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       # taz.de -- Frischfleisch von der Weide: Flauschig, aber tot
       
       > Die Zahl der von Wölfen getöteten Schafe steigt. In Niedersachsen wird
       > schon wieder laut über den Abschuss nachgedacht.
       
   IMG Bild: Noch am Leben: Schafe im Heidekreis bei Walsrode
       
       „DNA-Nachweis: Wolf hat Schafe getötet“ – die Überschrift liest sich wie
       ein norddeutscher Deichkrimi. Es gibt einen leicht identifizierbaren
       Bösewicht, eingewandert noch dazu! Der polnische Wolf, mittlerweile in
       Niedersachsen heimisch, hat sich unkontrolliert fortgepflanzt und ist nun
       auf Beutejagd. Sein Opfer wird ausgerechnet das Schaf. Das ultimative Opfer
       aller Zeiten. Flauschig, friedlich und – so zumindest das Vorurteil – auch
       ein bisschen dumm. Schützenswert in jedem Fall, denn es schützt
       seinerseits, gleichmäßig kauend, Deiche und Natur.
       
       Wolfsmanager machen sich auf den Weg zum Tatort, nehmen DNA-Proben von den
       Leichnamen, die noch blutig im Gras liegen. Allein in diesem Jahr haben
       Nutztierhalter dem niedersächsischen Wolfsbüro 98 Fälle gemeldet, in denen
       Tiere verletzt wurden. So simpel schwarz-weiß wie im Krimi ist es
       allerdings selten.
       
       Den Wolf haben die Mitarbeiter in 39 Fällen zweifelsfrei als Täter
       identifiziert. In 34 Fällen steht die amtliche Feststellung noch aus. Das
       sind insgesamt 73 Fälle. In 25 Fällen gab es also einen anderen
       Schaffleischliebhaber, der sich über den Zaun geschwungen hat. Einen Hund
       zum Beispiel.
       
       Wenn alle Abstriche in kleinen Kunststoffröhrchen verstaut sind, nehmen die
       Wolfs-Ermittler den Tatort in Augenschein. Denn die Frage ist, wie die
       Wölfe eigentlich in das Gehege hineingekommen sind. Um einen Wolf
       abzuhalten, braucht es [1][laut einem Flyer des Wolfsbüros] einen 1,40
       Meter hohen, festen Zaun, der über sogenannte Litzen Strom führt – auch
       knapp über dem Boden, damit sich die Wölfe nicht darunter durchgraben
       können. Für mobile Zäune gibt es wieder andere Vorgaben.
       
       ## Mindestschutz nicht vorhanden
       
       In mindestens 31 der bereits untersuchten Fälle war „der wolfsabweisende
       Mindestschutz nicht vorhanden“, antwortet das Umweltministerium auf eine
       Anfrage der taz. Ganz davon abgesehen, dass es immer wieder Meldungen gibt,
       dass Wölfe weit höhere Zäune übersprungen haben sollen, fragt man sich
       doch, warum viele Landwirte nicht zumindest in diesen minimalen Schutz
       ihrer Tiere investieren – und das obwohl das Land Niedersachsen 80 Prozent
       der Materialkosten für die Zäune zahlt.
       
       Die Nutztierhalter sind es, die in der Debatte um den Wolf, am lautesten
       seinen Abschuss fordern. Bei der Umweltministerkonferenz in der vergangenen
       Woche in Bremen warb ein Bündnis von Weidetierhaltern dafür, dass der Wolf
       ins Bundesjagdgesetz aufgenommen wird. Für das bessere „Management“, heißt
       es. Von „Erschießen“ spricht man beim Wolf nicht gern. Lieber von
       „Entnahme“.
       
       „Keinen Heiligenschein für den Wolf“, forderten die Tierhalter auf ihren
       Plakaten. Und: „Der Wolf frisst kein Gras.“ Der benutzt die Halme doch
       höchstens als Serviette, um sich blutige Wollreste von den Lefzen zu
       wischen!
       
