URI: 
       # taz.de -- „Die Unterdrückung findet sehr subtil statt“
       
       > Der Nicaragua Verein Hamburg hat sich 1984 zur Unterstützung der
       > Sandinist*innen gegründet. Nicht erst seit die aufs Volk schießen lassen,
       > hat sich vieles geändert
       
   IMG Bild: Schlägt den Sandinist*innen bald das letzte Stündlein? Kathedrale von León
       
       Interview Mareen Butter
       
       taz: Seit den 1980ern war die Hamburger Nicaragua-Solidaritätsbewegung eine
       mit den Sandininist*innen. Jetzt schießen die aufs Volk. Was tun Sie? 
       
       Martha Borstelmann: Unsere Arbeit ist notwendiger als je zuvor, denn wir
       haben nie für den Sandinismus gearbeitet, sondern für die bedürftige
       Bevölkerung.
       
       Peter Borstelmann: Die Sandinisten haben sich früher für die Schwachen und
       Armen eingesetzt. Doch eben die sind heute nicht mehr die Zielgruppe der
       Politik. Wir sind der Meinung, dass wir zu den gleichen Menschen stehen und
       sie unterstützen wie früher, während sich die Partei neoliberal entwickelt
       hat.
       
       Wer sind Ihre Ansprechpartner*innen in Nicaragua? 
       
       Peter Borstelmann: In der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und León hat
       es einen Umbruch gegeben anlässlich der Bürgermeisterwahl 2007/08, als es
       einen ersten offensichtlichen Wahlbetrug gab. Seitdem sind unsere
       Ansprechpartner nur noch NGOs. Der Verein hat jetzt eine eigene Vertretung
       in León, die unabhängig ist von der Politik der Stadt. Die Hamburger
       Senatskanzlei ist dem gefolgt und unterstützt Projekte, die der Nicaragua
       Verein betreut.
       
       Was für Projekte? 
       
       Peter Borstelmann: Wir fördern zum Beispiel nachhaltige
       Stadtteilaufbesserung in sozial-ökologischer Hinsicht. Immer gepaart mit
       Bildungs- und Fortbildungskomponenten.
       
       Wie frei können Sie arbeiten? 
       
       Martha Borstelmann: Unsere Vertreterin kann zur Zeit im Büro unserer
       Außenstelle in León gar nicht mehr arbeiten, weil allein der Weg von der
       Arbeit nach Hause gefährlich ist. Von hier aus versuchen wir neben den
       Sozialprojekten neuerdings Menschen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu
       helfen, denn ihre Zukunft im Land ist sehr ungewiss. Wahrscheinlich wird
       unsere Bürogemeinschaft in León zumindest temporär schließen, weil alle
       Mitarbeiterinnen bedroht sind.
       
       Peter Borstelmann: In unmittelbarer Nähe unseres Büros hat es Brände
       gegeben. Die repressive Polizei und die regierungsfreundlichen Paramilitärs
       schießen auf Leute oder verschleppen sie. Statt für Ruhe zu sorgen, schaut
       die Polizei beim illegalen Waffeneinsatz zu. Die Vereinsmitglieder vor Ort
       können zwar telefonieren, wissen aber nicht, inwieweit sie abgehört werden.
       Ihre Arbeit beschränkt sich daher auf technologisch-administrative
       Tätigkeiten, die man auch von Zuhause machen kann.
       
       Was verbindet Hamburg mit León? 
       
       Peter Borstelmann: Das Besondere sind die engen Beziehungen zwischen den
       Menschen selber. Die Verbindungen sind seit 35 Jahren von unten gewachsen.
       Es gibt ganz viele direkte Beziehungen, von Eheschließungen bis zu
       Jugendaustauschen. Ein Austausch von León nach Hamburg wird für August
       organisiert. Umgekehrt werden Jugendliche nächstes Jahr nach León gehen.
       Wir hoffen, dass das Land zur Ruhe kommt und die Austausche stattfinden.
       
       Mischen Sie sich in Nicaragua ein? 
       
       Peter Borstelmann: Unser Ziel ist Bewusstseinsbildung in Hamburg. In León
       sind wir eher zurückhaltend, was das Einmischen angeht. Die
       Nicht-Einmischung in die innere Politik haben wir einmal 2008 anlässlich
       eines Wahlbetrugs durchbrochen. Doch das machen wir zur Zeit unter diesen
       angespannten Verhältnissen nicht, weil wir unsere Vertreterin in León nicht
       in Gefahr bringen wollen.
       
       Ist der Sandinisten-Chef und Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, noch
       links? 
       
       Peter Borstelmann:In der Wortradikalität benutzt er Slogans von linken
       Parteien, aber die Kernpolitik ist neoliberal. Sozial-, Umwelt- und andere
       Projekte erhalten kein ausreichendes Geld vom Staat, deswegen helfen wir
       aus. Wenn die Partei links wäre, wäre das nicht nötig. Die Unterdrückung
       Andersdenkender findet sehr subtil statt. Statt offener Gewalt gibt es ein
       System, in dem Rosario Murillo, die Vizepräsidentin und Ehefrau Ortegas, in
       allen Firmen Vertrauensleute hat, die die anderen bespitzeln. Die Angst,
       arbeitslos zu werden, ruft einen unheimlichen Opportunismus hervor.
       
       Welche Rolle spielen die USA in dem Konflikt? 
       
       Peter Borstelmann: Die Proteste sollen angeblich von der CIA gefördert
       sein. Dem würde ich unbedingt widersprechen. Die Demonstrationen entstanden
       anfangs durch linke Jugendliche, die sich seit April per Smartphones
       organisierten. Entsprechend chaotisch sind die Proteste anfangs auch
       abgelaufen.
       
       Scheinbar kann man nur für oder gegen die Regierung sein. Gibt es ein
       Dazwischen? 
       
       Peter Borstelmann: Man kann nur schwer schwarz/weiß malen. Wir haben viele
       persönliche Beziehungen zu FSLN-Mitgliedern und Nicht-Parteigängern und
       sind nicht nur auf die mediale Berichterstattung angewiesen. Wir wissen von
       den Ängsten; warum viele zu den von der Regierung organisierten Demos
       gehen. Viele gehen da nicht aus Überzeugung hin.
       
       Was bedeutet es heute, Sandinist*in zu sein? 
       
       Peter Borstelmann: Nur Ortegisten bezeichnen sich noch selbst als
       Sandinisten, die Oppositionellen nennen sie eben „Ortegisten“.
       
       Martha Borstelmann: Die aktuelle Bewegung hat mit Sandinismus überhaupt
       nichts zu tun. Die demonstrierenden Studenten sind alle nach der Revolution
       geboren und wollen saubere Wahlen und einen demokratischen Rechtsstaat. Sie
       wollen den Sandinismus lieber nicht mehr erwähnen, weil der Begriff schwer
       beschädigt wurde.
       
       20 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mareen Butter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA