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       # taz.de -- Aufklärung der Bamf-Affäre: Skandalös, skandalös
       
       > Am Freitag ist die dritte Sondersitzung des Innenausschusses zum
       > sogenannten Bamf-Skandal. Doch was muss wirklich aufgeklärt werden?
       
   IMG Bild: Auf geht's in die nächste Runde: Bamf-Chefin Jutta Cordt und ihr Vorgänger Frank-Jürgen Weise
       
       Am Freitag werden sie wieder nacheinander vor die aufgebauten Kameras
       treten und ihren Spin in die Mikrofone sprechen. Vermutlich werden manche
       weiter von [1][„Skandal“] reden. Und von „fehlender Rechtsstaatlichkeit“.
       Alle werden Aufklärung fordern. Und FDP und AfD sich – wieder einmal – für
       einen Untersuchungsausschuss stark machen, der generell mit der
       Flüchtlingspolitik der Kanzlerin abrechnen soll.
       
       Dann wird sich die Tür des Sitzungsaals 2300 im Paul-Löbe-Haus hinter den
       Abgeordneten schließen. Und unter Ausschluss der Öffentlichkeit die dritte
       Sondersitzung des Innenauschusses beginnen, um den sogenannten Bamf-Skandal
       aufzuklären. Dieses Mal sind die politisch Verantwortlichen geladen: die
       beiden Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Thomas de Maiziére
       (CDU) , dazu Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), früher Chef des
       Kanzleramts und Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung. Der „Skandal“
       um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf, ist längst im
       Kanzleramt angekommen.
       
       Doch worin besteht der Skandal genau? Und was muss wirklich aufgeklärt
       werden? Darüber herrscht alles andere als Einigkeit. Während es anfangs um
       Unregelmäßigkeiten in der Außenstelle der Behörde in Bremen ging, ist
       inzwischen das ganze Bundesamt im Visier – samt der politisch
       Verantwortlichen. Ein Untersuchungsausschuss wird nicht nur von FDP und
       AfD, sondern auch von zahlreichen Medien gefordert. Und jedem, der zögert,
       wird unterstellt, an Aufklärung nicht interessiert zu sein. Doch der Reihe
       nach.
       
       Ihren Anfang nahm die Affäre Mitte April, als bekannt wurde, dass es in der
       Bremer Außenstelle der Behörde positive Asylbescheide ohne rechtliche
       Grundlage gegeben haben soll. Im Fokus: Die ehemalige Leiterin der
       Außenstelle, Ulrike B. Anfangs war von 1.200 Fällen und möglicher
       Korruption die Rede, die Aufregung war groß. Die Staatsanwaltschaft
       ermittelt gegen B. und fünf weitere Beschuldigte wegen des Verdachts der
       „bandenmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung“ und
       „Bestechlichkeit“.
       
       Am Donnerstag durchsuchten Ermittler noch einmal B.'s Wohnung. Das Ziel:
       Handys und andere Datenträger sicherzustellen. [2][Innenminister Horst
       Seehofer (CSU)], der bei der ersten Sondersitzung des Innenausschusses den
       Chefaufklärer gab, sprach von einem „handfesten Skandal“. Das ist leicht,
       wenn man gleichzeitig betonen kann, erst drei Monate im Amt zu sein und der
       Vorgänger aus der Schwesterpartei stammt.
       
       ## Geld? Lächerlich
       
       Noch immer ist unklar, was in Bremen wirklich geschehen ist. Belege dafür,
       dass Geld geflossen ist, sind bislang nicht bekannt, Ulrike B. hat diesen
       Vorwurf gegenüber Bild als „lächerlich“ bezeichnet. Durch Recherchen von
       NDR und Radio Bremen wurde am Dienstag öffentlich, dass es im Bericht der
       internen Revision, der B. für schuldig hält, [3][schwere Fehler] gibt. So
       scheint die Anzahl der Fälle deutlich geringer zu sein als bisher
       angenommen.
       
