URI: 
       # taz.de -- Ismail Ismail Im Augenblick: Der Geflüchtete, dein ganz normaler Nachbarn
       
       Wenn Menschen ins Land kommen, ist es eine nette Geste, ihnen zu helfen,
       sich zurechtzufinden. So was kann man auch in Lüneburg sehen, vor allem,
       als vor etwa vier Jahren alle auf einmal mit den Geflüchteten etwas
       unternehmen wollten. Ob etwas Musikalisches, etwas im Bereich Bildung oder
       was Kulturelles war völlig egal, Hauptsache Einheimische machten etwas mit
       den armen, armen Geflüchteten.
       
       So gab es auf einmal Musikgruppen, die Lieder aus zwei Wörtern gesungen
       haben, „Allah und salam“ und manchmal zwischendurch „Alsalamu alaikum“, mal
       mit S, mal mit Sch gesungen. Meiner Einschätzung nach sollte das bedeuten,
       dass sich der Palästina-Konflikt mit Liebe lösen lässt. In anderen Gruppen
       hieß es, jeder hat das Recht auf Bildung – egal mit welcher Herkunft.
       
       Eine dieser Gruppen war die No Border Academy. In der durften viele meiner
       geflüchteten Freunde und ich schon seit der Gründung dabei sein – und wir
       haben sie mit auf die Beine gestellt. Es wurde aber bei öffentlichen
       Anlässen nie erwähnt, dass es auch unser Projekt ist, und nicht nur das
       Projekt der beiden deutschen Studierenden. Anders war das bei der
       Musikgruppe, die ebenfalls von der Uni Lüneburg gesteuert wurde, mit dem
       Ziel, Geflüchtete und Deutsche zusammenzubringen. Da haben wir auf
       Augenhöhe miteinander kommuniziert, voneinander gelernt und uns bei
       Auftritten auch als eine Gruppe vorgestellt. Und so wurde das eigentliche
       Ziel des Projekts erreicht: Wir sind jetzt miteinander befreundet.
       
       Ein anderer Typ von Projekt war, Neues mit Geflüchteten zu entdecken.
       Genauer gesagt: die Welt durch Flüchtlingsaugen zu sehen. So haben einige
       Einheimische den Geflüchteten Kameras in die Hand gedrückt und sie Fotos
       machen lassen. Sie dachten vermutlich, dass die Bäume, der Fluss oder gar
       die Straßen anders aussehen würden, denn ein Geflüchteter hat sie ja
       fotografiert. In einem anderen Projekt, an dem ich nur beim ersten Treffen
       teilnahm, ging es um die Frage: Was finden die Geflüchteten an Lüneburg
       interessant? Die Antworten sollten am Ende in Form eines Stadtführers auf
       Arabisch präsentiert werden. Einer sagte bei der Kennenlernrunde, dass er
       aus dem Iran komme und kein Arabisch spreche. Also wurde die Leitfrage des
       Projekts angepasst. Sie lautete nun: Was finden die arabischsprachigen
       Geflüchteten an Lüneburg interessant? Und der Typ aus dem Iran durfte
       fotografieren, was die Arabischsprachigen interessant finden.
       
       An solchen Projekten habe ich oft teilgenommen und oft nicht bis zum Ende.
       Geht es denn nicht ohne? Ich erinnere mich noch an den Kriegsausbruch im
       Irak. Damals gab es schätzungsweise drei Millionen irakische Geflüchtete in
       Syrien. Irgendwie waren sie nach ein paar Monaten nicht mehr so auffällig.
       Man hatte sich daran gewöhnt, Nachbarn aus dem Irak zu haben. Und nach
       einiger Zeit hatte man mit denen Freundschaften geschlossen und sie
       eingeladen, gemeinsam Kaffee zu trinken und so weiter – wie es normal ist,
       unter Nachbarn, Bekannten und Freunden. Ganz ohne Projekt.
       
       Wer denkt, die Sprache wäre eine Barriere: Meine Mutter, die nur etwa 100
       arabische Wörter sprach, unterhielt sich stundenlang mit unserer irakischen
       Nachbarin. Nach einigen Monaten hatte sich ihr Arabisch deutlich
       verbessert. Auf die Frage, wie sie sich verständige, sagte sie: Die Sprache
       sei nebensächlich. Hauptsache ist der Wille, zu kommunizieren.
       
       Meine Freundin findet den Text hier viel zu negativ. Die Sache ist: Ich
       habe bei all diesen Projekten Positives mitgenommen, zum Beispiel dass ich
       gerade für die taz schreibe. Solche Aktionen sind nicht komplett blöd, so
       soll das nicht verstanden werden. Aber vielleicht wäre es besser, die
       Geflüchteten als normale Menschen wahrzunehmen und nicht zu Objekten der
       Hilfe zu degradieren und zur Selbstverwirklichung zu nutzen, bewusst oder
       unbewusst – egal.
       
       15 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ismail Ismail
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA