehabt,
       erzählt Hoepker, allein der Chefredakteur habe entschieden.
       
       Hoepker lieferte auch eine Vielzahl von Frauenporträts ab. Davon wurden
       überwiegend diejenigen ausgewählt, auf denen Frauen unvorteilhaft
       verkniffen und derb dreinblickten – zur Illustration des negativen
       Frauenbilds, das die vom Amerikahasser Rolf Winter geschriebene Geschichte
       transportieren sollte.
       
       Auf dieselbe Weise werden drei weitere Reportagen vorgestellt: Der
       Stern-Fotograf Hanns-Jörg Anders reiste 1969 für Bilder vom Konflikt
       zwischen Katholiken und Protestanten nach Nordirland. Für seine stillen
       Aufnahmen aus Notunterkünften sowie Szenen der Solidarität interessierte
       sich die Redaktion nicht, sie wählte Fotos von Straßenschlachten. Es sollte
       optisch wohl ordentlich knallen. So musste die Lage in Nordirland den
       Lesern wie eine einzige Straßenschlacht erscheinen.
       
       ## Unsichtbare Szenen
       
       Anrührend sind die Arbeiten des Freiberuflers Günter Hildenhagen, der in
       deutschen Pflegeeinrichtungen fotografiert. Er möchte vor allem positive
       Geschichten erzählen. Weil selbst in Fachzeitschriften dafür zu wenig Platz
       ist, wählt er auch Ausstellungen als Veröffentlichungsort.
       
       Unglücklich ist die Wahl des vierten Fotografen: Der Japaner Ryuichi
       Hirokawa ist ein pro-palästinensischer Aktivist, der für die PLO arbeitete
       und Israel die Alleinschuld an dem Konflikt gibt. Kritikern zufolge
       vermengt er seine Israelkritik mit Antisemitismus. Gibt man Hirokawa Platz
       in einer Ausstellung, sollte auf diese Umstände hingewiesen werden. Das
       geschieht nicht in ausreichender Form.
       
       Zu sehen sind Hirokawas Fotos vom Massaker im palästinensischen
       Flüchtlingslager Sabra und Schatila im Jahr 1982; einem der wenigen
       Ereignisse des libanesischen Bürgerkrieges, an das sich die Welt erinnert.
       Vermutlich, weil die israelische Armee indirekt beteiligt war und man das
       Land als Schurken präsentieren kann. Zudem darf Hirokawa in einem
       Filmbeitrag unkommentiert einseitig-negative Stellungnahmen zur
       Staatsgründung Israels abgeben.
       
       ## Der andere Teil der Geschichte
       
       Schade ist auch, dass alle vier ausgewählten Reportagen bereits älter sind,
       die Ausstellung dadurch einen historisierenden Einschlag bekommt. Die
       Dynamiken des Online-Bildjournalismus sollen aber in naher Zukunft in einer
       eigenen Ausstellung beleuchtet werden.
       
       Trotz aller Kritik ist „Delete“ sehenswert. Für Experten aus der
       Medienbranche könnte es ein alter Hut sein, aber alle anderen dürften
       wertvolle Denkanstöße bekommen. „Es wäre schön, wenn die Ausstellung unsere
       Besucher sensibilisiert“, sagt Sven Schumacher. „Und zwar dafür, dass es
       bei Reportagen immer einen Teil der Geschichte gibt, der nicht
       veröffentlicht wird.“
       
       Weil die Chefredaktion zuspitzen wolle oder weil manche Themen optisch
       nicht so interessant seien. Es gehöre zur Medienkompetenz dazu, sagt
       Schumacher, die Auslassungen immer mitzudenken: „Stets im Kopf zu behalten,
       dass die Realität vielschichtiger ist als eine Fotoreportage.“
       
       17 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Sakowitz
       
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