       Man habe zwar in 975 Fällen „formelle Fehler“ gefunden, zweifle aber nicht
       den Inhalt der Entscheidungen an, heißt es inzwischen im Bamf. In 578
       Fällen aber rieten Prüfer zum Widerruf der Asylentscheide. Fraglich ist
       inzwischen auch, ob und in welchem Ausmaß die Außenstelle wirklich Fälle an
       sich gezogen hat, bei denen sie das nicht hätte tun dürfen. Und B.s Anwalt
       geht davon aus, dass seine Mandantin Opfer einer Intrige eines ehemaligen
       Kollegen geworden ist.
       
       Doch über Bremen spricht ohnehin kaum noch jemand, längst ist as gesamte
       Bamf in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Groß ist die Erregung
       darüber, wie miserabel die Behörde in den vergangenen Jahren aufgestellt
       war. Wie unvorbereitet sie in den [4][Flüchtlingsherbst 2015] ging. Dass
       die Qualität der Prüfungen dann unter der Masse der Anträge litt. Dass die
       IT veraltet und viele MitarbeiterInnen befristet beschäftigt, schlecht
       ausgebildet und manchmal wohl überfordert waren. Dass die interne
       Qualitätskontrolle und die Fachaufsicht im Innenministerium versagte. Und
       die politisch Verantwortlichen nicht einschritten.
       
       ## Kaum einer regte sich auf
       
       Doch das meiste davon ist seit Langem bekannt. Vielleicht nicht jedem und
       in jedem Detail, aber in groben Zügen. Allein die steigende Anzahl jener
       Negativentscheide, die einer Überprüfung vor den Verwaltungsgerichten nicht
       standhielten, hätten bei allen Beteiligten die Alarmglocken läuten lassen
       müssen: 2015 kassierten die Gerichte 4,3 Prozent der Entscheide, 2016 schon
       12, 2017 lag der Anteil der abgelehnten Entscheide, die vor Gericht nicht
       standhielten, bei über 40 Prozent. Das sind 31.000 Fälle. Darüber aber
       regte sich – anders als bei der Außenstelle Bremen – kaum einer auf.
       
       Immer wieder haben JournalistInnen über die Probleme in der Behörde
       berichtet. Regelmäßig hat auch die Opposition die Bundesregierung bereits
       in der vergangenen Legislaturperiode zum Zustand des Bamf befragt. Luise
       Amtsberg, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, hat dazu eine
       Chronologie der parlamentarischen Aktivitäten ihrer Fraktion erstellt: 29
       Punkte auf zwei Seiten. Zieht man die aktuellen ab, bleiben 17 Schritte,
       die die Grünen schon vor dem Bamf-Skandal unternommen haben. Die erste
       Anfrage stammt vom 18.12.2013. Das Thema: Personalengpässe beim Bamf und
       Abordnungen der Bundeswehr. Die Bilanz von Ulla Jelpke, Amtsbergs Kollegin
       von der Linkspartei, sieht nicht anders aus.
       
       Bei der [5][zweiten Sondersitzung des Innenauschusses] am vergangenen
       Freitag muss Rudolf Scheinost, der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats, den
       Zustand der Behörde und seine Hilferufe besonders eindrücklich geschildert
       haben. Ein besonders früher: Schon 2013, als Scheinost am Rande einer
       Veranstaltung auf die Kanzlerin traf, berichtete er ihr, wie dringend sein
       Amt mehr Personal brauche.
       
       Die Flüchtlingszahlen stiegen seit 2012, vor allem durch Menschen aus dem
       Westbalkan, die Anträge stauten sich, das Amt kam nicht hinterher. Neben
       der Kanzlerin, so hat es Scheinost laut Teilnehmern erzählt, stand der
       damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU. „Hans-Peter,
       schreib das mal auf“, soll Angela Merkel zu ihm gesagt haben. Genutzt hat
       es nicht. Das Amt bekam nur die zusätzlichen Stellen, die ohnehin
       vorgesehen waren: 32.
       