       ## Umweltminister denkt laut nach
       
       Im niedersächsichen Umweltministerium sitzt ein Minister, der den
       Tierhaltern zuhört. Olaf Lies (SPD) überlegt schon laut, was passiert, wenn
       der Wolf einen sogenannten günstigen Erhaltungszustand bescheinigt bekommt.
       „Dann müssen wir Maßnahmen ergreifen, um ein weiteres Anwachsen der
       Population zu vermeiden“, sagte er dem NDR.
       
       „Wir wollen prüfen, ob zum Beispiel der französische Umgang mit dem Wolf
       eine sinnvolle Möglichkeit für uns in Deutschland ist“, sagt eine
       Sprecherin des Umweltministeriums. Frankreich hat 40 Wölfe zum
       kontrollierten Abschuss freigegeben.
       
       Noch stelle sich die Frage nicht konkret, heißt es aus dem Ministerium. Die
       Anzahl der Wölfe in Deutschland steigt zwar, insgesamt sollen es rund 60
       Rudel sein. Trotzdem gelten Wölfe noch als gefährdet und sind streng
       geschützt.
       
       ## Dem Menschen zu nahe
       
       Abschießen kann man sie allerdings heute schon. Lies’ Amtsvorgänger Stefan
       Wenzel (Grüne) hat es vorgemacht. Problemwolf „Kurti“ kam Menschen zu nahe
       und wurde deshalb getötet. Aber auch Wölfe, die „erheblichen“
       wirtschaftlichen Schaden anrichten, leben gefährlich.
       
       Ob es überhaupt Not tut, die Voraussetzungen für einen Abschuss weiter zu
       lockern, ist fraglich. Laut dem Umweltministerium gibt es derzeit „keine
       Wölfe, die sich so verhalten, dass eine gezielte Vergrämung notwendig ist“.
       Von Tötung ist da noch gar nicht die Rede, sondern von Gummigeschossen, die
       die Wölfe in die Flucht schlagen sollen.
       
       ## Kälbchengroße Hütehunde
       
       Unbestreitbar ist allerdings, dass der Wolf die Landwirte vor große
       Herausforderungen stellt. In der Praxis bedeuten die Zäune viel Arbeit. Das
       Gras darf nicht an den stromführenden Litzen wachsen. Der kräftige Wind im
       Norden strapaziert das Material. Herdenschutzhunde müssen nicht nur
       gekauft, sondern auch für die Aufgabe ausgebildet werden. Kälbchengroße
       Hütehunde fressen Nutztierhaltern, die ohnehin keine Großverdiener sind,
       die Haare vom Kopf. Ganz zu schweigen davon, dass es für Schäfer, die mit
       ihren Tieren noch durch die Landschaft und über Deiche ziehen, äußerst
       schwierig ist, ihre Herde zu schützen.
       
       Für alle das braucht es mehr Unterstützung. Tierhalter fordern seit
       Monaten, dass sie einfacher an Entschädigungen kommen, wenn der Wolf Tiere
       gerissen hat. Und sie brauchen Geld für den Unterhalt von Hütehunden und
       Zäunen. Das hat Lies bereits angekündigt. Die finanzielle Förderung für
       Nutztierhalter soll deutlich aufgestockt werden.
       
       Die Mitarbeiter vom Wolfsbüro werden trotzdem an blutige Tatorte gerufen
       werden, wenn ein Wolf gewütet hat. Ganz vermeiden lassen sich Risse nicht.
       So ist das, wenn die Natur zurückkommt.
       
       Den ganzen Schwerpunkt der taz nord zum Wolf und den Schafen lesen Sie in
       der taz am wochenende im Kiosk oder [2][hier].
       
       15 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/wolfsbuero/infomaterial/herdenschutz-vor-wolfsuebergriffen-153808.html
   DIR [2] /e-Paper/Abo/!p4352/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Maestro
       
       ## TAGS
       
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