       ## Panikmache
       
       Auch der damalige Bamf-Chef Manfred Schmidt, ebenfalls in der vergangenen
       Woche im Innenausschuss, soll schon 2012 im Innenministerium erfolglos um
       ausreichend Personal gebeten haben – und danach immer wieder. Doch Anfang
       2015, der Bürgerkrieg in Syrien tobte, die Flüchtlingslager im Libanon und
       Jordanien waren überfüllt, ging Friedrichs Nachfolger, CDU-Mann de
       Maiziére, noch von der Prognose aus, in diesem Jahr würden nur 300.000
       Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Kritikern warf er Panikmache vor. In
       der zweiten Jahreshälfte korrigierte de Maiziére die Zahl und rechnete im
       August dann schon mit 800.000 Asylbewerbern. Mehr als doppelt so viele wie
       zu Jahresbeginn.
       
       Mitte 2015 hatte das Bamf knapp 3.000 Mitarbeiter. Erst als Schmidt im
       September 2015 aufgab und die Bundesregierung Frank-Jürgen Weise einsetzte,
       wuchs die Behörde rasch. Zwischenzeitlich arbeiteten dort 10.000
       Beschäftigte. Weise, der eloquente Manager sollte das Bamf auf Vordermann
       bringen und öffentlich den Eindruck vermitteln, man bekomme die Lage in den
       Griff.
       
       Weisungen aus der Bundesregierung, Asylanträge schnellstmöglich
       abzuarbeiten, auch ohne Rücksicht auf die Qualität, habe es nicht gegeben,
       sagte Weise im Innenausschuss. Im Frühjahr 2016 hieß es auf eine Kleine
       Anfrage der Linkspartei: „Es werden keine Abstriche bei der
       Qualitätssicherung im Zusammenhang mit der Abarbeitung anhängiger
       Asylverfahren gemacht.“
       
       Da hatte aber Gesamtpersonalratschef Scheinost längst vor dem Verlust von
       Qualität und den Gefahren der massiven Beschleunigung gewarnt – auch für
       die öffentliche Sicherheit. Der Fall Franco A., der Ende April 2017 bekannt
       wurde, gab ihm recht. Der rechtsextreme Bundeswehr-Soldat hatte sich 2015
       als syrischer Flüchtling ausgegeben und wurde vom Bamf anerkennt, obwohl er
       kein Arabisch sprach. Laut Bundesanwaltschaft soll der Mann Anschläge
       geplant haben, die er Flüchtlingen in die Schuhe schieben wollte.
       
       Warum hat die Bundesregierung nicht früh genug reagiert? Und wer trägt
       dafür die Verantwortung? Dazu werden Friedrich, de Maizière und Altmaier am
       heutigen Freitag Stellung nehmen müssen. Es könnte ungemütlich werden.
       Konstantin von Notz, Vizefraktionschef der Grünen, hat einen Verdacht: Aus
       „ideologischer Verbohrtheit“ hätten die Innenminister der Union das Bamf
       bewusst vernachlässigt. Weil man die Zuwanderung nicht wolle, habe man das
       Amt nicht so „aufgeporscht“ wie beispielsweise das Bundesamt für
       Verfassungsschutz. Das wäre in der Tat skandalös.
       
       15 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Immer-mehr-Zweifel-an-den-Vorwuerfen/!5510539
   DIR [2] /Kommentar-Bamf-Affaere/!5509693
   DIR [3] /Immer-mehr-Zweifel-an-den-Vorwuerfen/!5510539
   DIR [4] /Zu-viele-Fluechtlinge-anerkannt/!5508623
   DIR [5] /Innenausschuss-zur-Bamf-Affaere/!5511740
       
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